Stell‘ dir mal vor, du bist auf Reisen, vielleicht in Asien, vielleicht auf einer der vielen tollen Inseln der Philippinen. Traumstrände, fantastische Unterwasserwelt, gastfreundliche Einwohner und Einwohnerinnen – und dann wirst du plötzlich krank! Und zwar ernsthaft! Du musst ins Krankenhaus.
Hallo, ich bin Sonja Schlenther und ich lebe beziehungsweise arbeite seit 18 Jahren auf den Philippinen. In dieser Zeit habe ich das Land, die Kultur und das Gesundheitssystem intensiv kennengelernt.
Ursprünglich hatte ich mein eigenes Boutique Hotel entworfen, gebaut und über ein Jahrzehnt lang gemanagt, bevor ich es 2016 verkaufte. Seitdem widme ich mich hauptsächlich dem Bauen und Vermieten von Häusern und Apartments sowie der Beratung von Menschen, die im Ausland eine neue Existenz aufbauen wollen, insbesondere auf den Philippinen.
Nebenbei agiere ich als Mentorin, Autorin und Vortragsrednerin im deutschsprachigen Raum. Meine persönliche Mission ist, andere Menschen dazu zu inspirieren, ihre beruflichen und persönlichen Träume, vielleicht auch „abseits vom Trampelpfad“ zu verfolgen, um ein selbstbestimmtes und freies Leben zu führen.
Heute möchte dir über das typisch philippinische „Watcher-System” erzählen und, wie ich mich im philippinischen Krankenhaus über das allgemeine Gesundheitssystem auf den Philippinen erkundigt habe. Dabei gab es einige überraschende Aspekte.
Ein paar Daten und Fakten zum philippinischen Gesundheitssystem
Erst einmal einige grundsätzliche Informationen zum philippinischen Gesundheitswesen. Grundsätzlich gibt es auf den Philippinen die staatlichen und die privaten Krankenhäuser, wobei mit circa 60 Prozent die Privaten überwiegen. Die medizinische Basisversorgung ist für alle Bürgerinnen und Bürger gesetzlich garantiert. Allerdings steht in einem Schwellenland mit rund 114 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern, von denen etwa die Hälfte in ländlichen Gebieten lebt, die Herausforderung im Raum, medizinische Dienstleistungen landesweit zugänglich und bezahlbar zu machen.
Aktuell liegt der Beitragssatz für Angestellte mit täglichem Mindestlohn bei 400 PHP (ungefähr 6,66 Euro), also bei einem Monatslohn von durchschnittlich 160 Euro: 400 PHP = 6.66 Euro. Interessanterweise investiert zusätzlich jeder Filipino durchschnittlich etwa 160 Euro im Jahr in gesundheitsbezogene Güter und Dienstleistungen. Die Konsultationsgebühren bei der Ärztin oder dem Arzt variieren zwischen sechs und acht Euro und reflektieren die Art der medizinischen Versorgung. Privatkliniken verlangen mit 10 bis 16 Euro etwas mehr. Für Krankenhausaufenthalte reichen die Zimmerkosten (Privatzimmer) von 25 bis 180 Euro pro Tag, abhängig von den finanziellen Möglichkeiten und Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten.
„Do you have a watcher?”
Zurück zur Ausgangssituation: Du landest also als Patientin oder Patient in einem philippinischen Krankenhaus. Mal abgesehen davon, dass die meisten Krankenhäuser auf den kleinen Inseln nicht europäischen Maßstäben entsprechen (große Städte haben aber gute Standards), hast du das Glück und ergatterst ein privates Einzelzimmer (gegen Aufpreis natürlich, sofern deine Krankenversicherung dies nicht abdeckt). Du musst leider mehrere Tage im Krankenhaus verbringen und bist alleine unterwegs. Dann fragt dich das Krankenhauspersonal freundlich: „Do you have a watcher?“ Ein was? Einen „Watcher“ oder „Aufpasser“? Was um Himmelswillen ist das denn? Du denkst dir vielleicht, die TV Serie The Watcher kennst du (netter Hauptdarsteller), aber du brauchst deinen eigenen Watcher. Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Das Personal erklärt dir geduldig, dass du einen Watcher in einem philippinischen Krankenhaus brauchst. Ich bezeichne das mal als eine „All-around-Person“. Diese sollte nicht nur tagsüber auf dich „aufpassen“. Auch in Notfällen ist er oder sie zuständig, denn die roten Notfallknöpfe am Krankenbett gibt es meistens nicht. Diesen Notfalldienst übernimmt der Watcher nämlich dann auch! 24 Stunden und sieben Tage die Woche!
