Frauen verdienen durchschnittlich 1,2 Millionen Euro weniger als ihre männlichen Kollegen. Die Vergütung von Vorständen hängt auch davon ab, ob ein Ressort als typisch „männlich“ oder eher „weiblich“ wahrgenommen wird.
Dieser Gender Pay Gap in Vorstandsvergütungen geht aus einer Studie eines Forschungsteam der Universitäten Paderborn, Tübingen und der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe hervor.
Für die Studie wurden 84 Unternehmen untersucht, davon 16 deutsche, die in den Indizes Euro Stoxx 50 und/oder Stoxx Europe 50 gelistet sind. Die beiden Indizes bilden die Wertentwicklung der größten europäischen Konzerne innerhalb und außerhalb der Eurozone ab. Die durchschnittliche Gesamtvergütung der männlichen Vorstände in den untersuchten Konzernen liegt bei vier Millionen Euro pro Jahr, die der weiblichen nur bei 2,8 Millionen Euro.
Der Gender Pay Gap in Europa
Als Gender Pay Gap wird die Differenz zwischen dem durchschnittlichen Bruttostundenverdienst (ohne Sonderzahlungen) von Frauen und Männern bezogen auf den Bruttostundenverdienst der Männer bezeichnet. Die Ursachen sind vielfältig. So unterscheiden sich Frauen und Männer beispielsweise in ihren Erwerbsbiografien und in der Wahl ihrer Berufsfelder. Daraus ergeben sich häufig unterschiedliche Erwerbsverläufe und Verdienstunterschiede. Gemessen am durchschnittlichen Bruttostundenverdienst der Männer verdienten Frauen in Deutschland im Jahr 2022 rund ein Fünftel weniger als Männer: Der Gender Pay Gap lag bei 18 Prozent. Dies geht aus einer Erhebung des Statistischen Bundesamtes mit Daten aus der Eurostat Datenbank zu Verdienststrukturerhebung hervor.
Starke Ausprägung von stereotypischen Vorstellungen
Bei der Suche nach den Ursachen für den so genannten „Gender Pay Gap“, also einem geschlechterspezifischen Lohngefälle zwischen Männern und Frauen, stießen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf verschiedene Effekte. „Frauen stehen vergleichsweise häufig Ressorts vor, die als „eher weiblich“ wahrgenommen werden und die im Durchschnitt weniger gut bezahlt sind“, sagte Prof. Dr. Kerstin Pull vom Lehrstuhl für Personal & Organisation der Universität Tübingen.
Zu den als „eher weiblich“ wahrgenommenen Ressorts gehören beispielsweise Personal oder Unternehmenskommunikation. Als „männlich“ werden dagegen Ressorts wie IT wahrgenommen. Als „weiblich“ wahrgenommene Ressorts werden schlechter bezahlt und häufiger von Frauen besetzt.
Im Rahmen der Studie wurde eine Befragung durchgeführt, um herauszufinden, ob die Tätigkeit in einem Vorstandsressort als „männlich“ wahrgenommen wird. Die Untersuchung zeigt, dass die stereotypen Vorstellungen in der Gesellschaft stark ausgeprägt sind und mit den tatsächlichen Gehältern korrelieren: Je stärker eine Tätigkeit als „typisch männlich“ wahrgenommen wird, desto höher ist das Gehalt in diesem Bereich. Allerdings können Frauen auch dann kein höheres Einkommen erzielen, wenn sie „typisch männliche“ Ressorts leiten - dieses Privileg bleibt den Männern vorbehalten.
„Frauen in ‚männlichen‘ Ressorts werden als nicht passende Besetzung wahrgenommen. Der klare Gehaltsnachteil ist überraschend, weil Frauen für Vorstandspositionen eigentlich händeringend gesucht werden“, so Prof. Dr. Martin Schneider, Professor für Personalwirtschaft an der Universität Paderborn. „Alle Konzerne haben sich Chancengleichheit auf die Fahnen geschrieben und berufen zunehmend Frauen in ihre Vorstände. Dass Geschlechterstereotype die Bezahlung von Vorständen so deutlich beeinflussen, wird bislang übersehen“, sagte Prof. Dr. Anja Iseke von der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe. „Dabei ähneln sich auf Vorstandsebene die Aufgaben der verschiedenen Ressorts stark: Alle Vorstände müssen gleichermaßen strategisch denken und in das Unternehmen hinein kommunizieren.“
Keine Unterschiede zwischen den Qualifikationen
Das Forschungsteam hat verschiedene potenzielle Gründe für die Einkommensunterschiede untersucht und ausgeschlossen. Beispielsweise konnte die Qualifikation der Vorstandsmitglieder, auch als „human capital“ bezeichnet, nicht als Erklärung dienen. Die Auswertung von LinkedIn-Profilen und Jahresberichten zeigte, dass die Qualifikation von Frauen in Vorständen europäischer Konzerne mindestens genauso hoch ist wie die ihrer männlichen Kollegen. Das Team vermutet, dass Gehaltsunterschiede negative Auswirkungen auf die Unternehmensentwicklung haben könnten. „Die Bereitschaft zur Kooperation im Top-Management ist bei großen Gehaltsunterschieden sicher geringer. Das kann nicht gut für das Unternehmen sein“, resümiert Sarah Diederich von der Universität Tübingen. Die Forscherinnen und Forscher empfehlen daher, die Entlohnung zwischen den Ressorts und den einzelnen Vorständen anzugleichen.
Gleicher Verdienst für Frauen und Männer in Luxemburg
Auf EU-Ebene liegen bisher Daten bis zum Jahr 2021 vor. Dabei zeigen sich große Unterschiede zwischen den Ländern der Europäischen Union. In Luxemburg verdienten Frauen und Männer im Jahr 2021 gleich viel. In Rumänien und Slowenien, wo Frauen jeweils rund vier Prozent weniger verdienten als Männer, waren die Unterschiede im Bruttostundenverdienst gering. Am höchsten war der Gender Pay Gap im Jahr 2021 in Estland (21 Prozent), Österreich (19 Prozent) und Deutschland (18 Prozent). In Ungarn, Finnland und der Slowakei war der Verdienstabstand zwischen Männern und Frauen mit jeweils 17 Prozent vergleichbar groß.
Seit Jahren nahezu konstanter Gender Pay Gap
In der EU gibt es zahlreiche Initiativen, um den Verdienstabstand zu verringern. Seit 2010 hat sich der Verdienstunterschied zwischen Frauen und Männern im EU-Durchschnitt jedoch nur geringfügig um knapp drei Prozentpunkte verringert. In Deutschland hat sich die Bundesregierung das Ziel gesetzt, den Gender Pay Gap bis 2030 auf zehn Prozent zu reduzieren.