„Viele Entscheider in der Personalabteilung können die Herausforderungen für Expats nicht nachvollziehen“
Thomas Nolting, Geschäftsführer eines deutsch-chinesischen Maschinenbau-Unternehmens, war für den Konzern ThyssenKrupp zwei Mal als Expat im Ausland. Im Interview erzählt er, warum diese Auslandseinsätze im positiven Sinne prägend waren, welche Vor- und Nachteile langfristige Entsendungen für Expats mit sich bringen und wie ihn sein Arbeitgeber nach über 30 Jahren dann doch sehr enttäuschte.
BDAE: Sie sind für den Konzern ThyssenKrupp zwei Mal im Ausland gewesen – zunächst 2007 bis 2010 in den USA, dann 2011 bis 2013 in Shanghai. Was war der Anlass für beide Auslandsaufenthalte?
Nolting: ThyssenKrupp hatte Anfang des Jahres 2000 seine USA-Aktivitäten für unseren Geschäftsbereich dort gestartet und bei meiner Tätigkeit bedeutete dies, dass ich regelmäßig Geschäftsreisen zum Standort in Detroit unternehmen musste. Ich bin in den Jahren 2005 bis 2007 regelmäßig zwischen Detroit und Hannover gependelt und habe dann irgendwann gemerkt, was für eine physische und psychische Belastung dies eigentlich bedeutet. Hinzu kam, dass in dieser Zeit der Irakkrieg stattfand. Es war dann unter anderem auch die Auseinandersetzung mit diesem Krieg, die mir vor Augen führte, wie stark mich dieses Pendeln zwischen zwei Welten beeinträchtigte.
BDAE: Inwiefern?
Nolting: Etwa alle 14 Tage hörte ich eine politisch anders gefärbte Berichterstattung zu diesem Krieg. In den USA war diese weitaus positiver, also Pro-Irakkrieg, wohingegen die Deutschen zu jenem Zeitpunkt ja sehr pazifistisch eingestellt waren und sich mehrheitlich gegen den Waffeneinsatz des US-Militärs aussprachen. Meine Meinung dazu war natürlich auch von den Amerikanern beeinflusst, was mein Umfeld in der Heimat irritierte. Da habe ich auch gemerkt, wie sehr die räumliche und soziale Umgebung ein Individuum prägen und beeinflussen kann, und welche Spannungsfelder sich daraus ergeben können.
Diese Situation damals war auch eine interkulturelle Herausforderung, auf die ich nicht vorbereitet gewesen bin. Schließlich fühlte ich mich regelrecht entwurzelt. Ich wusste gar nicht mehr genau, wo ich eigentlich hingehörte – in die USA oder nach Deutschland? Durch die vielen Aufenthalte am ThyssenKrupp-Standort in Detroit hatte ich mir einen Freundeskreis aufgebaut, hatte aber auch weiter meine Familie und Freunde zu Hause bei Hannover. Man kann aber nicht gleichermaßen für beide Umfelder an verschiedenen Orten da sein.
„Man sollte nicht zu lange zwischen zwei Welten pendeln“
Ich kann nur jedem Arbeitnehmer, der häufig Dienstreisen ins Ausland unternehmen muss, empfehlen, sich dies maximal für ein ganzes Jahr anzutun – und dann sollten diese in einem regelmäßigen, gut planbaren Rhythmus stattfinden. Diese Pendelei erschwert es überdies, beruflich voranzukommen und sich weiterzuentwickeln, da man durch die ständige Abwesenheit „aus den Augen und aus dem Sinn“ gerät.
In Deutschland war ich bei den Kollegen und für die Personalabteilung „der Amerikaner“, weil ich eben nicht mehr täglich im Büro in Deutschland war, und sehr viel Zeit in USA verbrachte. Am Ende war ich richtig ausgebrannt und erschöpft. Es war dann schließlich die Entsendung nach Detroit, durch die sich alles stabilisierte.
Urlaub mit Thomas Noltings Frau Doris in Harbin/Nordchina, in den Eiswelten.
© Thomas Nolting privat
BDAE: Wie haben Sie dies mit Ihrer Familie abgestimmt?