Der Aufpasser oder die Aufpasserin sorgt auch dafür, dass die Medikamente, die das Ärzt*innen-Team für dich aufschreibt in einer Apotheke (hoffentlich sind sie vorrätig und nicht „out of stock“) besorgt werden. Zusätzlich ist der Watcher meist auch das Entertainment-Programm. Denn in vielen Krankenhäusern gibt es kein W-Lan oder es ist sehr eingeschränkt verfügbar. Ähnliches gilt für das Fernsehen. Filipinos bringen ihr Entertainment-Programm eben von zuhause mit! Freundinnen und Freunde, Bekanntschaften, aber vorwiegend Familienmitglieder achten auf die erkrankte Person und bleiben auch über Nacht im Krankenhaus! Manchmal gibt es ein Extrabett (Privatkrankenhäuser), manchmal nur eine Couch, oft muss eben der Boden mit einer einfachen Matte herhalten. Auf jeden Fall ist der Watcher essenziell und aus der philippinischen (Krankenhaus-) Kultur nicht wegzudenken!
Das „Watcher-System“ hat mich doch sehr überrascht und zeigt die starken Unterschiede zwischen unserem Gesundheitswesen im DACH-Raum und einem Schwellenland wie den Philippinen.
Ich musste für meine OP eine wichtige Entscheidung treffen
Ich möchte noch eine weitere Erfahrung bezüglich des „Watcher-Systems“ mit dir teilen, nämlich meine Eigene: Mitte 2022 hatte ich einen massiven Bandscheibenvorfall und ich kam nicht umhin, diesen operativ behandeln zu lassen. Da sich mein Hauptwohnsitz auf einer kleinen Insel namens Camiguin Island befindet, begab ich mich in die zweitgrößte Stadt der Philippinen Cebu-City, um zu recherchieren, welche Möglichkeiten es für mich geben könnte. Die Beratung eines von Bekannten empfohlenen Chirurgen und Rückenspezialisten war nicht nur ausführlich, informativ und sehr freundlich. Er erklärte mir auch genau die mögliche Operation und die Behandlungen. An sich machte mir die Konsultation, die nur circa zehn Euro für eine Stunde kostete, einen guten Ersteindruck. Allerdings erschienen mir die OP-Kosten mit mehr als 12.000 US-Dollar doch sehr hoch für ein Schwellenland wie den Philippinen.
Als ich mich erkundigte, wie lange ich nach der OP im Krankenhaus verbleiben müsste, meinte der Arzt, es wäre circa eine Woche. Im gleichen Atemzug fragte er mich dann auch nach meinem „Watcher“, für den es ein eigenes Bett in meinem Privatzimmer geben sollte. Das war meine erste Begegnung mit dem „Watcher-System“. Der nette Chirurg meinte, ich sollte mir doch bitte eine Begleitperson meiner Wahl aussuchen und mitbringen. Aha! Das war ein großes Problem für mich, denn mir fiel zum damaligen Zeitpunkt keine geeignete Person ein, die einfach mal eine Woche Zeit hätte, mich im Krankenhaus zu betreuen. Auch hätte ich diese Person (auf meine Kosten) von der Insel Camiguin mitbringen müssen, denn ich kannte niemanden für diese Aufgabe in der Großstadt Cebu-City.
Dieser überraschende „Watcher-Aspekt“ brachte ein großes Unwohlsein in meinen eh schon angeschlagenen Zustand. Ich beriet mich daraufhin mit meinem deutschen Arzt, meiner Familie in Karlsruhe und mit dem BDAE. Ich entschied mich aufgrund der sehr hohen OP-Kosten und, weil ich keinen geeigneten Watcher auftreiben konnte, die notwendige OP in meiner Heimatstadt Karlsruhe durchzuführen.
Meine Lektion: Wir brauchen die Kraft der Gemeinschaft
Trotz der Überraschung und Ungewöhnlichkeit des „Watcher-Systems“ war dies eine wertvolle Lektion für mich: Wir brauchen die Kraft der Gemeinschaft und die Bedeutung, sich gegenseitig zu unterstützen, besonders in schwierigen Zeiten. Diese Erfahrung hat mich ermutigt, meine eigene Mission der Unterstützung und Ermutigung anderer fortzusetzen. In diesem Sinne möchte ich meinen Beitrag abschließen. Vielen Dank, dass ich meine Erfahrungen teilen durfte, und ich hoffe, dass diese dazu beitragen, das Bewusstsein für die wertvollen Lehren, die wir aus verschiedenen Kulturen ziehen können, zu erweitern.