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Interview
Privatbestand Silke Elzner

„Reisen gibt mir einen besonderen Kick“

Nach 13 Jahren in Australien ist Silke Elzner mit Kind und Kegel nach Andalusien ausgewandert. Warum sie von „Down Under“ irgendwann genug hatte, wie ihre Kinder den Ortswechsel empfunden haben und warum Reisen so glücklich macht, erzählt die Bloggerin im Interview.

BDAE: Sie sind mit Ihrem Mann 2004 von Berlin nach Sydney gezogen, wo Sie auch Ihre zwei Kinder bekommen und außerdem bis 2017 gelebt haben. Wie kam es dazu?

Elzner: Tatsächlich fassten wir diesen Entschluss ziemlich spontan gegen Ende meines Studiums. Eigentlich wollten wir damals im Umland von Berlin bauen, konnten jedoch das Grundstück aufgrund von Unstimmigkeiten der Alteigentümer aus Vor-DDR-Zeiten nicht kaufen. Es gab ein langes Hin und Her, bei dem Gerichte in Deutschland und den USA involviert waren. Das hat uns damals ziemlich frustriert. Mein Mann sagte irgendwann scherzhaft, wir könnten doch einfach ins Ausland gehen, am besten, irgendwohin, wo es warm ist und wir Englisch sprechen können. Er arbeitete als Wirtschaftsprüfer für KPMG und erhielt dann die Möglichkeit, für das Unternehmen entweder nach Sydney, Australien oder nach Washington, USA zu gehen. Es war Ende Februar, und wir holten erstmal die Klimatabelle raus. Schnell entschieden wir uns für Australien. Gut drei Monate später war alles an Vorbereitung erledigt, und wir saßen auf gepackten Koffern. Das Risiko war vergleichsweise gering, da mein Mann nach zwei Jahren hätte zurückkehren können, und wir wussten, wenn es uns nicht gefällt, wartet ein vergleichsweise sicherer Hafen auf uns.

BDAE: Wie gestaltete sich der Anfang in Sydney?

Elzner: Zunächst etwas holprig, denn wir kamen an einem Freitag mit akutem Jetlag an und mein Mann musste bereits Montag anfangen zu arbeiten. Außerdem begann in Australien gerade die Winterzeit und es war ungemütlich. Zudem empfanden wir die Innenstadt nicht als besonders wohnlich. Wir hatten zwar kein Heimweh, waren aber mental irgendwie noch nicht so richtig angekommen. Ansonsten mussten wir uns erst einmal an die alltäglichen Dinge gewöhnen, die in der Fremde schnell zu einer Herausforderung werden. Die Kleidergrößen waren anders, wir kannten viele Produkte im Supermarkt nicht und wussten nicht, wo wir beispielsweise Bettwäsche günstig kaufen konnten. Nicht selten fühlten wir uns dabei wie Blinde in einem Labyrinth. Auch das Gesundheitssystem war ein vollkommen anderes. So richtig zu spüren bekamen wir dies, als ich das erste Mal schwanger wurde. Eine Behandlung im privaten Gesundheitssystem konnten wir uns nicht leisten, im öffentlichen erhält man jedoch kaum Betreuung durch den Arzt. Dann kam das erste Kind auch noch viel zu früh, meine Familie war nicht da, was ziemlich schwer für mich war. Die Rückkehr nach Deutschland war dennoch keine Option.

Ich arbeitete unter anderem als Übersetzerin in einem internationalen Team. In Australien ist es üblich, dass man nach Feierabend noch gemeinsam mit den Kollegen in einen Pub geht. So entstanden Arbeitsfreundschaften. Durch unsere Kinder lernten wir später andere Eltern kennen.

„Sydney ist wie ein großes Dorf“

BDAE: Für viele Menschen ist Australien das Traumziel einer möglichen Auswanderung. Sie hatten also etwas, was für viele nur in der Fantasie existiert. Warum sind Sie jetzt nach Spanien ausgewandert?

Elzner: Australien hat sich verändert und konnte uns nicht mehr geben, was wir brauchten. Zum einen ist das Leben wahnsinnig teuer geworden. Essen gehen zum Beispiel kostet inzwischen pro Person zwischen 20 und 30 Dollar. Bis 2016 haben sich die Hauspreise innerhalb von 8 Jahren nahezu verdoppelt. Eine Million Dollar, also gut 700.000 Euro kostet ein Haus in Sydney im Schnitt, dabei ist das Wohnen nicht mal komfortabel. Wir wollten ruhiger wohnen, näher am Strand und hatten nach dem Verkauf unseres Hauses mit ordentlichem Gewinn Erspartes, das wir investieren wollten. Es stellte sich jedoch heraus, dass der Markt nichts hergab; wir hatten keine Chance, eine gute Bleibe zu finden. Die Alternative wäre der Umzug in eine Mietwohnung gewesen. Doch als Mieter in Australien hat man kaum Rechte, man darf praktisch nicht mal einen Nagel in die Wand hauen und kann außerdem sehr schnell vor die Tür gesetzt werden – nicht so optimal, wenn man zwei Kinder hat. Außerdem sind rund 4.400 Dollar Miete pro Monat auch kaum zu stemmen. Wir waren also ziemlich frustriert.

