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Interview
Tobias Steinert

„Polen eignet sich sehr gut für berufliche Quereinsteiger.“

Tobias Steinert ist für den Job im Jahr 2021 nach Polen ausgewandert. Im Interview erzählt der 32-Jährige, warum Polen sowohl für Fachkräfte als auch für Quereinsteiger ein attraktiver Arbeitsmarkt ist, was er an der Mentalität der Menschen in Polen schätzt und warum er seinen Blog Auswandern Polen gegründet hat.

Sie sind gebürtiger Rheinland-Pfälzer und haben auch lange Zeit in Nürnberg gelebt. Warum haben Sie sich 2021 für Polen als Auswanderungsland entschieden?

Steinert: Generell haben mich die osteuropäischen Länder schon immer fasziniert. Ich mag die Mentalität der Menschen und die Natur. In den Jahren 2014 und 2015 hatte ich in Bulgarien Urlaub gemacht und schon damals mit dem Gedanken gespielt, dorthin auszuwandern. Polen fand ich bei meiner Jobsuche dann aufgrund der günstigen geografischen Lage sehr interessant. Es ist ein Nachbarland von Deutschland und grenzt an andere osteuropäische Länder, die ich gerne bereise.

Polen hatte gute Jobangebote für die Bereiche Vertrieb und Marketing, E-Commerce und Copywriting. Als ich im Juli 2021 nach Polen kam, war das schon ein kleines Abenteuer, denn ich hatte das Land zuvor nicht kennengelernt. Zuerst arbeitete ich für ein deutsches Unternehmen in Warschau, dann zog ich nach Lodz und seit acht Monaten lebe und arbeite ich in Krakau.

„Ich fühle mich in Polen sehr wohl.“

Hier fühle ich mich sehr wohl. In dieser Stadt leben viele Studierende, sie ist international, hat eine lange Geschichte und eine reichhaltige Kultur. Und es ist hier insgesamt etwas ruhiger als in Warschau. Auch wenn es ab Frühjahr wegen des Tourismus deutlich voller hier wird. Nichtsdestotrotz schätze ich die angenehme Atmosphäre dieser Stadt sehr.

Zu Polen hatte ich einen familiären Bezug, weil meine Großmutter in Masuren geboren wurde. Mein Eindruck ist, dass für die Menschen hier die Familie einen höheren Stellenwert hat und es hier weniger Vereinzelung gibt. Die Gemeinschaft ist wichtiger als das Individuum. Und es gibt mehr Solidarität als Spaltung.

Was machen Sie beruflich und wie sieht der Arbeitsmarkt in Polen für ausländische Fachkräfte aus?

Steinert: Aktuell arbeite ich als Account-Manager für Google Ads. Doch in Kürze trete ich meinen neuen Job bei einem polnischen Arbeitgeber als Werbetexter und Copywriter an. Gleichzeitig eröffne ich auch meine eigene Firma: Tobias Steinert Copywriting Expert. Ich biete Werbetexte sowohl für Privat- als auch Geschäftskunden an. Dazu zählen Social Media Posts, E-Mail-Marketing, als auch Blogbeiträge und Landingpages.

Polen ist für Deutschland mittlerweile ein sehr großer Absatzmarkt und inzwischen hat auch Polen mit einem Fachkräfte- und Personalmangel zu kämpfen.

Vor zehn Jahren gab es noch eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, seit 2010 sind zunehmend ausländische Unternehmen in Polen aktiv und daher schießen Jobs quasi wie Pilze aus dem Boden. Bis 2025 sinkt die Einwohnerzahl in Polen voraussichtlich auf 30 Millionen. Daher rekrutieren Unternehmen schon jetzt Fachkräfte aus dem Ausland. Polen ist somit sehr interessant für deutschsprachige Fachkräfte, aber auch für ungelernte Personen. Neben deutschsprachigem Personal sind Niederländisch, die skandinavischen Sprachen sowie Spanisch und Französisch sehr gefragt. Wer diese Sprachen fließend spricht, profitiert von einem höheren Gehalt.

In Deutschland ist der Markt für Berufseinsteiger nicht immer so attraktiv. Häufig gibt es erst einmal befristete Verträge und remote Arbeiten ist immer noch nicht überall so akzeptiert wie hier in Polen.

INTERVIEW AdobeStock 83189546Krakau, Polen © Elena Petrova,AdobeStock

Was macht den polnischen Arbeitsmarkt attraktiv?

Steinert: Im Unterschied zu Deutschland sind in Polen beispielsweise der rote Faden im Lebenslauf und die Zertifikate sowie Zeugnisse nicht so wichtig. Man kann hier sehr gut als Quereinsteiger Erfolg haben.

Das Hauptkriterium bei der Wahl der Arbeitnehmenden ist die deutsche Sprache. Hier wird sogar häufig ein sogenannter “Language Bonus”, also eine Sprachzulage gezahlt. Bis zu 2.000 Zloty (knapp 500 Euro) mehr Verdienst sind möglich, nur aufgrund der Tatsache, dass man fließend Deutsch spricht. Den Mythos, dass man Polnisch beherrschen müsse, kann ich auch nicht bestätigen. Solide Englischkenntnisse sind viel wichtiger als Polnischkenntnisse. Englisch ist in den meisten internationalen Unternehmen ohnehin die Sprache der internen Kommunikation.

