„Wir können Coronapatienten derzeit nicht international transportieren“
Eine Rückholung aus dem Ausland ist für Patienten ein einschneidendes Erlebnis. Für Jadwiga Dutsch, Director Medical, Health & Travel Assistance und Regional Head of Medical Operations bei Allianz Partners, ist er seit Jahrzehnten Routine. Im Interview erzählt sie, wie ein Rücktransport aus dem Ausland funktioniert und welche besonders spektakulären Fälle sie schon begleitet hat.
BDAE: Seit wann bietet Allianz Partners im Rahmen ihrer Assistance-Leistungen schon einen Rücktransport aus dem Ausland an?
Dutsch: Ungefähr seit den 50-er Jahren des vorherigen Jahrhunderts – damals aber noch mit der Schweizer Helvetia Versicherung, die dann die Elvia Reiseversicherung gründete. Diese wurde später Teil der Mondial Assistance International AG, die dann in Allianz Partners aufging.
Ich selbst habe meinen ersten Krankenrücktransport im Jahr 1998 durchgeführt. Damals begleitete ich eine ältere Dame, die auf Mallorca gestürzt war und sich eine Oberschenkelfraktur zuzog. Das war sehr aufregend, denn ich wurde um 3 Uhr in der Früh benachrichtigt, flog nach Mallorca, checkte mit der Patientin aus dem Krankenhaus aus und flog mit ihr nach Berlin.
Ziel des Rücktransportes ist es, erkrankten oder schwerverletzten Patienten die Möglichkeit zu bieten, nach Herstellung der Transportfähigkeit die weitere Behandlung in Heimatnähe durchführen zu lassen. Dies kann per bodengebundenem Transport, mit oder ohne medizinischer Begleitung, oder mittels Sanitätsflugzeug umgesetzte werden. Waren ursprünglich die meisten Transporte eher mittels Rettungswagen, gewann der Krankenrücktransport, auch aufgrund verändertem Reiseverhaltens, im Linienflug ab den 80ger Jahren des letzten Jahrhunderts zunehmend an Bedeutung.
Früher gestaltete sich die gesamte Kommunikation um den Transport herum weitaus schwieriger, denn damals gab es noch keine E-Mail, sondern nur Telefax, Auslandstelefonate mussten angemeldet werden und die meisten Krankenhäuser kannten noch kein Kostenübernahmeverfahren. Es war dann auch nicht unüblich, dass Assistance-Mitarbeiter mit einem großen Bündel Bargeld losgeschickt wurden, um die Behandlungskosten und den Transport bezahlen zu können.
Kurzum: Damals war das ein ziemliches Abenteuer mit vielen Unsicherheiten und Unwägbarkeiten. Anders als heute konnte man auch nicht einfach so einen Flug von Deutschland nach Bali und zurück buchen. Mit den neuen Kommunikationsmöglichkeiten gestaltet sich die Rückholung aus dem Ausland wesentlich professioneller.
„Exotische Reiseziele sind heute viel selbstverständlicher als früher“
BDAE: Was hat sich in Sachen Krankentransporte im Gegensatz zu früher noch geändert?
Dutsch: Allein schon die Häufigkeit. Die Welt ist kleiner geworden, es reisen mehr Menschen als je zuvor – zumindest war dies vor der Corona-Pandemie der Fall. Auch sind exotische Reiseziele viel selbstverständlicher geworden. Ältere Menschen trauen sich mehr als damals zu reisen – auch in die entlegensten Gebiete der Welt. Früher war es nicht selbstverständlich, in den Urlaub zu fliegen. Das konnten sich nur die wenigsten leisten. Da ist man vielleicht mit dem Auto nach Italien oder Spanien gefahren und das galt schon als etwas Besonderes.
Mittlerweile sind Flüge deutlich günstiger geworden, es hat sich der Pauschalreisemarkt entwickelt, mehr Länder als je zuvor haben eine Tourismusindustrie aufgebaut. Das führt eben auch zu einer deutlich erhöhten Reisetätigkeit der Menschen und somit auch zu mehr Situationen, in denen Patienten in ein Krankenhaus geflogen oder zurück ins Heimatland transportiert werden müssen. Denn in vielen Ländern, die von den Menschen bereist werden, ist die Gesundheitsversorgung schlecht. Wenn die Reisenden dann nicht wissen, wie sie zum Arzt kommen sollen oder stationär versorgt werden müssen, kommen wir ins Spiel.
