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Interview

„Die größte Herausforderung war es, geeigneten Wohnraum zu finden.“

Dass in der deutschen Pflegebranche Fachkräftemangel Realität ist, ist schon lange kein Geheimnis. Auch für die Hamburger Pflegeeinrichtung PFLEGEN & WOHNEN HAMBURG stellt die Rekrutierung von Fachpersonal eine besondere Herausforderung dar. Deshalb setzt das Unternehmen gezielt auf Fachkräfte aus dem Ausland und hat letztes Jahr Mitarbeiter aus Italien gewonnen. Wir sprachen mit den Mitarbeitern Christian Dierbach, zuständig für die Auslandsrekrutierung und Sandra Rachowitz, Direktorin des Standorts ALSTERBERG über den Rekrutierungsprozess und den Einsatz ausländischer Mitarbeiter.

BDAE: Seit wann existiert bei Ihnen die Idee, Fachkräfte im Ausland zu rekrutieren?

Dierbach: Seit etwa drei Jahren, wobei das Thema anfänglich eher zurückhaltend angegangen wurde. Eine Kollegin aus dem Personalbereich hatte sich als ein Teil der Personalgewinnung auch um die internationale Rekrutierung gekümmert. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass dies so nicht funktionieren kann, denn bei Auslandsrekrutierungen sind viele Fragen zu klären – wie etwa, welche rechtlichen Bestimmungen im Rekrutierungsland eingehalten werden müssen, welche rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland für den Einsatz ausländischer Mitarbeiter gelten und viele mehr. Das war der Zeitpunkt, an dem ich vor etwa anderthalb Jahren in das Unternehmen kam, wo ich seither ausschließlich den Bereich Auslandsrekrutierung betreue.

BDAE: Wie sind Sie bei dieser herausfordernden Aufgabe vorgegangen? Was waren die ersten Schritte?

Dierbach: Zu allererst habe ich ein Rekrutierungskonzept erstellt, welches neben den klassischen Elementen, wie beispielsweise eine Personalbedarfsermittlung, mögliche Rekrutierungswege und -länder sowie zeitliche Erwartungen und auch ethische und moralische Aspekte enthielt. Dieses stellte ich der Geschäftsführung vor und konnte überzeugen. Im nächsten Schritt galt es, die Direktoren unserer Pflegeeinrichtungen zu informieren und für den Plan zu gewinnen. Also wurde das Projekt in einem Meeting genauer vorgestellt. Im Anschluss forderte ich all die Standorte auf, die hinter dem Konzept standen und aktuellen Bedarf hatten, sich bei mir um die ausländischen Mitarbeiter zu „bewerben“.

Rachowitz: Ich war von Beginn an begeistert und teilte diese Begeisterung auch mit meinem Team. Daher wollten wir auch eine besondere Bewerbung erstellen und so kam uns die Idee, ein Video zu produzieren, in dem wir deutlich machten, wieso wir gerne die italienische Fachkräfte als neue Kollegen begrüßen möchten. Konkret sah das so aus, dass wir das ganze Haus mit italienischen Fähnchen und Fahnen dekorierten. Viele Kollegen und teilweise auch Bewohner sagten dann in einem kurzen Statement vor laufender Kamera, wieso die italienischen Fachkräfte für uns wichtig sind. Alle Aussagen wurden anschließend zusammengeschnitten und mit Musik hinterlegt. Heraus kam ein amüsanter Kurzfilm, der auch den italienischen Bewerbern während der Vorstellungsrunden in Italien vorgeführt wurde.

BDAE: Wieso haben Sie sich für die Rekrutierung in Italien entschieden?

Dierbach: Das hatte pragmatische Gründe. Zum einen wollten wir dieses Projekt der Auslandsrekrutierung nicht alleine stemmen, sondern haben uns einen Spezialisten mit an Bord geholt. Dabei handelt es sich um einen regionalen Personalberater, zu dessen Kernkompetenz die Gewinnung und Integration internationaler Fachkräfte – vorzugsweise aus Italien – zählt. Zum anderen wollten wir innerhalb der Europäischen Union rekrutieren, weil das Anerkennungsverfahren der Berufsqualifikation von europäischen Fachkräften einfacher ist.

BDAE: Worin unterscheidet sich das Verfahren bei EU- und Drittstaatlern?

Dierbach: Bei ausländischen Mitarbeitern, die aus der EU kommen, gestaltet sich das Anerkennungsverfahren „relativ einfach“. Hier muss ein schriftlicher Antrag bei der zuständigen Behörde gestellt werden. Dem Antrag muss unter anderem der Nachweis über die Berufsqualifikation, ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis, ein ärztliches Attest sowie ein Deutsch-Zertifikat des Niveaus B2 beigefügt werden.

Bei ausländischen Fachkräften, die außerhalb der EU leben, ist das Verfahren ein wenig komplizierter, denn generell wird bei Drittstaatlern die Berufsqualifikation nicht voll anerkannt. Das bedeutet, dass eine Ausgleichsmaßnahme notwendig wird. Diese kann man derzeit entweder am Hamburger Universitätsklinikum oder bei maxQ. – einer Fachakademie für Gesundheitsberufe – absolvieren. Während der Nachqualifikation kann der ausländische Mitarbeiter natürlich nur sehr eingeschränkt bei vollem Gehalt arbeiten, und auch die Durchfallquoten bei der Eignungs- und Kenntnisprüfung sind recht hoch, so dass die Gefahr besteht, dass der Mitarbeiter keine Anerkennung erhält und in sein Heimatland zurück muss.

"Die behördlichen Hürden sind sehr hoch."

