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Interview

„Digitale Nomaden sind kein Trend-Phänomen“

Nach einem Auslandssemester in Seoul verliebte sich Melissa Schumacher in Asien, und später wurde sie aufgrund ihrer großen Liebe zu Indonesien zum „Indojunkie“. Mittlerweile betreibt die 26-Jährige einen gleichnamigen, überaus erfolgreichen Blog, von dem sie sogar leben kann. Welche Chancen, aber auch Herausforderungen ihr Leben als digitale Nomadin bietet und was Reisen mit ihrer Komfortzone zu tun hat, erzählt sie im Interview.

BDAE: Du hast monatelang bei einer Familie in Indonesien gelebt. Inwieweit hat dich diese Zeit geprägt? Was hast du für dich daraus mitgenommen?

Melissa: Die fünf Monate in der indonesischen Fischerfamilie waren sehr intensiv. Mit der Mama ging es regelmäßig zum Markt, um Einkäufe zu erledigen. Dort war ich immer DIE Attraktion. Ich begleitete die Söhne auf unzählige Zeremonien und wurde von der Mama mit den schönsten traditionellen Kleidern ausgestattet. Der Papa war Fischer, aber auch Hindu Priester. Zum Fischen durfte ich ihn nicht begleiten, da ich dort nur “im Weg” war. Aber wenn er mitten in der Nacht vom Fischen zurückkam, halfen wir dabei, das Boot über Baumstämme auf den Strand zurück zu rollen und die Fische in die richtigen Eimer zu sortieren, um sie vor Sonnenaufgang zum Markt zu befördern.

Ich spielte mit den Dorfkids, die allesamt meinen Namen kannten. Ich durfte live dabei sein, als 11 Ferkel zur Welt kamen. Nebenbei schrieb ich meine Bachelor Arbeit auf einem uralten Laptop am Strand vorm Haus während die Ferkel, Küken und Enten über meine Füße stolperten.

Ich lernte in den wenigen Monaten verdammt viel über die Lebenseinstellung, die Traditionen und den Glauben der Balinesen. Der Community-Gedanken wird hier groß geschrieben. Wenn man mal einen Tag nichts gefangen hatte, wurde man vom Nachbarn mit Reis versorgt. Wenn man an einem Tag mit einem riesigen Fang nach Hause kam, verschenkte man den Überschuss an die Nachbarn.

BDAE: Was schätzt du an der indonesischen Mentalität, und was nervt dich manchmal?

"Indonesier wissen, wie man im Hier un Jetzt lebt."

Melissa: Indonesier wissen, wie man im Hier und Jetzt lebt. Sie machen sich nicht so viele Sorgen um die Zukunft, leben im Moment und nehmen das Leben nicht immer so ernst. Das steckt an.

Auf der anderen Seite führt diese “Hier-und-Jetzt-Mentalität” natürlich auch zu Problemen im Bereich Nachhaltigkeit. Plastikmüll wird in die Flüsse, Meere und Wälder geworfen. Politiker denken nicht über ihre Amtszeit hinaus. Überflüssiges Geld wird nicht gespart, sondern ausgegeben. Palmölplantagen zerstören ganze Dschungel-Abschnitte, und Eisenerzminen werden inmitten von Marine Nationalparks errichtet. Die Umweltprobleme werden aber auch durch die schlechte Umweltbildung vor Ort ausgelöst.

BDAE: Was fasziniert dich am meisten am Land Indonesien?

Melissa: Die Vielfältigkeit von Indonesien. Wenn man durch Indonesien reist, fühlt es sich an, als würde man durch viele verschiedene Länder reisen. In Indonesien trifft der Islam auf Hinduismus, Animismus, Katholizismus und Buddhismus. Es gibt unzählige verschiedene Sprachen, Traditionen, Kulturen, Zeremonien, Gerichte oder Landschaften.

Ob Dschungel, perfekte Wellen zum Surfen, bunte Riffe zum Tauchen und Schnorcheln, aktive Vulkane zum Trekken oder endlose Strände zum Schlendern – in Indonesien findet man alles.

Es wird einfach niemals langweilig, und man entdeckt immer wieder eine neue Seite von Indonesien – egal, wie oft man schon in dem größten Inselreich der Welt war.

BDAE: Warum kommt eine Auswanderung nach Indonesien für dich nicht infrage?

Melissa: Aus verschiedenen Gründen: Zum einen wegen des noch nicht besonders gut ausgebauten Gesundheits- und Sozialsystems. Zum anderen wegen des Klimas. Ich mag die Hitze, kann sie aber nur einige Monate im Jahr “aushalten”. Ich bin nicht wirklich produktiv in den Tropen und brauche regelmäßig eine Auszeit von dem Hitzekessel Indonesien. Zudem bin ich auch neugierig auf andere Länder und vor allem Roadtrips! Außerdem finde ich Deutschland – nach sieben Jahren reisen – eigentlich doch ganz in Ordnung.

BDAE: Wie groß ist deiner Erfahrung nach die Gruppe der digitalen Nomaden – sind sie nur ein angesagtes Phänomen oder etwas Bleibendes?

