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Interview
© BDAE GRUPPE

„Chinesen trennen weniger zwischen Beruflichem und Privatem“

Zuhui Mao

Zuhui Mao stammt aus Shanghai und lebt seit mehr als 30 Jahren in Heidelberg. Sie ist Geschäftsführerin des von ihr im Jahre 2000 gegründeten interkulturellen Beratungs- und Trainingsinstituts SinaLingua.

Klaus Schmitt

Klaus Schmitt ging vor elf Jahren nach China, um für die Deutsche Auslandshandelskammer Shanghai im Bereich Marketing zu arbeiten. Seit vier Jahren trainiert er in China westliche und chinesische Manager auf den Gebieten Kommunikation, interkulturelles Management, Teambuilding und Führungskräfteentwicklung.

Beide Expats kehrten für einige Monate in ihr Heimatland zurück, um dort zu arbeiten und somit auch den jeweiligen Alltag wieder zu erleben. Welche Herausforderungen dies mit sich bringt und welche signifikanten Unterschiede es zwischen Chinesen und Deutschen gibt, erzählen sie im Interview.

BDAE: Was hat Sie zu dem Schritt bewogen, für längere Zeit in Ihrer Heimat zu bleiben?

Mao: Ich habe 1985 China in Richtung Deutschland verlassen, und es war schon immer mein Traum, wieder für längere Zeit in meiner Heimat China zu leben und zu schauen, ob man das nach 30 Jahren noch wirklich kann. Mit zunehmendem Alter tun sich Fragen auf wie: Was macht es mit einem selbst, wenn man wieder in der alten Heimat ist, wenn man nach seinen Wurzeln sucht? Liegt einem eigentlich noch das Leben hier, was fällt einem auf, womit kann man sich gut anfreunden, womit nicht? Das war eigentlich der entscheidende Punkt, weswegen ich beschloss, nach Shanghai zurückzukommen.

Schmitt: Bei mir spielt das Motto „back to the roots“ auch eine gewisse Rolle. Mir ging es darum, nach insgesamt elf Jahren in China wieder einmal hautnah das Leben in Deutschland mitsamt dem Arbeitsalltag zu spüren. Auch wenn ich jedes Jahr nach Deutschland in den Urlaub oder für eine Geschäftsreise flog, ist dies nicht das gleiche wie sich hier auf einige Monate permanentes Leben einzurichten. Ferner war es mir wichtig, in Deutschland die Interaktion und Kommunikation im Geschäftsleben wieder zu spüren, nachdem davon oft in meinen interkulturellen Trainings und Coachings in China gesprochen wird. Ein Update der aktuellen Situation werde ich dann in meine Arbeit in China einbringen.

BDAE: Was fiel Ihnen nach der Rückkehr am meisten auf?

Mao: Die größte Herausforderung zu Beginn meiner Rückkehr war, dass in China kaum zwischen Arbeit und Privatleben getrennt wird. Das war teilweise recht extrem, zum einen auch durch die Zeitverschiebung mit Deutschland. Kaum hat man hier Feierabend, ist die Arbeit in Deutschland gerade so richtig am Laufen. Insofern kann ich das Leben vieler Expats in China gut nachvollziehen, Hut ab! Abgesehen davon ist der Arbeitstag hier auch mit sehr vielen Abendverpflichtungen verbunden. Man pflegt die Beziehung zum Geschäftspartner, geht gemeinsam essen und dies auch am Wochenende. Es ist in China selbstverständlich, dass man gar im Urlaub dem Geschäftspartner für Gespräche zur Verfügung steht. Dieser Umstand machte mir beim Einleben die meisten Schwierigkeiten. Das Sich-Zurückziehen mit gewissen Fixpunkten um zu sagen, ich bin jetzt angekommen, in der Art und Weise, dass ich auch meinen eigenen Rhythmus mit bestimmten Ritualen habe, dies erfordert sehr viel Selbstdisziplin. Das ist hier ganz anders als in Deutschland.

