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Interview
Albert Petzold (45) © Marlon James

„Es ist eine Frage der Persönlichkeit, ob man sich leicht auf Chaos und Unbekanntes einlassen kann.“

Albert Petzold lebt mit Frau und Tochter auf der karibischen Insel Trinidad. Im Interview erzählt er, wie gut die dortige Willkommenskultur bei der Integration geholfen hat, welche Rolle der Sport in der Familie einnimmt, inwieweit seine Ost-Biografie für das Abenteuer Auswanderung von Vorteil gewesen sein könnte und was für ihn ein erfülltes Leben ausmacht.

Sie sind vor zehn Jahren von Jena nach Trinidad in die Karibik ausgewandert. War dies ein lang gehegter Traum oder Zufall, dass Sie sich für diese Insel entschieden haben?

Petzold: Es war kein klassisches Auswandern für uns, sondern ein Abenteuer, das wir zunächst für maximal zwei Jahre geplant hatten. Wir gaben unsere Wohnung in Jena auf und nach meinem Studium reisten wir ein Jahr lang um die Welt. An verschiedenen Orten absolvierten wir auch Praktika. Unsere erste Station war Trinidad, wo ich ein Praktikum in einer Werbeagentur absolvierte. Danach ging es weiter nach Brasilien und Australien, immer wieder mit Gelegenheitsjobs, um uns finanziell über Wasser zu halten.

Warum war Trinidad die erste Station?

Petzold: Ein Freund von mir lebte bereits dort und als DJ hatte ich immer auch ein Faible für karibische Musikeinflüsse. Die Insel war für uns sehr spannend. Sie ist ein Wirtschaftszentrum und ein Schmelztiegel verschiedener Kulturen. Wir hatten jedoch keine großen Erwartungen und waren sehr offen für neue Erfahrungen.

„Stereotype wie die karibische Gelassenheit haben sich bestätigt.“

Nach unserer Weltreise haben wir uns dann in Berlin niedergelassen und dort kam auch unsere Tochter zur Welt. Unsere Auswanderung nach Trinidad war eher ein Zufall. Ich meinte damals zu einem Freund, der bereits auf Trinidad lebte: „Wenn ihr mal einen Job frei habt, sagt Bescheid“. Nur zwei Wochen später erhielt ich dann das Angebot, als Abteilungsleiter dorthin zu ziehen.

Wie empfinden Sie die kulturellen Unterschiede zwischen den Einheimischen und Deutschen?

Petzold: Manche Stereotype haben sich bestätigt - zum Beispiel die Gelassenheit der Menschen. Je nachdem, ob es um die Arbeit oder persönliche Beziehungen geht, erleben wir eine komplexe und vielschichtige Kultur. Wir waren schnell angetan von der Lebensfreude und Leichtigkeit, die trotz aller Probleme bei den Menschen dominiert. Im Vergleich dazu empfinden wir die Deutschen eher als oft eine Spur zu kritisch und pessimistischer.

Sie und Ihre Frau sind dann mit Ihrer Tochter Ludmilla ausgewandert. Fiel Ihnen die Entscheidung schwer – angesichts des Umstands, dass Ihr Kind noch sehr klein war?

Petzold: Ludmilla war damals vier Jahre alt. Wir empfanden den Zeitpunkt als genau richtig, denn wir hatten noch circa zwei Jahre bis zum Start des regulären Schulbetriebs. Hätte es der Familie auf Trinidad nicht gefallen, wären wir rechtzeitig zu Ludmillas Einschulung zurückgegangen. So betrachtet, war das Timing perfekt. Unsere Tochter lernte auch blitzschnell Englisch. 

Kleine Bedenken kamen am Anfang vor allem meiner Frau, denn ihr war schnell bewusst, dass wir in einem fremden Land eine Minderheit sein würden. Doch die Vorteile, die wir gewinnen würden, überwogen von Anfang an. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt einen Bandscheibenvorfall und ich erinnere mich, wie der Arzt zu meiner Frau sagte, dass das Klima auf Trinidad für den Heilungsprozess das Beste sei, was passieren könne.

Das Klima hatte sicherlich einen großen Einfluss auf uns und die Vorfreude. Das Sonnenlicht hatte einen positiven Effekt auf unsere Stimmung.

