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Interview

„Die wirklich lebenswerten Länder erkennt man oft erst in schwierigen Zeiten.“

© Matt Abold

Vor mehr als zehn Jahren wanderte Matt Abold nach Thailand aus. Im Interview schildert er, warum Thailand so lebenswert ist und was der Staat besser macht, um die Menschen gut durch die Covid-19-Pandemie zu bringen.

Warum Thailand als Reise- und Auswandererziel für viele Menschen so attraktiv?

Abold: Zum einen ist das Land sehr gut erreichbar, auch Touristen- und Aufenthaltsvisa sind recht einfach zu erlangen. Die Infrastruktur ist mittlerweile gut entwickelt und hat sich in den letzten Jahren extrem verbessert. Ein großes Plus in Thailand ist zudem die Freundlichkeit der Menschen. Das mag auch an der buddhistischen Kultur liegen. Es gibt kaum Aggressivität, der Umgang der Menschen untereinander und auch mit Fremden ist in der Regel sehr wertschätzend. Das macht Thailand auch zu einem beliebten Reiseziel bei Familien und allein reisenden Frauen beispielsweise.

Sie haben sich mit 43 selbst pensioniert, wie Sie auf Ihrem Blog schreiben, und sind 2009 nach Thailand ausgewandert. Wie haben Sie das geschafft?

Abold: Dazu muss ich etwas ausholen. Ich bin schon als junger Mann viel und gerne mit dem Rucksack um die Welt gereist. Als ich 19 war, arbeitete ich auch zwei Jahre für eine große Bank in Bangkok und drei Jahre in Hongkong. Nach meiner Rückkehr nach Deutschland bot es sich dann an, eine Banklehre zu machen. Der Job war jedoch von Anfang an Mittel zum Zweck. Ich wollte genug Geld verdienen, um weiterhin viel reisen zu können. Alle paar Jahre habe ich meinen Arbeitgeber gewechselt und somit mein Gehalt jedes Mal nahezu verdoppelt.

Irgendwann fragte ich mich jedoch: Was mache ich hier eigentlich? Ich habe praktisch dafür gesorgt, dass Unternehmen auf legalem Wege Steuern sparen. Als Banker hatte ich nicht das Gefühl, etwas Wertschaffendes zu machen. Diese Erkenntnis kam mir nicht über Nacht, es war ein schleichender Prozess des Infragestellens. Klar, ich habe davon sehr profitiert, aber irgendwann reifte die Entscheidung, auszusteigen. Nach einer Bankenfusion war es dann soweit. Die Zeichen standen ohnehin auf Umbruch. Ich war inzwischen geschieden und als ich meine zweite Frau in Frankfurt kennenlernte, war auch Thailand als Ziel klar. Meine Frau kommt ursprünglich aus Chumphon im Süden Thailands, wo wir unser Anwesen haben und ich fest in die Gesellschaft integriert bin.

„Die Sprache der Einwohner eines Landes zu erlernen, gehört für mich zum Eintauchen in die Kultur dazu.“

Thailand ist ein sehr beliebtes Ferienziel, doch es ist etwas anderes dort zu leben. Wie haben Sie es geschafft, sich so gut zu integrieren?

Abold: Zunächst einmal, indem ich Thai gelernt habe. Das war auch insofern notwendig, als in Chumphon niemand Englisch spricht. Es ist weniger touristisch als in anderen Gegenden oder als in Bangkok. In der Hauptstadt leben 15 Millionen Menschen, hier gerade einmal 50.000. Die Sprache der Einwohner eines Landes zu erlernen, gehört für mich zum Eintauchen in die Kultur dazu. Ich habe mich schon immer für interkulturelle Zusammenhänge interessiert und mich beispielsweise mit der Arbeit des Kulturwissenschaftlers und ehemaligen IBM Mitarbeiters Geert Hofstede befasst. Als ich für ein paar Jahre bei einer niederländischen Bank arbeitete, lernte ich Hofstede auch persönlich kennen, der er brachte unseren Mitarbeitern interkulturelles Management bei. Dieser hat bereits in den 80-er Jahren des vorigen Jahrhunderts versucht, Variablen für eine bessere Beschreibung und Erörterung von einzelnen Landeskulturen aufzustellen. Er hat beispielsweise in eine Variable gefasst, welche Kulturen eher kollektivistisch und welche eher individualistisch geprägt sind.