Nolting: Unsere Kinder waren zu diesem Zeitpunkt bereits erwachsen und studierten, aber meine Frau und ich haben intensiv darüber gesprochen, ob wir gemeinsam für ein paar Jahre unsere Heimat verlassen. Ich selbst bin ein emotionaler Weltenbummler-Typ, meine Frau ist immer gerne „auf ihrer Scholle“ gewesen und hatte nicht so sehr den Drang, zu neuen Ufern aufzubrechen. Sie sprach zu diesem Zeitpunkt kein fließendes Englisch und hatte wegen der Sprachbarriere großen Respekt und Angst vor der Herausforderung USA. Ich habe dann alle Register gezogen, um sie zu überzeugen. Wir erfüllten uns den großen Traum vom Malediven-Urlaub und in dieser schönen Atmosphäre stimmte sie dann der temporären Auswanderung zu.
Für Sie war diese Entsendung eine besonders große Herausforderung. Ein Kompromiss war dann auch, dass wir unser Haus in Deutschland nicht untervermieteten und bei unseren Heimatbesuchen im gewohnten Umfeld wohnen konnten. So haben wir auch das Weihnachtsfest immer in unserem Haus mit unseren Kindern verbracht. Es dauerte auch gut ein Jahr, bis meine Frau sich in den USA zurechtfand und einigermaßen heimisch fühlte. Es ist wichtig, dass sich die mitreisenden Familienmitglieder wohl fühlen, sonst wird die Entsendung zur großen Herausforderung für alle, und kann dann auch scheitern. Damals verstand ich, was mit diesem Spruch gemeint ist: „Happy wife, happy life“.
BDAE: Wie haben Sie Anschluss gefunden?
Nolting: Da habe ich viel meiner Frau zu verdanken gehabt, die gewissermaßen für das Kommunikative zuständig war und die Freundschaften pflegte. Anschluss fanden wir vor allem in der Expat Community beziehungsweise bei deutsch-amerikanischen Einheimischen.
Für meine Frau war eine Expat-Konversationsgruppe, die von der Kirche ausgerichtet wurde, ein wichtiger Durchbruch. Damals stellte sie fest, dass sie schon sehr gut Englisch sprechen konnte und sie hatte dort die Möglichkeit, Freundschaften zu knüpfen.
„Amerikaner sind ausgesprochen freundlich, aber der Kontakt ist oft oberflächlich“
Es ist allerdings nicht leicht, als Expat eine enge Bindung zu US-amerikanischen Familien aufzubauen. Mein Eindruck ist auch, dass Amerikaner in Sachen zwischenmenschliche Beziehungen einen anderen Anspruch haben als andere Nationalitäten. Sie sind ausgesprochen offen und freundlich, aber der Kontakt bleibt oft oberflächlich, es geht nicht so in die Tiefe.
Eine Brasilianerin aus unserer Expat-Community hat auf eine Einladung eines amerikanischen Paars hin tatsächlich mal einen Spontanbesuch unternommen und das kam bei den Gastgebern gar nicht gut an. Die Gastfreundschaft ist nicht unbedingt so gemeint – bei uns ist eine Einladung nach Hause viel verbindlicher.
BDAE: Welche kulturellen Unterschiede zwischen Amerikanern und Deutschen haben sie noch wahrgenommen?
Nolting: Der Smalltalk wird wirklich sehr großgeschrieben in den USA, daran musste ich mich erst einmal gewöhnen, und auch selbst lernen.
Das Arbeitsleben unterscheidet sich ebenfalls ein wenig von dem, was ich so in Deutschland kenne. Ich hatte öfter das Gefühl, dass der Anspruch an die Arbeitsqualität dort nicht ganz so hoch ist wie bei uns. Das führte aber auch dazu, dass wir Deutschen beruflich sehr anerkannt waren. Amerikaner sind dafür im Geschäft sehr knallhart und präzise, da habe ich viel gelernt.
Meiner Beobachtung nach zufolge richtet sich das Leben der meisten Menschen sehr nach dem Geld, nach dem, was man vorzuweisen hat und darstellt.
Aber nichtsdestotrotz sind die USA ein großartiges Land und es stimmt, dass man nahezu unbegrenzte Möglichkeiten hat – man muss sie nur auch nutzen und zu nutzen wissen. Es gibt ein Foto von uns in Chicago mit einer verchromten Bohne. Dieses symbolisiert für mich die Schönheit und Weite des Landes. Ende 2010 haben meine Frau und ich noch ein dreimonatiges Sabbatical gemacht und sind mit dem Wohnmobil die Westküste entlang gereist. Das war wirklich traumhaft!
Wir hätten gerne noch nach den drei Jahren in den USA zwei weitere drangehängt, aber dann kam die Rezession, mit allen damit verbundenen Schwierigkeiten, auch bei ThyssenKrupp. In einem Telefonat mit der Muttergesellschaft in Deutschland fiel dann der Vorschlag, für das Unternehmen nach China zu gehen. Das erschien uns zunächst sehr abwegig.