Rachowitz: Die behördlichen Hürden sind sehr hoch, obwohl aktuelle Prognosen zeigen, dass bis ins Jahr 2030 rund 500.000 vakante Stellen im Pflegebereich zu besetzen sein werden. Hintergrund ist, dass es sich bei dem Beruf der Pflegefachkraft um einen reglementierten Beruf handelt, dessen Aufnahme und Ausübung in Deutschland an gewisse Rechts- und Verwaltungsvorschriften gebunden sind. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Kandidat aus einem EU-Land oder einem Drittland stammt.

BDAE: Die italienischen Fachkräfte sind bereits seit Mai dieses Jahres vor Ort. Was waren bisher die größten Herausforderungen?

Dierbach: Tatsächlich ergab sich eine der schwierigsten Herausforderungen schon zu Beginn – und zwar geeigneten Wohnraum zu finden. Zum einen lag es daran, dass es gar nicht so einfach war, Vermieter zu finden, die Wohnungen an Unternehmen vermieten. Zum anderen sollten die Wohnungen WG-tauglich sein, da die neuen Kollegen eines Standortes zusammen wohnen sollten.

Letztendlich haben wir für die Kollegen, die in der Einrichtung ALSTERBERG arbeiten, nebeneinanderliegende Apartments und für die Kollegen, die in unserer Einrichtung in Heimfeld tätig sind, eine WG-fähige Wohnung gefunden. Sowohl die Wohnung als auch die Apartments haben wir zum Teil renoviert und komplett ausgestattet. Die Unterkünfte sollten von der ersten Sekunde an bewohnbar sein.

Eine weitere Schwierigkeit bereiteten die Sprachkenntnisse. Die italienischen Kollegen haben noch in Italien einen Sprachkurs belegt, um das Sprachniveau B1 zu erreichen. Es stellte sich jedoch heraus, dass das Niveau in Italien ein ganz anderes ist als in Deutschland, obwohl es genaue Vorgaben vom Goethe Institut gibt. Daher gibt es gerade einen Crash-Kurs, um das B1-Level zu erreichen und dann im Anschluss mit dem Kurs zum Erreichen des Levels B2 weiterzumachen.

BDAE: Sprachkurse und eine gemütliche Wohnung sind gute Integrationsmaßnahmen. Was unternehmen Sie noch, um die neuen Pflegekräfte zu integrieren?

"Wir versuchen in allen Belangen zu unterstützen."

Dierbach: Wir versuchen in allen Belangen zu unterstützen. So habe ich alle italienischen Fachkräfte persönlich am Flughafen abgeholt und sie zu ihren Unterkünften gebracht, wir begleiten immer alle Behördengänge, beispielsweise um den Wohnsitz in Hamburg anzumelden, zur Bank, um ein Konto zu eröffnen oder unterstützen bei dem Abschluss eines Handyvertrages. Darüber hinaus sind wir jederzeit erreichbar. Hierbei werden wir auch von der Personalberatung unterstützt, die uns bereits bei der Rekrutierung zur Seite stand. Daneben gibt es noch diverse Integrationsmaßnahmen, die direkt durch die einzelnen Pflegeeinrichtungen erfolgen.

Rachowitz: Wir haben jedem neuen Mitarbeiter einen Kollegen als Mentor zur Seite gestellt. Die Mentoren übernehmen die Einarbeitung, erklären alle Tätigkeiten genau und sind auch jederzeit bei Fragen ansprechbar. Daher achten wir auch darauf, dass Mentor und Protegé immer in die gleichen Schichten eingeteilt werden. Aktuell sind die Mentoren Pflegehelfer, denn bis zur Anerkennung der Berufsqualifikation können unsere neuen Kollegen ebenso nur die Tätigkeit als Pflegehelfer ausüben. Mit der Anerkennung wechseln dann die Mentoren. So ist gewährleistet, dass immer ein fachkundiger Berater zur Verfügung steht.

Neben dem Mentorenprogramm binden wir die neuen Kollegen trotz Sprachschwierigkeiten auch in alle Meetings mit ein, ermutigen sie, beim Betriebssport teilzunehmen und veranstalten diverse Events, wie beispielsweise einen Betriebsausflug nach Helgoland. Um die Italiener auch außerberuflich mehr zu integrieren und ihnen mehr von Deutschland zu zeigen, haben wir zudem diverse Freizeitmöglichkeiten vorgestellt.

BDAE: Werden Sie weitere Fachkräfte in Italien rekrutieren?

Dierbach: Ja, auf jeden Fall. Eine dritte Rekrutierungsrunde ist bereits für dieses Jahr geplant. Derzeit haben wir insgesamt 27 ausländische Pflegekräfte aus verschiedenen Ländern für uns gewinnen können und führen unseren Weg fort.

Über PFLEGEN & WOHNEN HAMBURG

Die PFLEGEN & WOHNEN HAMBURG GmbH bietet rund 2.690 Pflegeplätze an, die sich derzeit auf 13 Standorten über das Hamburger Stadtgebiet verteilen. Der ehemals kommunale Anbieter ging 2007 in private Hand über. Seitdem wurden in Neubauten und Sanierungen über 100 Millionen Euro investiert. Das Unternehmen beschäftigt derzeit über 1.700 Mitarbeiter unterschiedlichster Nationen. Damit ist PFLEGEN & WOHNEN HAMBURG der größte Anbieter für Pflege in der Hansestadt.

Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe September des Journals "Leben und Arbeiten im Ausland".

Das Journal erscheint monatlich kostenlos mit vielen informativen Beiträgen zu Auslandsthemen.

Herausgegeben wird es vom BDAE, dem Experten für die Absicherung im Ausland.