Schmitt: Mir fielen viele Dinge gleichzeitig auf. Einmal ist es nicht nur ein Klischee, sondern Wirklichkeit: Die gute Luft und viel Natur, auch in der Innenstadt, sowie die Ruhe, oft geregelt durch strenge Vorschriften, ließen mich viel ruhiger, viel konzentrierter werden. Ich konnte mich anfangs nicht sattsehen am Grün der Bäume, und ich begegnete intensiven Gerüchen, die ich lange nicht mehr so wahrgenommen hatte, zum Beispiel einem frisch gemähten Rasen oder einem frisch gebohnerten Treppenflur.

Weiterhin gibt es hier eine unübersehbare und überaus ausgeprägte Fahrradkultur – Fahrradwege, Fahrradkinderanhänger, Vorfahrt für Fahrräder, Fahrräder in den Bussen und Zügen und vieles mehr. Ich habe mir hier auch gleich ein gebrauchtes Rad gekauft, einfach wunderbar!

Noch einen großen Unterschied empfinde ich im Gespräch mit Deutschen in Sachen Humor. Häufig drückt er sich in Form von Ironie aus, etwas, was in China so nicht unbedingt verstanden wird. Ich erlebte zum Beispiel bei meiner Ankunft am Flughafen Frankfurt, dass mich der Zollbeamte fragte, ob ich aus Shanghai sei. Ich fragte ihn daraufhin, woher er das wisse und ob jetzt nur ein Flieger angekommen sei. Er erwiderte, er käme darauf, da mein Nachname einfach sehr chinesisch sei.

BDAE: Welche kulturellen Unterschiede zwischen Deutschland und China fallen Ihnen im Alltag besonders auf?

Mao: Zum einen lebe ich hier in noch ganz engem Kontakt zu meiner Familie und den Freunden, entsprechend ist die intensive Beziehungspflege deutlich ausgeprägter als in Deutschland. Es ist hier selbstverständlich, dass ich meine Eltern mindestens zweimal die Woche sehe und auch ab und zu mit ihnen telefoniere. Und dies ist bei mir keine Ausnahme: Die Beziehung zur Familie und Verwandtschaft ist sehr eng. In der Umkehrung bedeutet dies aber auch, dass ich durch meine Zeit in Deutschland sehr darauf bedacht bin, einen eigenen Freiraum zu haben, mich einfach zurückzuziehen, wann und wie ich will; dies fällt mir in China schwer. Es bedarf auch hier eines hohen Maßes an Selbstdisziplin, um sich Verschnaufpausen zu verschaffen. Ich musste mir konsequent einige Rituale einbauen, um zu festen Zeiten Yoga zu machen, zur Massage zu gehen oder in einem Park in Ruhe etwas zu lesen.

Abgesehen davon gibt es hier so viele Menschen, oft sind die Anfahrtswege zur Arbeit sehr lang, überall trifft man auf Leute. Es gibt in diesem Sinne kein grundsätzliches Verständnis darüber, dem anderen nicht zu nahe zu kommen. Diese Kulturprägung zieht sich im Grunde quer durch das gesamte Alltagsleben.

Ein weiteres Beispiel: Ich lebe schon seit über anderthalb Monaten wie auf einer Baustelle. In meinem Wohnkomplex finden ständig Ein- und Auszüge mit den damit verbundenen Renovierungen statt. Da denkt man, wenn zum Beispiel im 5. Stock ein Ausbau abgeschlossen ist, kann man endlich mal durchatmen, aber nein, gleich darauf fängt es im 13. Stock wieder mit Lärm an. Dieses Phänomen nimmt man in China einfach in Kauf, keiner beschwert sich.