Die Cloud Gate-Skulptur, auch „Die Bohne“ genannt ist das berühmteste Wahrzeichen von Chicago und eine der meist fotografierten Attraktionen der Stadt. © Thomas Nolting privat
„Wir hatten damals keinerlei Affinität zu Asien“
BDAE: Warum?
Nolting: Wir waren noch nie dort gewesen, hatten auch keinerlei Affinitäten zu Asien gehegt. Außerdem war uns klar, dass wir niemals in der Lage sein würden Chinesisch zu sprechen. Und dann nochmal zwei bis drei Jahre von zu Hause weg zu sein, erschien vor allem meiner Frau nahezu undenkbar. Wir haben uns dann mit unseren Kindern beraten, die von der Idee begeistert waren. Sie hatten uns natürlich während unserer USA-Zeit regelmäßig besucht und ich glaube, für sie war es sehr spannend, ihre Eltern in einem anderen kulturellen Umfeld zu besuchen. Es war dann meine Frau, die schließlich den Anstoß gab und meinte „wir gucken uns das mal an“.
Die Personalabteilung von ThyssenKrupp schickte uns dann auch noch auf einen schlecht organisierten und betreuten Look-and-See Trip, der uns nicht wirklich inspiriert hat, uns auf den Weg nach China zu machen. Glücklicherweise hatten wir Kontakt zu „Freunden von Freunden“, die in Shanghai lebten, uns die Stadt und das Leben dort sehr gut gezeigt und erklärt haben.
Was das Einleben zunächst erschwerte, war die Tatsache, dass wir direkt von Detroit nach Shanghai zogen. Das war schon eine Art Kulturschock. Ein prägendes Ereignis hat diesen Zustand gut symbolisiert: Wir waren in Detroit und lösten unsere Wohnung auf. Einen Teil des Interieurs hatten wir im Wohnmobil gehabt, einen Teil nach China geschickt und der Rest ging nach Deutschland. Wir hatten unser Leben buchstäblich auseinanderdividiert.
Strassenkueche Shanghai: Essen unterwegs mit Kollegen, die Kantine bei dem Kunden war noch nicht fertig. © Thomas Nolting privat
„Meine Frau und ich bewegten uns in unterschiedlichen Welten“
BDAE: Wie war die Eingewöhnung in Shanghai?
Nolting: Ich habe mich sehr schnell angepasst, für meine Frau war es schwieriger, sie hat in den drei Jahren dort nie vollständig Fuß gefasst, gleichwohl gab eine große deutschsprachige Expat-Community für die Partner der Entsandten, die sich untereinander sehr gut unterstützen. Ich habe damals viel gearbeitet, war oft in China unterwegs und meine Frau war Teil der Expat-Community. Im Grunde bewegten wir uns während der Woche in zwei unterschiedlichen Welten.
Während ich in meinem Job aufging, stand meine Frau zum Beispiel im Supermarkt und fand nicht heraus, was Salz und was ist Zucker ist und fühlte sich hilflos. Das kann eine Partnerschaft schon belasten. Was wir auch schwierig fanden im Unterschied zu unserer Zeit in Detroit war das hektische Leben in Shanghai. Das Leben dort ist wie in einem Hochgeschwindigkeitszug. Man gibt immer Vollgas. Ständig finden Treffen und Feiern statt, man geht essen oder ist auf irgendeinem Event. Wir haben das nicht exzessiv mitgemacht, aber es gehörte ein Stück weit zum Expat-Leben dazu.
Schön war aber, dass wir viel Besuch bekamen. Meine Frau entwickelte sich zur Shanghai-Expertin und führte unsere Freunde versiert durch die Stadt.
BDAE: Was haben Sie für sich persönlich aus dieser Zeit mitgenommen?
Nolting: Ohne meinen beruflichen Einsatz in China hätte ich später wahrscheinlich nicht mein eigenes Unternehmen gegründet. Beruflich war es toll, dass ich damals ein Team aus jungen chinesischen Fachkräften aufbauen konnte. Diese verfügten nach ihrem Uniabschluss nur über ein geringes praktisches Fachwissen, sie waren aber sehr lernbegierig. Für mich war es inspirierend zu sehen, wieviel Ehrgeiz, Spaß und Erfolgswillen sie hatten.
