Gesundheitssystem Vietnam: Stark ausbaufähig
Das vietnamesische Gesundheitssystem hat sich in den letzten Jahren signifikant weiterentwickelt. Experten sehen allerdings noch erheblichen Verbesserungsbedarf. Expats in Vietnam müssen sich auf ein deutlich niedrigeres Niveau als in ihrer Heimat einstellen.
Vietnam ist mittlerweile die sechstgrößte Volkswirtschaft in Südostasien und will als sogenannte Marktwirtschaft mit sozialistischer Orientierung bis 2020 den Sprung zum modernen Industriestaat geschafft haben. Ebenso wie die Wirtschaft kann das Gesundheitswesen erhebliche Fortschritte vorweisen. Neben der Steigerung der Lebenserwartung auf 73 Jahre wurden außerdem viele übertragbare Krankheiten eingedämmt. Prognosen zufolge sollen die Pro-Kopf-Gesundheitsausgaben bis 2020 auf 408 US-Dollar steigen (siehe Grafik). Damit kommt die Regierung der Forderung der Bevölkerung nach einer besseren medizinischen Versorgung nach.
Um ein modernes Gesundheitssystem zu erreichen, ist nach Einschätzung der Weltbank jedoch noch viel zu tun. So seien die derzeit 1.148 staatlichen Krankenhäuser zwar entsprechend dem Entwicklungsstand des Landes recht gut ausgestattet, allerdings fehle es vielerorts noch an Technik und Ausrüstung für Diagnosen, Operationen und Pflege. Zudem würde das medizinische Gerät weitgehend schlecht gewartet. Wie in den meisten asiatischen Ländern auch, mangelt es überdies an Gesundheitsinstitutionen in ländlichen Regionen. Deshalb zieht es Patienten in die renommierten Krankenhäuser der Städte, wo jedoch ein Bett oftmals von bis zu vier Patienten gleichzeitig belegt wird.
Medizinisches Personal oft überfordert
Die führenden Krankenhäuser sind Bach Mai in Hanoi und Cho Ray in Ho-Chi-Minh-City (HCMC) sowie die Krankenhäuser der Armee. Gesundheitsexperten haben zudem festgestellt, dass das Ausbildungsniveau der Ärzte und des medizinischen Personals ausbaufähig ist. Viele Mediziner seien deutlich unterbezahlt und oft überfordert.
Die vietnamesische Organisation Towards Transparency hat in einer Studie aus dem Jahr 2011 herausgefunden, dass sämtliche Ebenen des Gesundheitswesens von Korruption betroffen sind. Demnach nimmt vietnamesisches Krankenhauspersonal Schmiergeld an, um die üblichen Wartezeiten von bis zu sechs Stunden zu verkürzen. Auch für die fortlaufende Aufmerksamkeit von Krankenpflegern beispielsweise müssten Patienten zahlen. Ohnehin ist eines der größten Defizite des vietnamesischen Gesundheitssystems die Verteilung der Kostenstruktur. So müssen die Patienten dem aktuellen Jahresbericht des „Joint Annual Health Review“ zufolge mehr als die Hälfte der Behandlungskosten aus eigener Tasche bezahlen. Insbesondere gut verdienende Vietnamesen reisen für medizinische Eingriffe deshalb lieber ins Ausland (vorwiegend nach Thailand oder Singapur), wo sie jährlich bis zu zwei Milliarden US-Dollar lassen.
Der aktuelle Fünf-Jahres-Plan der Regierung sieht vor, verstärkt in Medizintechnik zu investieren, wovon 90 Prozent aus dem Ausland importiert wird. Marktbeobachter sagen jedoch, dass Projektausschreibungen mit Vorsicht zu genießen seien, da die Hospitäler intransparente Regeln verfolgen und am Ende oft der Preis entscheide. Das Gesundheitsministerium will die Versorgung auf dem Land ausbauen und plant insgesamt 46 Satellitenhospitäler, also Ableger der städtischen Kliniken, zu errichten. Auch seien zusätzliche Krankenhäuser für traditionelle Heilkunde geplant.
Soziale Sicherheit noch in den Kinderschuhen
Das System der sozialen Sicherung erweist sich in Vietnam ebenfalls als noch weitgehend rudimentär, weswegen mit Deutschland auch kein Sozialversicherungsabkommen besteht. Die Grundstruktur der Sozialversicherung stammt aus dem Jahr 1961 und wurde zuletzt 2008 überarbeitet. Anspruch auf Leistungen haben alle vietnamesischen Bürger, die mindestens seit drei Monaten bei einem Unternehmen beschäftigt sind. Derzeit fußt es auf drei Säulen:
Gesetzliche Krankenversicherung:
Mitglieder sind ausschließlich Angestellte mit einem vietnamesischen Arbeitsvertrag. Das heißt Expats haben nur dann Anspruch auf Leistungen, wenn sie einen lokalen Arbeitsvertrag haben und es keinen weiteren zusätzlichen Vertrag (zum Beispiel eine Entsendevereinbarung) mit dem entsendenden Unternehmen gibt. Arbeitnehmer zahlen 1,5 Prozent und Arbeitgeber drei Prozent des Bruttolohnes an die staatliche Krankenkasse.
So genannte Volkshelden, Offiziere der Armee, Beamte, Kinder unter sechs Jahren in Hoh Chi Minh Stadt sowie Kriegsgeschädigte müssen keine Beiträge zahlen. Deren Gesundheitskosten übernimmt der Staat beziehungsweise die Stadt.
Alters- und Erwerbsunfähigkeitsrente:
Anspruch auf diese Leistungen haben bislang nur vietnamesische Staatsbürger. Es gibt jedoch einen Regierungsbeschluss, wonach ab dem 1. Januar 2018 auch ausländische Arbeitnehmer davon profitieren „dürfen“. Die Wortwahl impliziert, dass Expats möglicherweise die Wahl haben und nicht zwingend Beiträge zahlen werden müssen. Derzeit beträgt der Arbeitnehmeranteil am Bruttogehalt acht Prozent, der des Arbeitgebers 18 Prozent. Altersrente erhalten Männer ab 60 Jahren und Frauen ab 55 Jahren, die mindestens 20 Jahre in den Rentenfonds eingezahlt haben.
Arbeitslosenversicherung:
Dieser Sozialversicherungszweig wurde erst 2006 errichtet und im Jahr 2009 eingeführt. Versichert sind ausschließlich vietnamesische Staatsbürger mit Arbeitsverträgen von mindestens ein bis drei Jahren Dauer. Der Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil vom Gehalt beträgt jeweils ein Prozent.
Expats, für welche die deutschen Vorschriften über die soziale Sicherheit aufgrund einer entsprechenden Entsendebescheinigung nicht weitergelten, müssen unbedingt für einen Ersatz in allen Sozialversicherungszweigen sorgen und sich über den Arbeitgeber privat absichern lassen. Wer eine Gesundheitsbehandlung auf westlichem Niveau in Anspruch nehmen möchte, sollte auf die privaten Kliniken in den Großstädten zurückgreifen.