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Gesundheit
© Syda Productions, AdobeStock

Wie geschlechtsspezifische Medikation funktionieren kann

Die medizinische Versorgung hat vor allem das männliche Geschlecht im Blick. Der Mann ist in der Medizin nach wie vor “der Standard”, und das kann vor allem für Frauen gefährliche Folgen haben. Egal ob Antidepressiva, Narkosemittel, Herz-Kreislauf-Medikamente, Entzündungshemmer oder Schlafmittel: Die Liste an Medikamenten, die in ihrer Wirkweise bei Frauen anders sind als bei Männern, ist lang.

Dazu gehört etwa Zolpidem – das beliebteste Schlafmittel in den USA. 2013, mehr als 20 Jahre nach der Zulassung dieses Medikaments, wurde gewarnt, dass Frauen eigentlich niedrigere Dosen nehmen müssten – und am nächsten Morgen gar nicht Autofahren dürften. Im neuen Podcast der Apotheken Umschau The Sex Gap - Der Podcast zu geschlechtergerechter Medizin geht die Gesundheitsjournalistin Kari Kungel gemeinsam mit Expertinnen und Experten der Frage auf den Grund, warum sich die Forschung vorwiegend an Männern orientiert – und welche Folgen das haben kann.

Ein Grund, dass so wenige Frauen an Medikamentenstudien teilnehmen, ist die leichtere Rekrutierung von Männern. Denn Frauen, die an Studien teilnehmen, dürfen nicht schwanger werden – und müssen sogar doppelt verhüten. Frauen, die das nicht möchten, sowie Schwangere und Stillende sind in den meisten Studien also nicht dabei.

Geschlechterspezifische Daten gibt es oft nicht

Erst seit 2004 ist es in Deutschland vorgeschrieben, Medikamente auch an Frauen zu testen – das heißt aber auch, dass heute sehr viele Medikamente auf dem Markt sind, die schon vorher zugelassen wurden. Ohne geschlechterspezifische Daten! Die Podcast-Hörer*innen lernen, dass selbst wenn Frauen an Studien beteiligt sind, das nicht unbedingt bedeutet, dass die Ergebnisse auch geschlechtsspezifisch analysiert werden.

Sollten Frauen deswegen sicherheitshalber immer nur die Hälfte nehmen? Nein. „Gehen Sie ins Gespräch mit der Person, die Ihnen das Medikament verschrieben hat“, erklärt die Ärztin Prof. Dr. Sabine Oertelt-Prigione, die an der Universität Bielefeld die deutschlandweit erste Professur für geschlechtersensible Medizin hat. Also nicht selbst entscheiden, sondern immer den Arzt oder die Ärztin fragen. Ideal wäre es, die Behandlung individuell an jede einzelne Person anzupassen – doch das ist erstmal Zukunftsmusik.

Der Podcast ist unter anderem bei Apple Podcasts und Spotify sowie überall sonst, wo es Podcasts gibt, zu abonnieren.

Unter gesundheit-hören.de gibt es alle Folgen und weitere Podcasts aus dem Audioangebot der Apotheken Umschau.

Junge Generation will geschlechtergerechte Medizin

Vor allem der jüngeren Generation ist es wichtig, dass in der medizinischen Versorgung stärker auf das Geschlecht geschaut wird, das zeigt eine Umfrage der Krankenkasse BKK VBU. Während den meisten Menschen nicht bewusst ist, dass der männliche Körper in der Medizin als Standard gilt, sind es die unter 30-Jährigen, die Änderungsbedarf sehen und sich ein Umdenken wünschen.

Jüngere Menschen sind stärker sensibilisiert für die Ausrichtung der medizinischen Versorgung am „männlichen Normkörper“ als ältere Menschen und fordern dementsprechend eine geschlechtsspezifische Gesundheitsversorgung ein – so die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage unter mehr als 1.000 Erwachsenen der BKK VBU. Diese zeigt: Mehr als ein Drittel der unter 30-Jährigen (36 Prozent) geht von einer männlichen Orientierung in der medizinischen Versorgung aus. Bei den älteren Menschen ab 60 Jahren sind dies nur acht Prozent.