„In Polen gibt es keine Steuerklassen.“

Und wenn man gut in seinem Job ist, steigt das Gehalt auch verhältnismäßig schnell. Seit meiner Ankunft im Sommer 2021 habe ich mein Gehalt verdoppelt. Das sind 100 Prozent in nur 2 Jahren durch 3 Jobwechsel!

Hinzu kommt, dass die Steuern und Sozialabgaben auf das Einkommen verhältnismäßig niedrig sind. Bei einer Festanstellung zahlt man maximal 31 Prozent. Handelt man einen B2B-Vertrag aus, also einen Freiberufler-Vertrag, dann zahlt man je nach Modell nur acht bis 19 Prozent Steuern. Es gibt übrigens auch keine Steuerklassen wie in Deutschland.

Für ausländische Arbeitnehmende zahlen viele Unternehmen überdies einen Relocation oder Welcome Bonus, also eine Einmalzahlung allein dafür, dass man einen Job antritt. Außerdem bieten sehr viele Firmen mobiles Arbeiten an oder 100 Prozent Homeoffice. Und ich sehe oft, dass es attraktive Arbeitnehmer-Benefits wie Nutzung aller Fitness-Studios oder eine private Krankenversicherung in Polen gibt.

INTERVIEW Tobias Steinert 1Tobias SteinertWie würden Sie die polnische Mentalität beschreiben – im Unterschied zur deutschen? Was schätzen Sie am Mindset der Menschen in Polen?

Steinert: Ich nehme die Polen als tendenziell pessimistisch wahr, aber es handelt sich dabei eher um eine Art Zweckpessimismus. Denn schlussendlich finden sie immer eine Lösung. Beispielsweise stelle ich bei der Arbeit fest, dass manche polnischen Kolleginnen und Kollegen bei avisierten Deadlines erst einmal sagen, dass sei nicht realistisch. Und dann klappt es am Ende doch.

Auf mich wirken die Menschen hier sehr diszipliniert, aber auch etwas spontaner als die Deutschen. Vielleicht sind sie auch etwas chaotischer als wir, aber sie sind dafür echte Organisationstalente. Zum Beispiel werden Projekte nicht so stark strukturiert, wie ich es in deutschen Unternehmen erlebt habe. Die Herangehensweise mag etwas ungeordneter erscheinen, doch das Ergebnis ist deswegen nicht weniger gut. Generell fällt mir auch auf, dass hier Leistung mehr zählt als andere Merkmale wie etwa das Alter.

Was mich überrascht hat, ist meine Beobachtung, dass der religiöse Einfluss im Alltag gar nicht so stark ist wie gedacht – zumindest in den Städten. Ich hätte erwartet, dass ich mehr von der katholischen Prägung der Menschen mitbekomme.

Ansonsten empfinde ich die Menschen hier als emotional, familienorientiert und sehr gastfreundlich. Dieser Mentalitätsmix liegt und gefällt mir. Mein Freundeskreis ist sehr international und besteht sowohl aus polnischen Freunden als auch aus Zugereisten aus anderen Ländern. Gleichwohl ist es mein Wunsch, mich noch mehr in die polnische Gesellschaft zu integrieren und ich möchte noch viel mehr über das Land erfahren und es bereisen.

Wenn Sie erzählen, dass Sie nach Polen ausgewandert sind – wie reagieren die Menschen für gewöhnlich? Gibt es Vorurteile?

Steinert: Meistens bekomme ich lautes Schweigen als Reaktion. Oft ist die erste Reaktion Erstaunen, denn noch ist Polen nicht das klassische Auswanderungsland. Dabei wandern jährlich 8.000 Deutsche nach Polen aus.

„Die Menschen hier sind sehr familienorientiert und gastfreundlich.“

Natürlich hätte ich auch nach Griechenland gehen können. Immerhin habe ich dort im Juni 2021 ein durchaus lukratives Angebot in Thessaloniki bekommen. Aber schönes Wetter ist nicht alles. Und es macht einen Unterschied, ob man ein Land im Urlaub erlebt oder ob man dort arbeitet.

Das ist auch ein Grund, warum ich meinen Blog auswandern-polen.de gegründet habe. Ich wollte mit einigen Vorurteilen aufräumen. Ich wollte mit Mythen und Klischees aufräumen und zeigen, dass Polen ein attraktives und interessantes Land ist. Als ich selbst meine Auswanderung plante, habe ich nur wenige Infos über das Leben und Arbeiten in Polen gefunden – und wenn, dann waren es veraltete oder falsche Daten.