Auffallend war auch ihr Respekt vor den erfahrenen Kollegen, die Wertschätzung des Alters. Dies habe ich als wesentlichen Unterschied zwischen der westlichen und asiatischen Kultur wahrgenommen. In unserem Kulturkreis werden die Älteren im Betrieb eher „ausgemustert“ und es wird der Jugend eine große Bedeutung beigemessen.
Zu meinem alten Team in China habe ich noch heute guten Kontakt. Ich glaube, ich war allen gegenüber sehr wertschätzend und flexibel, mehr „open-minded“ als vielleicht andere deutsche Manager in China. Wir Deutschen neigen dazu, vieles besser zu wissen. Meiner Beobachtung nach ist das auch der Hauptfehler von deutschen Unternehmen in China. Man sollte erste einmal Interesse zeigen, sich Abläufe erklären lassen und interkulturelle Unterschiede akzeptieren, zeigen, dass man von anderen lernen möchte.
„Man muss als Expat egoistisch sein“
BDAE: Inwieweit hat Ihr Arbeitgeber Sie bei der Vorbereitung bei beiden Auslandseinsätzen unterstützt?
Nolting: Bei unserem USA-Aufenthalt fühlte ich mich noch gut unterstützt, wenngleich ich mich im Nachhinein etwas darüber ärgere, dass es für meine Frau keinen Ausgleich zu ihrer Rentenversicherungslücke durch die Beitragsfehlzeiten gab. Ich war natürlich sozialversichert, sie hingegen nicht.
Die Vorbereitung für den China-Aufenthalt war schon etwas holpriger. Schon die Vertragsgestaltung lief nicht reibungslos ab und das hat sich fortgesetzt bei meiner Rückkehr nach Deutschland nach drei Jahren. Letztlich sind drei Jahre auch keine lange Zeit für eine Entsendung, denn nach einem Jahr fängt man erst richtig an, sich einzugewöhnen.
Rückblickend habe ich auch erkannt, dass das Unternehmen in Shanghai von der Führung in Deutschland nicht richtig darauf vorbereitet gewesen ist, wie ein internationales Unternehmen zu agieren. Das hat das Arbeiten erschwert.
Irgendwann kam die Erkenntnis, dass man in Deutschland mit meiner Rückkehr nicht plante. Das zeichnete sich bereits ein dreiviertel Jahr vor meiner Rückkehr mit meinem deutschen Chef ab.
Thomas Nolting vor dem Grand Canyon. © Thomas Nolting privat
BDAE: Wie kam es dazu?
Nolting: Wenn man als Arbeitnehmer in einem Großkonzern zu lange weg ist, ist man aus dem „System“ raus Die wesentlichen Entscheidungen werden bei der Konzernspitze in Deutschland entschieden, die oft gar nicht weiß, was konkret in den Auslandsniederlassungen passiert. Ich habe erlebt, dass selbst bei den Besuchen der Chefs in Shanghai überhaupt keine Zeit für Gespräche mit den Expats war.
Als es um meine Rückkehr ging, passte ich wahrscheinlich schon nicht mehr in das „System“ und galt als nicht mehr integrierbar. Für mich war das sehr bitter, denn ich hatte eine ausgeprägte Loyalität zum Unternehmen und hatte immer darauf vertraut, dass ThyssenKrupp das richtige für mich tun würde. In der Retrospektive war das äußerst naiv und ich weiß nun, dass die Loyalität des Einzelnen seine Grenzen haben sollte, man muss egoistisch sein.
BDAE: Wie hat sich das konkret geäußert bei Ihrer Rückkehr?
Nolting: Ich wollte bei ThyssenKrupp in Deutschland in eine vergleichbare Position zurück, aber es war offenbar keine vakant oder konnte nicht geschaffen werden. Stattdessen bekam ein Jobangebot im Saarland, das mir nicht zusagte und ich daher ablehnte. Das kam aber bei meinem Arbeitgeber nicht so gut an und man übergab mir Aufgaben, die aus meiner Sicht nicht meiner Qualifikation entsprachen. Bei mir überwog somit das Gefühl einer mangelnden Wertschätzung für meine Leistung der vergangenen Jahre und für meinen Auslandseinsatz.
Es war keine schöne Zeit für mich und schließlich gewann ich den Eindruck, dass nur eine juristische Auseinandersetzung dazu führen würde, um mich aus dieser unbefriedigenden Situation herauszubringen. Schlussendlich haben wir uns einigen können: Ich verließ das Unternehmen und startete eine neue Karriere.
BDAE: Was empfehlen Sie vor Ihrem Erfahrungshintergrund anderen Expats?