Australien ist wunderschön, aber es ist sehr weit weg von allem, und nach 13 Jahren kennt man alles, denn so viel hat das Land kulturell und landschaftlich dann doch nicht zu bieten. Selbst Sydney ist wie ein großes Dorf. Außerdem fehlte uns Geschichte und Kultur, das ist uns besonders während eines Urlaubs auf Kreta bewusst geworden. Wir saßen auf einem kleinen Marktplatz in Chania und genossen ein paar griechische Köstlichkeiten mit unserem einheimischen Tourguide. Das ist das Leben, dachten wir. Sowas bekommt man in Sydney nicht. Die Atmosphäre, die Geschichte, das preiswerte Essen, die freundliche Stimmung, die Kultur. Wir genossen das alles in vollen Zügen.

„Wir wollten unsere Kinder nicht zu stark entwurzeln“

BDAE: Warum sind Sie dann nicht nach Kreta, sondern nach Andalusien ausgewandert?

Elzner: Wir haben den Reality-Check gemacht und überlegt, was gut für die Kinder, für die Familie ist. Wir wollten die Kleinen nicht zu stark entwurzeln und in eine griechische Schule schicken, für die sie auch noch Kyrillisch lernen müssten. Auch die medizinische Versorgung ist auf einer griechischen Urlaubsinsel nicht gleichermaßen sichergestellt wie beispielsweise auf dem Festland. Außerdem wollten wir nicht wie Einsiedler leben. Also verwarfen wir die Pläne wieder. Doch irgendwie ließ uns der Gedanke nicht los. Wir wollten und brauchten etwas Neues. Als ich schließlich auf einer Pressereise in Indonesien mit anderen Reisebloggern war und wir uns beim abendlichen Bier über Lebensentwürfe sowie das, was wirklich wichtig ist, unterhielten, reifte die Idee.

Mein Mann und ich entschieden, über Freelancer-Tätigkeiten ein einigermaßen vernünftiges Einkommen zu erreichen. Ich wollte weiter als Reise-Bloggerin zwei Blogs pflegen, den Miniglobetrotter-Blog und den bereits etablierten englischsprachigen Blog Happiness and Things. Mein Mann wollte als Indie-Developer Spiele-Apps für Mobilgeräte entwickeln. Zwei hat er schon veröffentlicht, mit überraschendem Erfolg, und ein weiteres ist bereits in der Mache.

„Mehr Zeit für die Familie, mehr Zufriedenheit im Job“

Diese kreativen Arbeiten, selbstverantwortlich und flexibel, sind zwar risikobelastet, aber für uns der Traum. Wir hoffen, dadurch mehr Zeit füreinander und für die Kinder zu haben, mehr Job-Befriedigung zu erfahren und das Gefühl zu bekommen, etwas für uns zu schaffen und nicht für ein gesichtsloses Mulitmillionendollar-Unternehmen, für das wir auswechselbar sind. Als Festangestellte in Australien hatten wir außerdem nur maximal 20 Tage Urlaub im Jahr – das war uns einfach zu wenig.

Weil wir Spanien lieben, haben wir uns für das Umland von Málaga entschieden. Andalusien hat sich einen ganz besonderen Platz in unserem Herzen gesichert. Mal abgesehen vom Klima gibt es hier das beste Essen, die lebhafteste Atmosphäre und die schönsten Landschaften.

BDAE: Für Ihre Kinder war Australien die Heimat – wie haben sie den Ortwechsel verkraftet?

Elzner: Unsere Kinder waren nie zuvor in Spanien gewesen und waren sofort begeistert. Uns war es wichtig, dass wir noch vor der Pubertät mit ihnen umziehen, da es in jüngeren Jahren für Kinder leichter ist, neue Freundschaften zu schließen und sich einzugewöhnen sowie Fremdsprachen zu erlernen. Als wir hier ankamen, waren erst einmal drei Monate Sommerferien, die wir genutzt haben, um Spanien und Frankreich zu erkunden. Die Kleinen genießen das neue Leben sehr, denn es bedeutet für sie auch eine signifikante Verbesserung der Bedingungen. Hier haben wir ein schönes großes und bezahlbares Haus mit einem Pool und viel Platz im Garten. Es gibt keinen Durchgangsverkehr, und sie können geschützt Fahrrad fahren, das alles ermöglicht ihnen eine besondere Form von Freiheit. Hinzu kommt, dass die Atmosphäre hier viel lockerer und entspannter ist als in Australien, wo man manchmal das versteifte anglikanische Erbe gespürt hat.

BDAE: Was unterscheidet Ihre Kinder von anderen Kindern, die vielleicht einmal im Jahr einen Pauschalurlaub unternehmen?