„Ich bin im Ausland deutscher geworden als in Deutschland.“

Ich bin insoweit gut in Thailand integriert, dass ich sagen kann, dass mein Freundeskreis überwiegend aus Thais besteht und der Anteil deutscher Freunde hier im Vergleich wesentlich geringer ist. Was manchmal bei Thais für Irritationen sorgt, ist mein südthailändischer Dialekt. Das ist wahrscheinlich so ähnlich, wie wenn ein Thai in Deutschland einen schwäbischen Dialekt hat.

Um sich gut zu integrieren, muss man vielleicht auch eine emotionale Distanz zu seinem Heimatland aufbauen. Die Distanz zu Deutschland hat kurioserweise inzwischen bei mir dazu geführt, dass ich im Ausland deutscher geworden bin als ich es vorher war. 

Wie äußert sich das? 

Abold: Beispielsweise bin ich extrem politisch geworden. Ich vergleiche gerne Deutschland und Thailand bei der Bewältigung von nationalen und internationalen Herausforderungen – sowohl politischer, wirtschaftlicher als auch gesellschaftlicher Art. Ich habe irgendwann festgestellt, dass die thailändische Politik und auch die Menschen hier, Probleme besser lösen als beispielsweise die Deutschen. Gleichzeitig beobachte ich, wie sich Gruppierungen aus dem Ausland in Sachverhalte hierzulande einmischen, von denen sie eigentlich keine Ahnung haben und die sie dementsprechend nicht beurteilen können.

INTERVIEW Affe Kokosnuss Salaeng ThailandEin Kokusnuss pflückender thailändischer Affe nach getaner Arbeit. (Foto: Matt Abold) 

Beispielsweise betreibt die Organisation PETA seit letztem Jahr eine Kampagne gegen Affen und Kokosnüsse. Konkret rufen die Aktivisten gegen den Kauf von Kokosnüssen auf, die von Affen in Thailand geerntet werden. Diese würden angeblich gequält. Also verbannten einige europäische Supermärkte diese Kokosnüsse aus dem Sortiment. Seit Jahrhunderten gehören Affen zu thailändischen Familien, die Kokosnusspalmen ziehen und es ist eine wahre Freude den Affen dabei zuzusehen, wie sie geschickt und flink die reifen Kokosnüsse ernten. Anders als die Lügenkampagne von PETA suggeriert, ist ein Tagespensum der Affen von 1.000 Kokosnüsse die absolute Ausnahme; 300 Nüsse am Tag sind eher normal. PETA nimmt gerne Extrembeispiele und verallgemeinert es dann einfach so. Bei Anzeichen von Ermüdung bei den Affen wird eine Pause im Schatten eingelegt. Ich selbst durfte mit ansehen, wie ein Jugendlicher mit einem Fächer einem Affen einen kühlenden Luftzug verschaffte. Auch wollen die Affen, ähnlich einem Kleinkind, ständig unterhalten werden.

„Warum versuchen europäische Medien nicht einmal, in die Schuhe dieser südostasiatischen Länder zu schlüpfen?“

Ein weiteres Thema, bei dem ich inzwischen sehr politisch werde, ist die Bekämpfung des Klimawandels. Je mehr man sich beispielsweise zum Thema CO2-Reduktion einliest, desto mehr erfährt man anderes, als gemeinhin thematisiert wird in den deutschen Medien. Zum Beispiel speichert die Mangrove viel mehr Co2 als die Bäume im Amazonas. Sie sind die wahre Lunge der Erde und für den Klimawandel in vielerlei Hinsicht entscheidend. Aber warum wird in europäischen Medien so wenig über die positive Rolle von Mangroven beim Kampf gegen den Klimawandel berichtet? Stattdessen werden insbesondere Thailand, Malaysia und Indonesien häufig im Zusammenhang mit Skandalen erwähnt, die oft auf Halbwahrheiten fußen. Bestes Beispiel ist die Kampagne gegen Palmöl. Objektive Debatten werden meiner Wahrnehmung nach zu diesem Thema jedenfalls nicht geführt. Warum versuchen europäische Medien nicht einmal, in die Schuhe dieser südostasiatischen Länder zu schlüpfen? Ist das westliche Arroganz?

