„Bei Entführungen sollten Arbeitgeber schnellstmöglich den Schulterschluss mit den Angehörigen suchen“
Wenn Expats und Geschäftsreisende während ihres Auslandseinsatzes entführt werden, vermitteln Krisenberater wie Marc Brandner, Leiter Krisenmanagement und Mitgesellschafter von SmartRiskSolutions, zwischen den Kidnappern, den Behörden im Ausland, der Familie sowie dem entsendenden Unternehmen. Worauf es ankommt, damit eine solche Extremsituation für die Opfer glimpflich ausgeht, erläutert der Spezialist im Interview.
BDAE: Was ist das stressvollste in einem Entführungsfall für den Krisenberater?
Brandner: In einer Entführung kommt für den Krisenberater und auch andere Beteiligte dann Stress auf, wenn grundlegende Uneinigkeit bei den beteiligten Akteuren hinsichtlich der Verhandlungs- oder Kommunikationsstrategie herrscht. Dies kann zu Beginn, aber auch immer wieder während einer Entführung passieren. Dieser zentrale Stressfaktor, der gerade bei den Angehörigen von starken Gefühlen begleitet werden kann, führt häufig zu Fehlentscheidungen. Diese wiederum führen zumeist zu einer Verstärkung der Stressspirale und in Folge zu einer Verlängerung der Entführungssituation.
BDAE: Welche Fehler werden von den Betroffenen häufig in der Anfangsphase einer Entführung begangen?
Brandner: In der Anfangsphase einer Entführung passiert es nicht selten, dass betroffene Familienangehörige oder aber die Arbeitgeber eilfertig Entscheidungen treffen und vorschnell Maßnahmen einleiten. Besonders kritisch ist es dabei, wenn den Entführern bereits Zusagen gemacht werden. Auch kommt es vor, dass mit anderen Akteuren kommuniziert wird, ohne sich im Vorhinein über die Verhandlungs- und Kommunikationsstrategie im Klaren zu sein. Oftmals treten dann mit anderen Akteuren – darunter können auch Behörden sein – Zielkonflikte auf, die im Frühstadium einer Entführung nur hinderlich sind. Im schlimmsten Fall läuft das Krisenmanagement in der Folge dann unkoordiniert oder sogar konfliktträchtig ab.
BDAE: Läuft das Krisenmanagement immer gleich ab bei Entführungen oder ist es jedes Mal anders?
Brandner: Bei Entführungen ist besonders wichtig, unter Zeitdruck viele Dinge parallel zu strukturieren und zu veranlassen. Dies gilt für alle Entführungsfälle. Es muss zügig ein klares und umfassendes Lagebild aufgebaut werden, eine geeignete Krisenstabsstruktur gefunden werden und die relevanten Akteure müssen sich auf eine geeignete Verhandlungsstrategie einigen. Zudem muss die nächste Kommunikation mit den Entführern vorbereitet, Vertrauen zwischen allen Beteiligten muss aufgebaut werden und dabei sollte zusätzlich noch äußerste Diskretion gewahrt bleiben. Auch wenn – ähnlich wie bei einem Schachspiel – die Grundsätze immer gleich sind, verändert sich die „Partie“ infolge der Unterschiedlichkeit der Mitspieler. Manchmal führen oben bereits geschilderte Stresskomponenten zu irrationalem Verhalten und dann wird Vieles anders.
BDAE: Welche Risiken birgt eine schlechte Betreuung der Familienangehörigen des Entführungsopfers?
Brandner: Aus Sicht des Arbeitgebers sind die Familienangehörigen des Entführungsopfers von zentraler Bedeutung. Rechtlich betrachtet, haben auch die Angehörigen das letzte Wort und dürfen beispielsweise darüber entscheiden, ob eine Erfüllungs- oder Nichterfüllungsstrategie gefahren werden soll.
Man ist als Arbeitgeber also gut beraten, schnell den Schulterschluss mit den Familienangehörigen zu suchen und Grundsatzfragen in Übereinstimmung zu bringen. Voraussetzung dafür ist der Aufbau eines starken Vertrauensverhältnisses. Hat die Opferfamilie Zweifel, dass der Arbeitgeber die gleichen Ziele verfolgt und die Entführung kompetent lösen kann, so wird sie nicht kooperieren. Vertrauen kann nur entstehen, wenn sich der Arbeitgeber aktiv und aufrichtig um die Familie sorgt.
Ein Krisenberater kann dabei sehr hilfreich sein und aufgrund seiner Erfahrung im persönlichen Gespräch den Angehörigen Unsicherheiten zum Umgang mit der Situation nehmen und Zutrauen vermitteln. Geht die Schere zwischen Arbeitgeber und Familie aber auseinander, wenden sich die Angehörigen nicht selten an die Medien, starten eine eigene Kommunikation mit den Entführern oder verklagen den Arbeitgeber. Eine enge und angemessene Betreuung der Familien beugt dem vor.
BDAE: Was ist bei der Zusammenarbeit mit Polizei und Behörden zu beachten?