Schmitt: Ich weiß in Sachen kulturellen Unterschieden gar nicht, wo ich anfangen soll. Als der Sommer in vollen Zügen Einzug hielt, fiel mir zum Beispiel die ausgeprägte Balkonkultur in der Innenstadt auf. Selbst die kleinsten Balkone werden zum Ausruhen, Genießen und Zusammenkommen genutzt und mit allerlei Dekor und Pflanzen hübsch gestaltet. In China zieht es die Menschen mehr nach draußen, um mit vielen Leuten gemeinsam das Tagesgeschehen zu teilen.

Ein weiterer Unterschied ist die Servicekultur. Im Vergleich zu China gibt es sehr wenig Personal, was zu einer langen Wartezeit oder sichtbaren Überlastungen führen kann. Darüber hinaus erscheinen viele Servicekräfte auch ausgesprochen unflexibel, was spezielle Essenswünsche – ich bin Vegetarier – angeht. Ein nächster Punkt ist die Offenheit der Menschen hier. Da ich in Heidelberg kaum Leute kenne und hier keinen Freundes- und Bekanntenkreis hatte, ging ich alleine auf manche Veranstaltung. Ich schätze mich als relativ offenen Menschen ein, der leicht auf andere zugehen kann. Doch im Unterschied zu China merke ich hier die starke Reserviertheit und das „im-eigenen-gewohnten-Kreis-bleiben-Wollen“. In China hingegen sind viele Leute sehr neugierig und gehen oft auf Fremde zu, um sie zu begrüßen und mit ihnen ganz unkompliziert ins Gespräch zu kommen. Meiner Wahrnehmung nach ist das generelle Interesse, neue Menschen kennenzulernen, bei vielen Deutschen nicht so stark ausgeprägt.

BDAE: Sehen Sie unterschiedliche Herangehensweisen in der Organisation des Arbeitslebens?

Mao: In Deutschland geht es da viel strukturierter zu. Dort kann ich meine Dinge gut eine Woche im Voraus planen und bei 70-80 Prozent kommen keine Änderungen mehr rein. Ich komme also morgens ins Büro und weiß im Grunde, was ich zu tun habe, kann also abarbeiten. In China hingegen kann ich – wenn überhaupt – nur einen Tag vorher planen. Das liegt zum Teil sicher auch an meiner Rolle und Aufgabe als Geschäftsführerin in Shanghai. Es geht mir primär darum, die Beziehungen zu den Geschäftspartnern, unseren Kunden und Lieferanten zu pflegen. Hier habe ich viel mehr Kundentermine als ich sie in Deutschland wahrnehme. Und ich gehe hier mit Geschäftspartnern deutlich mehr essen. So gesehen läuft es hier viel spontaner.

Schmitt: Mir fällt die starke Trennung zwischen Job und Privatleben auf. Die meisten Deutschen widmen sich nach ihrer Büroarbeitszeit ausschließlich privaten Dingen und ihren Hobbies. Ferner wird stark zwischen Kollege und Freund getrennt, es bilden sich kurzfristig wenige Freundschaften unter Kollegen, und es bleibt meist eine persönliche Distanz. In China dagegen sind die Übergänge eher fließend. Sowohl was Beziehungen zu den Mitarbeitern – in China schnell als „Freunde“ bezeichnet – als auch zeitliche Erreichbarkeit angeht, so gibt es da kaum spürbare Grenzen. Dazu gehört auch, dass viele Angestellte in Deutschland keine gemeinsamen Pausen machen oder zusammen Mittagessen gehen, ganz im Unterschied zu China, wo dieser kollektive Aspekt sehr betont wird.

Außerdem sind hierzulande Verbindlichkeit und Zuverlässigkeit wichtige Werte. Das genieße ich momentan sehr. Bei Entscheidungen ist daher oft auch eine lange Phase der Vorplanung notwendig, um für etwaige Änderungen gewappnet zu sein. Vieles läuft hier in starren Strukturen, von denen man nicht abweichen möchte. Prozesse laufen in sicheren festen Bahnen ab, und man hält sich vor allem im Grunde auch an diese Regeln. In der Kommunikation ist es wichtig, ein Gefühl von Sicherheit und Verbindlichkeit zu erzeugen. In meinem Arbeitsbereich Trainingsmanagement kam mir dabei erstmalig das für mich neue deutsche Wort „Stattfindegarantie“ unter, das genau diesen Charakterzug unterstreicht.