INTERVIEW Mangroven Saetzlinge freiwilliger Klimaschutz Chumphon ThailandEinheimische von Chumphon transportieren Mangrovensetzlinge für den Klimaschutz. (Foto: Matt Abold)

Was wir in Deutschland als hochentwickelt definieren, ist aus meiner Sicht manchmal fragwürdig. Beispielsweise diskutieren wir über „Mee too“ und über Frauenquoten in DAX-Unternehmen. Wie wird denn in Thailand anders mit Diskriminierung und Gleichheit umgegangen als in Deutschland? Sie finden kein Land auf der Welt mit einem höheren Frauenanteil im Management als in der Finanzbranche in Thailand. Ich mutmaße, dass der Anteil an Frauen in Führungspositionen in Thailand weltweit Spitzenwerte einnimmt.

Ich bin in der Vogelperspektive und kann das Geschehen in Deutschland besser beobachten und ich könnte noch unzählige solcher Beispiele aufführen, aber das würde den Rahmen sprengen.

„Thailand ist von Flexibilität getragen.“

Wie meistert Thailand aus Ihrer Sicht die Coronakrise im Vergleich zu Deutschland?

Abold: Wissen Sie, wirklich lebenswerte Länder erkennt man oft erst in schwierigen Zeiten. Für Thailand gilt das umso mehr. Insbesondere die Coronapandemie hat gezeigt, wie gut das Leben in Thailand ist. Dieses Land ist von Flexibilität getragen, es ist nicht so starr wie andere Staaten. In der Pandemie bedeutete das, dass schnell und ergebnisorientiert gehandelt wird. Der Staat hat zuallererst dem Mittelstand und dann erst den Konzernen geholfen. Bei Großunternehmen, in dem Fall ausschließlich Kapitalgesellschaften, schien in Deutschland ganz besonders viel Geld vom Staat und vor allem schnell vorhanden zu sein. Die systemunrelevante TUI mit ihren läppischen 12.000 Mitarbeitern in Deutschland hat bei insgesamt drei Hilfspaketen circa 4,5 Milliarden Euro in Form von Zuschüssen, Krediten und Anteilen als Corona Hilfe bekommen. Der seit Jahren extrem schlecht geführte Lufthansakonzern wurde gleich vor dem drohenden Konkurs mit neun Milliarden Euro gerettet. 2,5 Millionen, hauptsächlich Selbstständige in Deutschland, mussten sich im November erstmals mit neun Milliarden Hilfe für Corona zufriedengeben. Wohlgemerkt, nachdem Covid-19 schon neun Monate gewütet hat.

Was machen die Verantwortlichen in Thailand? Jedenfalls keine absurden Vorschriften, bei denen am End niemand mehr durchblickt. Die Grund- und Immobiliensteuer wurde für 2020 und 2021 um sage und schreibe 90 Prozent reduziert. Strom- und Wasserkosten wurden in mehreren Etappen teilweise bis zu 100 Prozent reduziert. Bei Geringverbrauchern war dies am meisten und selbst Vielverbraucher bekamen insgesamt über 30 Prozent Nachlass als Hilfe.

Schulkinder, die online lernten, wurden Internet- und andere Beihilfen gezahlt. Schon vor Corona waren die Investitionen in die Infrastruktur bemerkenswert. Mit Corona wurden nochmals hunderte Milliarden Baht in Straßen-, Schienen- und U-Bahninfrastruktur gesteckt. Um den Binnentourismus anzukurbeln wurden Hotelübernachtungen, Flüge und sonstige Kosten, teilweise bis 40 Prozent bezuschusst. Und ich könnte noch viele weitere Beispiele dieser Art aufzählen.