 INTERVIEW PXL 20221225Albert Petzold, Ehefrau Katharina Günther (43) und Tochter Ludmilla Günther (15) in Trinidad © Magdalena Leschik

Gab es Startschwierigkeiten und wenn ja, wie haben Sie diese gemeistert?

Petzold: Insgesamt war es relativ einfach für uns, in Trinidad Fuß zu fassen. Für meine Frau, die zu Beginn keinen Job hatte, war es etwas schwieriger als für mich, der direkt im neuen Job als Marketing- und Werbefachmann startete. Die Bürokratie in Trinidad kann manchmal eine Herausforderung sein, zum Beispiel bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen wie der meiner Frau als Krankenschwester. In dieser Tätigkeit fand sie leider keine Anstellung. Später hat sie dann an der deutschen Botschaft einen Job gefunden, wo sie heute für die Visa- und Passstelle arbeitet.

„Wir haben früh festgestellt, dass Ludmilla ein Surf-Talent ist.“

Was das Soziale angeht, hatten wir Glück und gute Startbedingungen. Die Freunde, die wir während meines Praktikums kennengelernt hatten, haben uns herzlich willkommen geheißen. Die Willkommenskultur in Trinidad ist sehr ausgeprägt, da das Land ein Einwanderungsland ist. Die Kultur ist offen und man braucht keine Einladung, um irgendwo hinzugehen. Spontane Besuche sind üblich und auch für unsere Tochter Ludmilla in der Grundschule war es normal, dass die Kinder alle aus der Klasse zum Geburtstag einladen. Diese Form von Party wird „Limen“ genannt und trägt zur Integration der Menschen bei.

Somit waren wir sehr schnell in einem Netzwerk von Einheimischen und Expats integriert. Viele Kontakte ergeben sich auch immer wieder über die sportlichen Aktivitäten unserer Tochter.

Apropos sportliche Aktivitäten: Ihre Tochter ist Teil der Junioren-Nationalmannschaft fürs Wellenreiten. Wie kam Ludmilla zum Surfen?

Petzold: Ludmilla kam bereits im Alter von sieben Jahren zum Wellenreiten. Wir haben früh festgestellt, dass sie sportlich talentiert ist, und während eines Feriencamps wurde sie von Trainern entdeckt, die sie gerne trainieren wollten. Sie hat dann auch an vielen Wettkämpfen teilgenommen und einige davon gewonnen.

INTERVIEW IMG 20220414 WA0007Albert Petzold und Tochter Ludmilla Günther teilen eine gemeinsame Leidenschaft: das Surfen. © Magdalena LeschikIch selbst hatte auch Interesse am Surfen und Ludmilla war schon immer mit auf dem Brett unterwegs. Der Weihnachtsmann brachte ihr damals ein kleines Surfbrett und wir schlossen uns einer kleinen Surf-Clique an, bestehend aus Freunden mit Kindern.

Obwohl ihr Hauptsport das Leistungsschwimmen ist und sie an internationalen Wettkämpfen teilnahm, konnte sie mit zehn Jahren bereits an einem Profi-Surfcamp teilnehmen. Während der Pandemie gab es eine gewisse Pause, aber wir waren für längere Zeit in Tobago, da dort die Strände immer mal wieder geöffnet waren. Über das Internet haben wir einen Trainer ausfindig gemacht, der früher Nationaltrainer in Deutschland war, und sie machte Online-Sessions mit ihm, um an ihrer Technik zu arbeiten.

Im Jahr 2022 gab es einen Aufruf des Deutschen Wellenreitverbands, in dem sie Junior-Surfer dazu aufriefen, Videos vom Surfen einzuschicken. Wir hatten keinerlei Erwartungen, aber dann erhielten wir eine E-Mail, dass Ludmilla ins deutsche Nationalteam aufgenommen wurde. Sie nahm an der Junioren-Weltmeisterschaft 2022 in El Salvador und den Junioren-Europameisterschaften 2022 in Portugal teil.

Im November 2023 hatte sie dann die Möglichkeit, an der Junioren-Weltmeisterschaft fürs Wellenreiten in Rio de Janeiro teilzunehmen.

Trinidad ist nicht unbedingt der günstigste Surfspot, daher kann Ludmilla oft nur am Wochenende trainieren. Trotzdem ist sie mit viel Leidenschaft und Engagement dabei und wir sind sehr stolz auf ihre Erfolge.