Nolting: Es braucht einen durchstrukturierten Relocation-Prozess für die Mitarbeiter und ich würde jedem empfehlen, vorab Gespräche mit Experten wie denen des BDAE zu führen und mit Expats, die Auslandserfahrung haben. Mit der Personalabteilung sollte man ganz konkrete Gespräche führen und auf dieser Basis verbindliche, schriftlich fixierte Vereinbarungen treffen.
Zudem sollten auch Themen zur Sprache kommen, die nicht unmittelbar mit dem beruflichen Engagement im Ausland in Zusammenhang stehen. Beispielsweise sollte geklärt werden, wie Expats sich bei einem Unfall im Ausland verhalten sollten. In Asien gibt es keine richtige Notfallambulanz im Straßenverkehr. So etwas muss man wissen.
Doris und Thomas Nolting im Nationalpark Grand Canyon. © Thomas Nolting privat
„Es ist wichtig, seine Auslandserlebnisse zu teilen“
Das Problem ist, dass viele Entscheider in der Personalabteilung gar nicht nachvollziehen können, welche Herausforderungen auftreten können, weil sie selbst die Erfahrung nicht gemacht haben. Viele Probleme können sie oft nicht nachvollziehen, wie zum Beispiel in unserem Fall, als bei unserer Tochter in Deutschland eine chronische Erkrankung diagnostiziert wurde und wir ihr natürlich bestehen wollten. Während unseres USA-Aufenthalts verstarb unerwartet der Vater meiner Frau.
Es ist ratsam, als Neuling im Ausland, dort deutsche Clubs im Ausland aufsuchen, denn von den Mitgliedern erfährt man sehr viel Hilfe. Angehende Expats sollten auch unbedingt die Familie frühzeitig und intensiv mit einbeziehen. Während des Auslandsaufenthalts ist es wichtig, den Kontakt zu Familien und Freunden aufrechtzuhalten, sonst rächt sich das bei der Rückkehr und man kann in ein kleines Loch fallen. Die Auslandszeit prägt einen sehr, man erlebt außergewöhnlich viel. Es ist wichtig, diese Erlebnisse zu teilen und Freunden wie Familie Besuche anzubieten.
In puncto Job kann ich nur dringend dazu raten, sich professionelle rechtliche und moralische Unterstützung zu holen, sobald sich abzeichnet, dass es zu Friktionen kommt. Da sollte man gänzlich emotionslos herangehen.
BDAE: Sie begleiten nach Ihrer gut 30-jährigen Zugehörigkeit zu ThyssenKrupp die Gründung der deutschen Niederlassung eines chinesischen Maschinenbau Unternehmens in Hannover, die LYRIC AUTOMATION GERMANY. Inwieweit haben Ihnen Ihre beruflichen Erfahrungen im Ausland geholfen?
Nolting: Ich begegne anderen Nationalitäten viel offener und bin gelassener. Geschäftlich sind die Unterschiede zwischen China und Deutschland manchmal so gegensätzlich wie schwarz und weiß und es gibt jeden Tag neue Dinge, wo man sich fragt, warum passiert das jetzt? Aufgrund meiner Erfahrung kann ich damit gut umgehen und gehe lösungsorientiert vor.
Wir stellen Maschinen-Anlagen zur Herstellung von Batteriezellen her. Einmal erhielten wir eine Anfrage von einem Automobilisten für solche Maschinen. Wir verfügen über eine große Expertise bei der Herstellung dieser Maschinen und in Europa gibt es nicht viele Hersteller in diesem Segment. Wir haben drei Wochen mit dem Team in China daran gearbeitet, eine Anlage mit 30 Maschinen zu konzipieren und irgendwann stellte sich heraus, dass die chinesischen Kollegen von den 30 Maschinen nur 10 bauen können. Was war passiert? Asiaten können aufgrund ihrer Kultur nicht zugeben, dass sie etwas nicht (leisten) können und kommunizieren dies nicht. Man lernt draus und stellt dann einfach frühzeitig konkrete Fragen, um herauszufinden, was leistbar ist.
Ich habe glücklicherweise einen chinesischen Mit-Geschäftsführer an meiner Seite, ohne ihn würde das Unternehmen nicht funktionieren – alleine wegen des Sprach- und Kulturverständnisses.
Insgesamt kann ich nur jedem raten, sich auf das Abenteuer Auslandsaufenthalt einzulassen. Es verändert die Persönlichkeit im positiven Sinne. Man gewinnt Weltoffenheit, wächst an Herausforderungen – das sind Werte, die unbezahlbar sind und die man sich nicht erschließen kann, wenn man zu Hause bleibt.