Männlicher Körper ist Bewertungsmaßstab

Gesamt betrachtet sind knapp drei Viertel der Bundesbürger der Auffassung, dass die medizinische Versorgung gleichermaßen an beiden Geschlechtern ausgerichtet sei, mit 73 Prozent der Männer und 72 Prozent der Frauen sind beide Geschlechter hier gleicher Meinung. Die Realität zeigt jedoch: Der männliche Körper gilt in der Medizin als Bewertungsmaßstab, egal ob im Behandlungszimmer, in der Notaufnahme oder bei klinischen Studien, in denen vor allem Daten und Erkenntnisse über Männer gesammelt werden. Zu den Folgen des sogenannten gender data gap gehören unerkannte Symptome wie zum Beispiel bei einem Herzinfarkt oder die Tatsache, dass Frauen häufiger unter unerwünschten Nebenwirkungen von Medikamenten leiden.

Dass sich dies ändern muss, sehen vor allem die Jüngeren: Mit 66 Prozent geben sie an, dass es ihnen wichtig beziehungsweise sehr wichtig ist, dass die medizinische Versorgung stärker auf das Geschlecht schaut. In der Gesamtbetrachtung zeigt sich, dass sich über die Hälfte eine geschlechtsspezifische Versorgung wünscht. Hierbei ist es den Frauen mit 60 Prozent noch wichtiger als den Männern (mit 47 Prozent).

„Wir haben hier eine Erwartungshaltung aufgebaut, zu der wir Antworten brauchen“ so Andrea Galle, Vorständin der BKK VBU. „Es muss daher unser gemeinsames Anliegen sein, eine medizinische Versorgung voranzubringen, die Frauen wie auch Männern besser gerecht wird, in dem sie geschlechtsspezifische Besonderheiten in den Blick nimmt. Dazu gehört auch, den weiblichen Blick zu stärken in Entscheidungsstrukturen des Gesundheitssystems, die meist von männlicher Sicht geprägt sind. Davon können nur beide Geschlechter profitieren“, fordert Andra Galle.

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Beispiel Verhütung: Ungleich verteilt zu Lasten der Frau

Ein Ungleichgewicht in der Versorgung zeigt sich auch am Beispiel von verschreibungspflichtigen Verhütungsmitteln. Wenn Frauen auf künstliche Hormone in Form der verschreibungspflichtigen Antibabypille verzichten wollen, fehlt es an Alternativen. Entscheiden sie sich für die Pille, müssen mit einer Vielzahl von Nebenwirkungen wie zum Beispiel einem erhöhten Risiko für Thrombosen und Lungenembolien leben. Dennoch wird vorausgesetzt, dass Frauen diese Nebenwirkungen zuzumuten sind. „Um auch hier eine Versorgungssituation zu schaffen, die beiden Geschlechtern gerecht wird, braucht es unbedingt mehr Forschungsinteresse und Engagement seitens der Politik“, fasst Galle zusammen. 

Kari Kungel, Host des Podcasts „The Sex Gap“ und Audio-Redakteurin von „gesundheit-hören.de“; © Stephan Höck, Wort & Bild Verlag - Verlagsmeldungen

„The Sex Gap“ - der neue Podcast zur geschlechtersensiblen Medizin

Geht eine Frau zum Arzt – so beginnt kein guter Witz, sondern es ist eher der Einstieg in medizinische Diskriminierung. Denn der Mann ist häufig „die Norm“ in der Medizin. Für Mädchen und Frauen ist das gefährlich: Symptome wie zum Beispiel von ADHS werden übersehen, Medikamente wie Schlafmittel zu hoch dosiert. Das kann Patientinnen in Lebensgefahr bringen. Was läuft schief, was muss sich ändern? Die Gesundheitsjournalistin Kari Kungel macht sich in „The Sex Gap“, dem neuen Podcast zur geschlechtersensiblen Medizin von gesundheit-hören.de und der Apotheken Umschau, als Podcast-Host auf die Suche nach Antworten und spricht mit Expert*innen und Betroffenen.

Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe Januar 2023 des Journals "Leben und Arbeiten im Ausland".

Das Journal erscheint monatlich kostenlos mit vielen informativen Beiträgen zu Auslandsthemen.

Herausgegeben wird es vom BDAE, dem Experten für die Absicherung im Ausland.