Wie sehr bestimmt der Sport den Alltag der Familie?

Petzold: Natürlich ist es ein straffes Programm. Wir haben unsere Ablaufroutinen und, wenn beispielsweise morgens um 5 Uhr Training ist, dann stehen wir alle 4:30 Uhr auf, damit Ludmilla trainieren kann. Danach dann geht es zur Schule. Am Wochenende sind wir häufig gemeinsam zu Wettkämpfen unterwegs. Das gehört seit vielen Jahren zu unserem Leben dazu, wir haben gewissermaßen unser Leben um den Sport unseres Kindes konstruiert. Für uns ist dies Alltag und macht uns Spaß. So verbringen wir auch viel Zeit als Familie und mit der Sport-Community.

Wie ist die Gesundheitsversorgung auf Trinidad & Tobago?

Petzold: Die Gesundheitsversorgung auf Trinidad & Tobago ist insgesamt relativ solide und gut. Es gibt sowohl Privatkliniken, die gut ausgestattet sind, als auch ein kostenloses Gesundheitssystem. Allerdings ist die Qualität des kostenlosen Gesundheitssystems eher mittelmäßig.

„Die Gesundheitsversorgung auf Trinidad & Tobago ist solide.“

Es gibt eine Vielzahl von Arztpraxen auf der Insel. Die Gesundheitsversorgung hat jedoch ihren Preis, insbesondere wenn es um spezielle oder komplexe medizinische Fälle geht. In solchen Fällen müssen die Patienten oft in andere Länder wie die USA, Kolumbien oder Panama ausweichen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass einige Menschen sogar zur Zahnbehandlung nach Venezuela reisen. Gesundheitstourismus ist auf Trinidad & Tobago durchaus üblich.

Wenn man Privatkliniken ansteuert, muss man wie wir, die wir privat beim BDAE versichert sind, in Vorleistung gehen und sich das Geld dann zurückerstatten lassen.

INTERVIEW Lbee Jouvert2Albert Petzold tritt als DJ Lbee in Trinidad & Tobago beim karibischen Karnival auf. © Miquel Galofre

Sie sind selbst im Ausland geboren worden und haben einen Teil ihrer Kindheit noch in der DDR erlebt. Führen Sie Ihre Reise- und Abenteuerlust auf Ihre ostdeutsche Herkunft zurück?

Petzold: Ich bin im russischen Kalinin geboren, wo mein Vater Zahnmedizin studierte, als er meine Mutter kennenlernte. Drei Jahre nach meiner Geburt bekam er eine Stelle in der Universität Greifswald, wo ich viele Jahre lebte. 

Ich glaube nicht, dass meine Reise- und Abenteuerlust direkt auf meine ostdeutsche Herkunft zurückzuführen ist. Vielmehr denke ich, dass der eigentliche Game Changer im ostdeutschen Kontext die abrupte Transformation und der Systemwechsel nach der Wende waren. Diese Erfahrungen haben mich gelehrt, mich schnell an neue Situationen anzupassen und offen für Neues und Unbekanntes zu sein. Die ostdeutsche Identität der Wendekinder und die Erfahrungen, die deren Eltern gemacht haben, haben sicherlich einen Einfluss darauf, wie wir mit Veränderungen umgehen. Man ist gegenüber Neuem und Unbekanntem leichter eingestellt, weil man schon mal einen radikalen Wechsel erleben musste. 

Zum Thema Reisen: Ich hatte schon als Kind den Wunsch, später von Beruf „Urlauber“ zu werden, hat mir meine Mutter mal erzählt. Ich war auch immer fasziniert von der Seefahrt und wollte auch mal Seefahrer werden. Bereits als Kind habe ich Reisen in die Sowjetunion und nach Kasachstan unternommen, so dass ich meiner Reiselust durchaus auch in der DDR habe nachgehen können.

Ich denke, dass Menschen, die die Wende bewusst erlebt haben, möglicherweise leichter mit Veränderungen umgehen können. Die Erfahrungen der Transformation und Anpassungsfähigkeit prägen uns und machen uns offener gegenüber neuen Situationen. Natürlich gibt es auch individuelle Unterschiede, aber insgesamt denke ich, dass die Wendekinder eine gewisse Flexibilität und Offenheit für Veränderungen mitbringen.