Elzner: Zunächst einmal finde ich es toll, dass Eltern überhaupt den Koffer packen und den Kindern etwas anderes ermöglichen. Jede neue Situation, die mit Reisen verbunden ist, wirkt sich meiner Erfahrung nach immer förderlich auf die Entwicklung von Kindern aus und ist positiv. So lernen sie, wie die Welt funktioniert. Mein Mann und ich möchten, dass unsere Kinder Weltbürger werden und nicht in nationalen Kategorien denken, kein Schwarz-Weiß-Denken etablieren, sondern offen und menschenfreundlich werden.

„Unsere Kinder sollen Weltbürger werden“

Als wir kürzlich gemeinsam im Urlaub waren, haben wir absichtlich keine Tablets mitgenommen, weil wir wollten, dass sie sehen, was um sie herum passiert. Das hat super funktioniert. So saßen sie beispielsweise im Auto mit einem Schreibblock und haben eine eigene Sprache erfunden und Comics dazu gemalt. Ihr Leben in unterschiedlichen Ländern hat sicherlich auch das Bewusstsein dafür gefordert, dass es andere Sprachen gibt

Mir fällt auf, dass viele Vertreter der sogenannten Millennials zu glauben scheinen, dass sie die Welt geschenkt bekommen. Unsere Kinder wissen, dass sie sich Dinge erarbeiten müssen. Das haben sie beispielsweise gerade an ihrer Schule erfahren, die zwar international ist, aber einen hohen Anteil an Spanisch sprechenden Schülern aufweist. Dass niemand mit ihnen Englisch spricht, hat sie zunächst frustriert, aber inzwischen erkennen sie den Wert daran, selbst Spanisch zu erlernen.

Miniglobetrotter

BDAE: Schon als Kind sind Sie viel gereist, obwohl es für die Baby-Boomer-Generation eher ungewöhnlich ist, schon so früh von der Welt gesehen zu haben, allein schon, weil das Fliegen vor 30 Jahren noch sehr teuer war.

Elzner: Meine Eltern liebten Spanien über alles. Die hatten nicht viel Geld, aber sparten jeden Cent, um mindestens einmal im Jahr mit uns Kindern zu verreisen. Dabei ging es sogar oftmals sehr abenteuerlich zu. Wir waren in Marokko und in der Türkei als diese Länder noch keine typischen Touristenziele waren. Oft brachen wir auch sehr spontan auf, ohne dass wir zuvor ein Hotel gebucht hatten. Das hat mich sehr geprägt; als Teenager und Studentin wurde Reisen dann zu meinem Hobby. Ich war unfassbar neugierig auf die Welt und wollte alles mitnehmen. Ich reiste mit Bus oder Bahn durch Europa und besuchte Städte von Paris bis Prag.

BDAE: Warum macht Reisen glücklich, und weshalb ist es vielen Menschen ein so dringendes Bedürfnis zu reisen?

Elzner: Ich persönlich bekomme einen richtigen Kick, wenn ich in einer neuen Stadt bin. Dann bin ich wie ein Duracell-Häschen, laufe los und erkunde alles bis zur Erschöpfung. Man hat nur dieses eine Leben und ich bin unheimlich neugierig. Ich möchte Neues sehen, Schönes sehen – Schönes und Neues sehen ist ein Lebensziel für mich. Möglicherweise ist die Lust auf Reisen eine Kindheitsprägung, und neue Orte kennenzulernen ist mit den positiven Konnotationen durch das Reisen mit der Familie, also mit einem warmen Gefühl verbunden.

BDAE: Welches Land würden Sie als Heimat bezeichnen? Denken Sie überhaupt noch in solchen Kategorien?

Elzner: Home is where the heart is. Das ist unser Motto. Wir könnten wahrscheinlich auch in der russischen Tundra leben, solange wir zusammen sind und es uns gut geht. Deutschland ist schon lange nicht mehr Heimat. Dennoch ist das Deutsche ein Teil meiner Identität. Allerdings weiß ich auch: Könnte ich nie wieder zurück, dann wäre das okay.

Über den Blog www.miniglobetrotter.de

Mit ihrem Blog wollen Silke Elzner und ihr Mann stressgeplagten Eltern, die einen erholsamen Familienurlaub wünschen, den auch die Kinder toll finden, Mut machen und Tipps rund um das Reisen an die Hand geben. Sie wollen dazu inspirieren, das Reisen nicht nur als Mittel zum Zweck zu empfinden, sondern als einen neuen Weg, unvergessliche Familienerlebnisse zu sammeln und sowohl den eigenen Horizont als auch den der Kinder zu erweitern.

Neben eigenen Reiseerlebnissen gibt das Paar unter anderem Tipps, wie Familien im Ausland ihre Urlaubskasse schonen, wie man Kinder bei langen Wartezeiten auf Flughäfen unterhält und wie familienfreundliche Unterkünfte zu finden sind.

Darüber hinaus informiert die Familie über den aktuellen Status Quo ihrer Auswanderung nach Andalusien.