„An erster Stelle steht in Thailand immer die Familie.“

Was schätzen Sie an der thailändischen Kultur besonders?

Abold: Thailand ist von zwei Ländern historisch geprägt: China und Indien. Es ist jedoch nie von einem dieser Länder und überhaupt nie – nicht einmal von den Briten – kolonialisiert worden, sondern konnte Großmächte schon immer abwehren und friedlich mit ihnen koexistieren. Das sagt schon viel über die Menschen und die Kultur in diesem Land aus.

Es gibt hier ein Sprichwort, das sinngemäß heißt: Man ist ein Frosch unter der Kokosnussschale. Die Kokosnussschale symbolisiert die Welt. Man sollte die Schale mal etwas anheben, um zu sehen, was es noch woanders gibt. Im Deutschen kommt dies dem sogenannten Blick über den Tellerrand am nächsten.

Was mir hier sehr gefällt, ist dass es keine Diskriminierung gegenüber anderen Hautfarben gibt. Es kommt vor, dass Europäer wegen ihrer hellen Haut eher positiv diskriminiert werden, aber diesen Rassenhass aufgrund der Hautfarbe gibt es hier nicht.

In Chumphon leben viele Gastarbeiter aus Myanmar. Dabei gab es öfter Krieg zwischen den beiden Ländern. Dennoch werden diese Gastarbeiter besser behandelt als Deutschland zum Beispiel Rumänen und Bulgaren in Schlachthäusern behandelt oder auch osteuropäische Erntehelfer. Hier gibt es generell in der öffentlichen Diskussion weniger Extreme, kein so starkes links oder rechts. An erster Stelle steht einfach immer die Familie, es wird daher auch nicht so viel vom Staat erwartet.

Auch die wirtschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten sind in Thailand viel größer als in Deutschland. Es ist möglich, ein Kleinunternehmen zu gründen, ohne Steuern zu zahlen. Das sind wirtschaftliche Freiheiten, die es in Deutschland nie geben würde. Freiberufler in Deutschland können sicherlich ein Lied davon singen, mit welchen absurden administrativen Aufwand Soloselbständige zu kämpfen haben. Sind sie erfolgreich, möchte das Finanzamt auch ganz schnell seinen Anteil. Können Sie nicht erfolgreich sein, zum Beispiel während der Covid-19 Pandemie, dann bekamen viele für lange Zeit keine staatliche Hilfe. Es hat mich sechs Jahre gekostet, bis ich alle Formalitäten mit dem deutschen Finanzamt geklärt hatte und ihm klarmachen konnte, dass ich schon lange nicht mehr in Deutschland lebe und arbeite.

In Thailand bedeutet soloselbständig zu sein in erster Linie, keine Steuern oder sozialen Abgaben zahlen zu müssen. Ein Privileg, das Deutschland nur einigen Großkonzernen gewährt. Es bedeutet auch, keine Buchführungspflicht, keine Anmeldungen, keine Leistungsprüfungen und eigentliche kaum Schnittpunkte mit der staatlichen Verwaltung haben zu müssen. Im Gegenzug gibt es aber auch kein Arbeitslosengeld, welches in Thailand ohnehin nur für wenige Monate bezahlt wird. Da jeder Thailänder automatisch auch krankenversichert ist, können sich diese Unternehmer voll und ganz aufs Geldverdienen konzentrieren.

Trotz aller Kritik an Deutschland - haben Sie manchmal Heimweh und was tun Sie dagegen?

Abold: Ja, manchmal schon, aber ich habe gute Mittel gegen Heimweh gefunden. Manchmal hilft schon ein Kartoffelsalat mit Bratwurst. Wenn sich Besucher auch Deutschland bei uns ankündigen, dann bestelle ich Pfanni Bratkartoffeln zum Selbermachen und jede Menge Kirschmarmelade, denn es gibt keine Kirschen in Thailand.

Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe Dezember des Journals "Leben und Arbeiten im Ausland".

Das Journal erscheint monatlich kostenlos mit vielen informativen Beiträgen zu Auslandsthemen.

Herausgegeben wird es vom BDAE, dem Experten für die Absicherung im Ausland.