„Ich denke, dass Menschen, die die Wende bewusst erlebt haben, möglicherweise leichter mit Veränderungen umgehen können.“

Was sollten potenzielle Auswanderinnen und Auswanderer Ihrer Erfahrung nach vorher unbedingt wissen?

Petzold: Mein wichtigster Ratschlag wäre, sein potenzielles Traumland bereits vor der Auswanderung als Nicht-Tourist kennenzulernen, um zu prüfen, ob die eigenen Vorstellungen halbwegs mit der Realität übereinstimmen. Der Austausch mit Menschen, die bereits in dem Land leben, beispielsweise in Foren, kann dabei sehr hilfreich sein. 

Zudem ist es eine Frage der Persönlichkeit, ob man sich leicht auf Chaos und Unbekanntes einlassen kann. Und man sollte nie vergessen, dass die Probleme nicht automatisch mit einem Umzug in ein anderes Land oder an einen anderen Ort verschwinden. Daher sollte man immer pragmatisch an das Auswanderungsprojekt herangehen und die Türen nach Hause nicht komplett schließen.

Wir hatten beispielsweise unsere Wohnung in Berlin jahrelang untervermietet, um eine gewisse Sicherheit zu behalten, bis wir uns sicher waren. Meine Schallplattensammlung habe ich erst zehn Jahre nach der Auswanderung von Deutschland nach Trinidad liefern lassen.

Ich halte es für wichtig, sich Zeit zu geben, um zu sehen, wie man sich an das neue Land und die Menschen assimiliert - und man sollte bloß nicht alles Hals über Kopf aufgeben. Ein Stück Sicherheit zurückzulassen, damit man bei einer eventuellen Rückkehr nicht bei Null anfangen muss, ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt. Zudem ist es ratsam, nicht zu überemotional oder zu euphorisch zu sein und den Auswanderungsprozess in einzelnen Teilschritten anzugehen. 

Speziell für Trinidad ist es zudem sehr wichtig, die englische Sprache zu beherrschen, insbesondere für Behördengänge ist dies von großer Bedeutung.

INTERVIEW 20220116 100523Albert Petzold mit Ehefrau Katharina Günther. Wochenenden werden oft am Strand verbracht. © Albert Petzold

„Es ist wichtig, sein Lebensglück nicht von äußeren Faktoren abhängig zu machen.“

Was ist aus Ihrer Sicht für ein glückliches und erfülltes Leben essenziell?

Petzold: Generell denke ich, dass es wichtig ist, das Leben pragmatisch anzugehen und sich nicht zu sehr auf materielle Dinge oder äußere Faktoren wie den Wohnort zu versteifen.

Für ein glückliches und erfülltes Leben sind in erster Linie gute zwischenmenschliche Beziehungen essenziell. Es ist nicht der geografische Ort der wichtigste Anker. Für mich finden Glück und Erfüllung eher auf der Beziehungsebene statt.

Als Familie haben wir immer darauf geachtet, ein Netzwerk an Freunden in Deutschland zu erhalten und die Beziehungen zu pflegen, auch wenn wir mittlerweile in Trinidad leben.

Auch die Fähigkeit, sich an neue Situationen anzupassen und für Veränderungen offen zu sein, hat uns geholfen, uns sowohl in Trinidad als auch bei unseren Reisen wohl zu fühlen. Die Erfahrungen mit dem Systemwechsel nach der Wende in der DDR haben uns eine gewisse Flexibilität und Anpassungsfähigkeit vermittelt.

Neben zwischenmenschlichen Beziehungen sind es für mich persönlich auch die eigenen Interessen und Leidenschaften, die mein Leben erfüllen. Meine berufliche Selbstständigkeit, die für mich immer ein großer Traum war, an der frischen Meeresluft in Trinidad zu leben und meinem Hobby als DJ in der Freizeit nachzugehen – all das bereitet mir große Freude. Ich wollte immer am Meer leben. Jetzt bin ich von Wasser umgeben und schaue aufs Meer. 

Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe März 2024 des Journals "Leben und Arbeiten im Ausland".

Das Journal erscheint monatlich kostenlos mit vielen informativen Beiträgen zu Auslandsthemen.

Herausgegeben wird es vom BDAE, dem Experten für die Absicherung im Ausland.