Wenn Flüge aufgrund außergewöhnlicher Umstände annulliert werden, sind Fluggesellschaften verpflichtet, eine Ersatzbeförderung anzubieten - und zwar zum nächstmöglichen Zeitpunkt! Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) am 11. Oktober 2023 in zwei Verfahren entschieden (Az. X ZR 107/22, Az. X ZR 123/22).
Demnach sind Fluggesellschaften verpflichtet, den Fluggästen neben der möglichen Ersatzbeförderung durch eigene Alternativflüge auch Direkt- oder Umsteigeverbindungen anderer Fluggesellschaften anzubieten, wenn die Fluggäste dadurch ihr Ziel früher erreichen.
Außerdem stellte der BGH klar, dass es nicht ausreicht, wenn sich die Fluggesellschaften nach Ablauf von drei Stunden nicht mehr um eine schnellstmögliche Ersatzbeförderung bemühen, denn dann haben die Passagierinnen und Passagiere nach EU-Recht Anspruch auf eine Ausgleichszahlung.
„Das Urteil ist für die vielen Flugreisenden, die von Ausfällen betroffen sind, ein Erfolg und stärkt deren Rechte nachhaltig. Der EuGH hatte bereits im Juni 2020 entschieden, dass Fluggesellschaften gezwungen sind, Passagier:innen bei großen Verspätungen sowie Flugausfällen schnellstmöglich eine Ersatzbeförderung anzubieten. Trotz dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung war eine Bestätigung durch das oberste deutsche Gericht nötig, da es vereinzelt immer noch deutsche Gerichte gibt, die die sehr verbraucherfreundliche Rechtsprechung des EuGH zu umgehen versuchen. In der Vergangenheit haben sich die Airlines die Unwissenheit der Passagier:innen oft zunutze gemacht und sich nur langsam oder gar nicht um mögliche Ersatzbeförderungen durch andere Fluggesellschaften gekümmert. Durch das Urteil wird das jetzt hoffentlich beschleunigt und die Leidenszeit der Flugreisenden verringert. In jedem Fall sorgt das Urteil aber dafür, dass Passagiere beim Trödeln der Fluggesellschaften zu ihren berechtigten Ausgleichszahlungen kommen“, so Claudia Brosche, Fluggastrechtsexpertin bei Flightright.
Entschädigungsanspruch wurde von Instanzgerichten zunächst abgelehnt
Flightright ist ein Verbraucherportal zur Durchsetzung von Fluggastrechten. Bei Flugverspätungen, Annullierungen oder Nichtbeförderung beruft sich Flightright auf die Fluggastrechteverordnung 261/2004 der Europäischen Union. Im vorliegenden Fall klagte Flightright wegen zwei Flugausfällen, deren Ersatzbeförderung erst mit extremer Verspätung erfolgte. Es handelte sich um einen Flug von Newark nach München im Jahr 2018, den die Lufthansa wegen eines Hurrikans an der Ostküste annullierte. Die Fluggäste kamen schließlich mit 98 Stunden Verspätung in München an. Der andere Flug sollte 2020 von Reykjavik nach München gehen, aber ein Blizzard in Island durchkreuzte die Route und machte den Start unmöglich. Erst 48 Stunden später konnten die Passagiere ihr Ziel erreichen.
In beiden Fällen entschieden zuvor die Landgerichte Landshut und Erding, dass sich Lufthansa und Icelandair von der Ausgleichszahlung befreien können. Die Gerichte betonten den außergewöhnlichen Umstand des schlechten Wetters. Dem Aspekt der Zumutbarkeit für die Fluggäste und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs schenkten die Richterinnen und Richter jedoch wenig Beachtung. Sie entschieden, dass es ausreiche, wenn sich die Fluggesellschaften innerhalb der ersten drei Stunden um eine Ersatzbeförderung kümmerten. Für die Zeit außerhalb dieser Drei-Stunden-Grenze sei die Prüfung einer schnellstmöglichen Ersatzbeförderung nicht mehr zumutbar.
Die Fluggastrechtsexpertin von Flightright bemängelte dies: „Der Ansatz des Landgerichts Landshut ging weit an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Ersatzbeförderung vorbei und stellte sich diesem entgegen.“
Durchsetzung der verbraucherfreundlichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
Um die verbraucherfreundliche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) durchzusetzen und die bisherigen Urteile aufzuheben, klagte Flightright schließlich vor dem Bundesgerichtshof. „Für die vielen Flugreisenden ist es ein positives Signal, dass sich auch der Bundesgerichtshof der Ansicht des EuGH angeschlossen hat und der Argumentation des Landgerichts Landsgut eine klare Absage erteilte. Für Flugreisende wäre es anderenfalls unerträglich, wenn sie bei einer Ersatzbeförderung von mehr als drei Stunden später schutzlos gestellt wären“, betont die Flugrechtsexpertin abschließend.