„Polen ist kein Billiglohnland mehr.“

Polen ist schon lange kein Billiglohn-Land mehr. Auch die Lebenshaltungskosten sind schon seit geraumer Zeit nicht mehr so niedrig. Ich selbst zahle inzwischen 600 Euro Miete für ein 18qm großes Luxusappartment im Zentrum von Krakau. 

Mir ist es mit meinem Blog ein Anliegen, auch Insider-Wissen zu verbreiten, etwa über die Verdienstmöglichkeiten hier. Durch die sozialen Medien stelle ich fest, dass das Thema immer mehr Anklang findet. Ich wurde sogar zu Polski Radio in Warschau eingeladen, um über meine Auswanderung zu sprechen.

Ist Deutschland überhaupt noch ein attraktives Aufenthaltsland für Polinnen und Polen?

Steinert: Es gibt durchaus noch viele Polen, die nach Deutschland wollen. Das betrifft hauptsächlich Ärzte, Pflegekräfte und Handwerker. Diese Bereiche sind in Polen noch recht unterfinanziert und bieten keine hohen Einkommenschancen.

Das wird sich vermutlich ändern, denn seitdem Polen 2007 dem Schengen-Raum beigetreten ist und unter anderem von EU-Fördergeldern profitiert hat, ist viel passiert. Diese Maßnahmen haben unzählige Investoren angelockt und die Entwicklung geht weiter.

Welchen Personen beziehungsweise Personengruppen würden Sie empfehlen, nach Polen zu gehen und warum?

Steinert: Polen eignet sich sehr gut für berufliche Quereinsteiger. Es kursiert immer noch das Klischee, dass man nur mit hochdotierten Jobs eine Tätigkeit im Ausland findet. Das trifft hier nicht zu. Hier finden Personen schnell einen Job, die motiviert sind, aber auch Fachkräfte, die den nächsten Schritt gehen möchten, können hier gut vorankommen. Es wird von den Unternehmen hierzulande stark honoriert, wenn Deutsche für einen Job nach Polen gehen.

Mir fällt auch auf, dass es hier kaum Altersdiskriminierung gibt. Personen über 50 Jahre sind hier zum Beispiel sehr willkommen. Ich hatte bei meinem ersten Arbeitgeber einen Kollegen, der Mitte 50 war und ziemlich schnell beruflich aufgestiegen ist. Man hat seine Erfahrung honoriert und ihm nach relativ kurzer Zeit eine Teamleitungs-Position angeboten. Generell empfinde ich Polen als ein arbeitnehmerfreundliches Land.

Wie steht es um das Gesundheitssystem in Polen? Wie gut ist die Versorgung?

Steinert: Das staatliche Gesundheitssystem ist noch stark unterfinanziert, aber über den Nationalen Gesundheitsfonds hat jeder in Polen Anspruch auf kostenfreie Behandlung in Kliniken und zugelassenen Arztpraxen.

Viele Arbeitgeber bieten eine private Krankenversicherung an, mit der man sich in Privatkliniken behandeln lassen kann. Anders als in Deutschland kann sich jeder privat krankenversichern, die Versicherbarkeit ist nicht an eine Einkommensgrenze gebunden.

Können Sie sich vorstellen, für immer in Polen zu bleiben oder ist eine Rückkehr nach Deutschland in absehbarer Zukunft geplant?

Steinert: Für die nächsten Jahre plane ich nicht, nach Deutschland zurückzukehren. Ich möchte gerne mindestens zwei weitere Jahre in Polen verbringen. Danach kann ich mir vorstellen, mich nach Südosteuropa zu orientieren. Vielleicht sogar Bulgarien. Aber auch der postsowjetische Raum ist aufgrund meiner russischen Sprachkenntnisse und Lebenserfahrung sehr interessant für mich.

Doch die Welt dreht sich so schnell, daher kann ich auch meine persönliche Zukunft beziehungsweise meinen künftigen Aufenthaltsort schwer vorhersehen. Grundsätzlich bin ich aber für interessante Geschäftskontakte immer offen. Wer Interesse hat, darf sich gerne bei mir melden! 

Tobias Steinert Blog
„Auswandern nach Polen“

Der 32-Jährige Tobias Steinert weiß aus eigener Erfahrung, wie schwierig es sein kann. Arbeit in Polen als Deutscher zu finden. Kaum verfügbare Informationen im Internet, in einschlägigen Foren erhält man Ratschläge wie „Man kann nur als Ingenieur oder Handwerksmeister nach Polen auswandern und muss sich selbstständig machen“. Das kann sehr schnell entmutigen. Doch er und viele anderen Deutsche haben das Gegenteil bewiesen, arbeiten in Polen und machen dort Karriere.

Mit seinem Blog möchte er mit Vorurteilen und Klischees über das Leben in Polen aufräumen und außerdem valide Informationen zum Auswandern nach Polen bieten.

auswandern-polen.de

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Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe April 2023 des Journals "Leben und Arbeiten im Ausland".

Das Journal erscheint monatlich kostenlos mit vielen informativen Beiträgen zu Auslandsthemen.

Herausgegeben wird es vom BDAE, dem Experten für die Absicherung im Ausland.