Brandner: Arbeitgeber und Angehörige sollten sich so schnell wie möglich Klarheit darüber verschaffen, welche Behörden bereits von dem Ereignis wissen beziehungsweise eingeschaltet werden sollten. Gerade bei Fällen im Ausland ist oftmals zu Beginn einer Entführung nicht immer klar, welche Behörden beteiligt sind, welche Kompetenzen sie haben und welche Zielsetzungen sie verfolgen. Obwohl Behörden unterstützend in einer Entführungslage wirken können, sind sie kein Dienstleister. Gerade Polizei und Staatsanwaltschaft haben die Aufgabe, Strafverfolgung sicherzustellen – ein Ziel, welches manchmal mit dem Ziel einer sicheren Freilassung kollidieren kann. Nicht selten fließen aus den Behördenapparaten auch vertrauliche Informationen in Richtung der Medien ab. Manchmal sogar zu den Entführern selbst. Darüber sollte man sich im Klaren sein. Es ist daher anzustreben, Behörden gegenüber immer mit einer klaren Agenda aufzutreten und eventuelle Zielkonflikte offen anzusprechen.
BDAE: Was ist die größte Herausforderung für den Krisenberater während einer Entführung?
Brandner: In einer Entführung kommt es für den Krisenberater zunächst besonders darauf an, zwischen den Hauptakteuren – in der Regel der Arbeitgeber und die Opferfamilie, je nach Lage auch einbezogene Behörden – ein vertrauensvolles Verhältnis herzustellen und sich auf eine gemeinsame Verhandlungsstrategie zu einigen. Im Verlauf der Entführung – besonders wenn sie länger andauert – ist maßgeblich, alle Akteure in Kiellinie der Strategie zu halten. Dies kann äußerst fordernd sein, da erfahrungsgemäß immer wieder einzelne Akteure aus unterschiedlichen Gründen ausscheren wollen.
BDAE: Sie gehören zu den wenigen Krisenberatern, die auch bei Entführungen von Angehörigen sehr vermögender Familien in Europa tätig waren. Was ist der wesentliche Unterschied in der Zusammenarbeit mit Vermögensinhabern, verglichen mit Krisenstäben von Firmen?
Brandner: Die Unterstützung von vermögenden Privatpersonen und Familien – im Versicherungskontext auch oft als High-Net-Worth Individuals (HNWI) bezeichnet –in Erpressungs- und Entführungsfällen stellt an den Krisenberater höhere Anforderungen, als dies in der Zusammenarbeit mit Krisenstäben von Firmen oder anderen Organisationen der Fall ist. Firmen verfügen zumeist – zumindest auf dem Papier – über eine Krisenstabsorganisation, welche einen Entführungsfall fachgerecht abarbeiten kann. Selbst wenn es sich beim Entführungsopfer um einen eigenen Mitarbeiter handelt, können die einzelnen Mitglieder des Krisenstabes meistens bei aller Belastung die nötige emotionale Distanz bewahren.
In „Familienfällen“ überwiegt hingegen zumeist das emotionale Moment, was zu unüberlegten und gefühlsbetonten Handlungen und Entscheidungen führen kann. Dies spielt den Tätern, welche die Klaviatur psychologischer Manipulation und Tricks häufig gut beherrschen, in die Hände. In der Folge kann es passieren, dass eine Entführung, die unter Federführung der betroffenen Familien verhandelt wird, oftmals unnötig lange dauert. Familien mit Entführungsbedrohung sind daher gut beraten, sich möglichst schon im Vorfeld gut aufzustellen. Dazu gehört es, einen Krisenstab in Zusammensetzung und Mandat sowie wesentliche Verhandlungsgrundsätze zu formulieren. Wo immer möglich, sollten im Krisenstab auch Vertraute der Familie oder geeignete Unternehmensmitarbeiter – wenn vorhanden –sitzen, die nicht Gefahr laufen, in der Krise zu emotional zu handeln.
Über Marc Brandner:
Das Interview wurde uns freundlicherweise von SmartRiskSolutions zur Verfügung gestellt und stammt aus einem vom Unternehmen herausgegebenen Whitepaper zum Thema Entführungen.
Marc Brandner ist der Leiter Krisenmanagement und Mitgesellschafter von SmartRiskSolutions. Nach seiner Tätigkeit als Offizier im Kommando Spezialkräfte (KSK) war er Leiter Sicherheits- und Krisenmanagement für das EU-Projekt EUPOL in Afghanistan. Seit vielen Jahren ist er als Krisenberater für Versicherer im K&R-Bereich (Kidnap for Ransom) tätig. Er war bei zahlreichen Entführungsfällen weltweit im Einsatz, darunter auch in Nigeria und Afghanistan. Als Krisenberater hat er Unternehmen, NGOs und Unternehmerfamilien im Rahmen von Entführungen beraten. Hier schildert er die Perspektive des Krisenberaters.
Das Unternehmen SmartRiskSolutions ist auf Sicherheitsberatung, Reisesicherheit und Krisenmanagement spezialisiert. Gemeinsam mit einem Team aus erfahrenen Beratern, Analysten und globalen Partnern begleitet es dort, wo Entführungsrisiken Geschäftsaktivitäten gefährden können.
SmartRiskSolutions hat eine Weltkarte der Entführungsrisiken herausgebracht, zu der Interessierte mehr Informationen in diesem Journal im entsprechenden Beitrag finden.
Web: http://www.smartrisksolutions.de/