Melissa: Ich denke, dass digitale Nomaden nicht nur ein Trendphänomen sind, sondern eine immer stärker wachsende Gruppe. Die Infrastruktur für die Arbeit als digitaler Nomade wird immer besser und das Angebot an “ortsunabhängigen” Jobs steigt stetig.

Buchungsplattformen, wie Airbnb, machen das Reisen für digitale Nomaden einfacher, da man nicht mehr im Hostel neben Reisenden auf den Bildschirm schauen muss und sich ständig rechtfertigen muss, warum man so viel Zeit vor dem Laptop verbringt. Außerdem gibt es weltweit immer mehr Coworking Spaces, Workation und Coliving-Optionen.

Aber der Trend wird vermutlich dahin gehen, dass viele digitale Nomaden eine, zwei oder drei “Homebase” besitzen. Denn dauerhaft ohne Bleibe reisen und arbeiten kann auch sehr anstrengend sein.

BDAE: Du hast in Düsseldorf, Passau, Seoul und Istanbul studiert und durch unzählige Reisen schon viel von der Welt gesehen. Kannst du dir überhaupt ein dauerhaftes Leben in Deutschland vorstellen?

"Je mehr ich reise, desto mehr sehne ich mich nach einer richtigen Bleibe."

Melissa: Je mehr ich reise, desto mehr sehne ich mich nach einer richtigen Bleibe. Wo diese sein wird, habe ich bisher noch nicht herausgefunden. Vielleicht wird auch vorübergehend erstmal ein Wohnmobil meine Heimat sein, bis ich DEN ORT gefunden habe, an dem ich ein Weilchen bleiben möchte. Wenn man keinen richtigen Grund hat, an einem Ort dauerhaft zu sein – zum Beispiel einen Job, das Studium, einen Partner etc. – fällt es einem verdammt schwer, eine Entscheidung für einen dauerhaften Wohnsitz zu treffen.  

Da mein Freund auch als digitaler Nomade arbeitet und lebt haben wir einfach die Qual der Wahl und die ganze Welt als potenzielle Base zur Auswahl. Nach welchen Kriterien sucht man da seine Bleibe aus? Freunde? Die sind mittlerweile überall in der Welt verstreut. Familie? Da unsere Familien jeweils am anderen Ende in Deutschland leben, wäre dies auch keine Option. Das sind eindeutig Luxusprobleme. Ich glaube daran, dass man irgendwann einfach weiß: Das ist es!

BDAE: Wie viel Zeit investierst du in deinen erfolgreichen Blog Indojunkie? Wo möchtest du mit deinem Blog noch hin?

Melissa: Indojunkie ist zu einem Vollzeitjob geworden und zu meinem Hauptprojekt. Jede freie Minute, die ich habe, investiere ich in den Blog und die Bücher, die ich gemeinsam mit Petra schreibe. Manchmal sind es 40 Stunden die Woche, manchmal mehr, manchmal weniger. Es sind noch einige Projekte rund um Indojunkie geplant, unter anderem ein Foodguide, ein Online-Sprachkurs, eine App, eigene T-Shirts und vieles mehr. Die Reise geht also immer weiter.

2018 will ich jedoch den Fokus darauf legen, alte Artikel upzudaten, die Seite auf ein neues Theme umzuziehen und alles etwas “aufzuräumen”. Indojunkie ist einfach super schnell gewachsen, und da leidet meistens die Struktur drunter.

BDAE: Welche größten persönlichen Gewinne ziehst du aus deinen Reisen, und in wieweit können Reisen deiner Ansicht nach für ein besseres Verständnis der Kulturen beitragen?

Melissa: Durch meine vielen Reisen habe ich eine unglaublich weite Komfortzone entwickeln dürfen. Manchmal bin ich mir gar nicht mehr sicher, ob ich überhaupt eine Komfortzone besitze. Vielleicht besteht meine darin, dass ich keine habe. Seit 19 mache ich mein Ding, tue Dinge, worauf ich Lust habe, probiere ständig etwas Neues aus, scheitere und stehe wieder auf. Ich hab ein wahnsinniges Vertrauen in mich und die Welt durch das Reisen gewonnen. Ich habe gelernt, mich anzupassen, andere Sichtweisen auf Dinge zu entwickeln und verschiedene Lebensstile getestet und mich dadurch oftmals neu kennenlernen dürfen.

Ich habe gelernt, nicht zu schnell zu urteilen und vor allem, sich einfach nicht so viel Sorgen zu machen. Am Ende wird ja doch immer alles gut!

Über Indojunkie:

Auf ihrem Blog indojunkie.com schreibt Melissa Schumacher über die Erlebnisse in ihrem Lieblingsland, gibt Reisetipps und lässt Kenner des Landes in Gastbeiträgen zu Wort kommen. Zudem gibt sie in ihren Artikeln praktische Tipps, unter anderem rund ums Packen, zum Thema Kreditkarten und Versicherungen sowie vieles mehr. Auch ihre Reiseführer sind auf dem Blog erhältlich.

https://indojunkie.com