BDAE: Worin zeigen sich Ihrer Meinung nach die größten Unterschiede bei der Planung und Durchführung von Projekten?

Mao: Ich kann dies gut an einem deutsch-chinesischen Projekt illustrieren, welches wir gerade bei uns laufen haben. Auch in China gibt es eine Projektplanung mit genauer Struktur und Deadlines. Doch Änderungen kommen ständig. Wenn zum Beispiel eine Führungskraft wechselt, kann ein Projekt schnell zum Stillstand kommen. Führungskräfte müssen deshalb offen gegenüber Veränderungen sein, um flexibel darauf reagieren zu können und damit auch Entscheidungen zügig zu treffen. Damit geht auch eine größere Risikobereitschaft und mehr Einsatz einher, so dass Überlegungen wie „Gehen wir auf das Angebot des neuen Partners ein, auch wenn wir noch keinen Vertrag in der Tasche haben?“, „Wie schätze ich die Lage ein?“ oder „Kann ich das Projekt schon anlaufen lassen und gleichzeitig die Beziehungen zum Partner intensivieren?“ an der Tagesordnung sind.

In Deutschland wäre hier meist das Risiko viel zu groß. In diesem Punkt sehe ich die Stereotypen der beiden Kulturen voll bestätigt. Wenn man hingegen als Deutscher ein gewisses Maß an Risikobereitschaft nach China mitbringt, kann man des Öfteren sehr überraschende Veränderungen und positive Ergebnisse erleben, wenn dann plötzlich das Projekt doch vorangeht oder gar Folgeprojekte möglich gemacht werden. Dies hängt stark mit Vertrauen gegenüber dem Geschäftspartner zusammen. Diese Art der Flexibilität in der Projektplanung finde ich in China sehr bemerkenswert.

Schmitt: Bei der Durchführung von Projektarbeit steht für mich in Deutschland Verbindlichkeit im Vordergrund, das heißt, bei der Planung sollten später wenige Änderungen erfolgen. Um dem entgegenzuwirken, bedarf es langer Vorausplanung, guter Vorbereitung mit Vorlagen und Standardregeln, um das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Falls Änderungen auftauchen, werden sie meist schnell kommuniziert, was für mich ein großer Unterschied zu China ist. Dort habe ich so manchmal erlebt, dass aufgrund der Hierarchieebenen Kompetenzunklarheiten, Beziehungsverflechtungen oder der Wahrung des Gesichtes Änderungen nicht sofort weitergegeben werden. Sind einmal die Daten festgelegt, kann man in Deutschland von relativ wenigen Veränderungen von Kundenseite ausgehen. In China kann ich jedoch erwarten, dass sich noch etliche Verschiebungen ergeben. Dies ist völlig normal und okay, wenn ich mich darauf einstelle, flexibel zu sein und eben weiß, dass ich mich noch im gesteckten Projektrahmen bewege.

Hintergründe zum Interview:

Das Interview wurde uns von SinaLingua – Cross-Cultural Management, zur Verfügung gestellt.

Das Unternehmen bietet seit 15 Jahren Seminare für Mitarbeiter, die im internationalen Kontext arbeiten oder ins Ausland entsendet werden. Neben dem Hauptsitz in Heidelberg gibt es eine Niederlassung im chinesischen Shanghai.

www.sinalingua.de

Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe Oktober 2016 des Journals "Leben und Arbeiten im Ausland".

Das Journal erscheint monatlich kostenlos mit vielen informativen Beiträgen zu Auslandsthemen.

Herausgegeben wird es vom BDAE, dem Experten für die Absicherung im Ausland.