Auch im beruflichen Bereich nehmen grenzüberschreitende Tätigkeiten deutlich zu. Das bekommen Sie bei Ihrem Tätigkeitsfeld ja selbst mit. Mitarbeitereinsätze finden überall auf der Welt statt und auch in Ländern mit einer schlechten medizinischen Infrastruktur. Arbeitgeber wollen natürlich, dass ihre Mitarbeiter bestmöglich versorgt werden – auch wenn das bedeutet, dass sie per Ambulanzjet ins nächstgelegene Krankenhaus transportiert werden.
BDAE: Apropos. Manche Expats und auch Unternehmen wünschen sich, dass mit Covid-19 infizierte Mitarbeiter umgehend nach Hause transportiert werden und behandelt werden. Deckt die Assistance so etwas ab?
Dutsch: Rücktransporte oder Evakuierungen werden nur dann vorgenommen, wenn sie medizinisch notwendig oder sinnvoll sind. Auch wenn in Sanitätsflugzeugen besondere Isolationssysteme für den Transport infektiöser Patienten zur Verfügung stehen, ist ein grenzüberschreitender Transport von Corona-Patienten im zivilen Bereich derzeit nur unter besonderen Bedingungen möglich.
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Anders verhält es sich, wenn Verlegungen – z.B. wegen der Knappheit von Intensivbetten – innerhalb von Europa durchgeführt werden; dies wird dann zwischenstaatlich geregelt. Je nach Verlauf einer akuten Covid-19-Erkrankung kann eine Verlegung für den Patienten ein Risiko darstellen. Von daher muss eine sorgfältige Risiko-/Nutzenabwägung getroffen werden. Anders sieht es aus, wenn das Virus nicht mehr nachweisbar ist, der Patient aber Folgeschäden hat und diese besser in einem anderen Krankenhaus beziehungsweise im Heimatland behandelt werden können oder dies für die Genesung des Betroffenen förderlich ist. Dann kann eine Repatriierung durchaus sinnvoll sein.
Es mag Ausnahmen geben, in denen Patienten, die akut an Covid-19 erkrankt sind, verlegt werden. Dies muss dann sorgfältig mit den nationalen Behörden abgeklärt werden. Auch muss die Aufnahme in einer Klinik im Heimatland gegeben sein. Grundsätzlich ist unter Pandemiebedingungen die operative Umsetzung eines Patiententransports über Landesgrenzen hinweg deutlich komplizierter geworden.
„Unsere Patienten müssen zurzeit grundsätzlich einen negativen Coronatest vorweisen“
BDAE: Was genau macht die Organisation von Krankentransporten in der Pandemie so herausfordernd?
Dutsch: Abgesehen vom eingangs beschriebenen Transport im Sanitätsflugzeug, dürfen derzeit nur Patienten transportiert werden, die einen negativen Coronatest vorweisen können. Das Gleiche gilt auch für deren begleitende Angehörige und das medizinische Personal. Je nach Aufenthaltsland kann es lange dauern, bis ein solcher Test überhaupt gemacht und ausgewertet werden kann. Da geht oft wertvolle Zeit verloren.
Sind dann beispielsweise Plätze in einem Linienflug gebucht, kann es sein, dass dieser kurzfristige abgesagt wird, weil entweder die Auslastung zu gering ist oder eine Einreise bzw. Ausreise wegen der Entwicklung des Infektionsgeschehens in den einzelnen Ländern plötzlich nicht mehr erlaubt ist. Für uns als Dienstleister ist es überdies eine große Herausforderung, immer auf dem aktuellen Stand zu sein, was die jeweils aktuellen Bestimmungen der einzelnen Länder in Sachen Covid-19 angeht.
Wenn Patienten in ihrem Aufenthaltsland in Quarantäne sind, dann unterstützen wir auch bei der Hotelsuche, nehmen Kontakt zu den Behörden auf und sorgen dafür, dass sie einen Coronatest machen können und kontaktieren für sie das jeweilige Krankenhaus, vereinbaren Termine und so weiter. Insgesamt kann man festhalten, dass sich aufgrund der geltenden Vorschriften und Reisebeschränkungen die Repatriierung in Coronazeiten aufwändiger und langwieriger gestalten. Wir tun aber alles in unserer Macht stehende für das Wohl der Patienten.
BDAE: Wie kann man sich eine Rückholung aus dem Ausland praktisch vorstellen? Wie wird so etwas organisiert?
Dutsch: Das ist sehr unterschiedlich und hängt immer von der jeweiligen Situation des Patienten ab. Die bestimmt dann auch die Wahl des Transportmittels. Zur Verfügung stehen grundsätzlich Rettungswagen, Krankentaxi, ein Linienflug oder ein Ambulanzflugzeug. Beim Linienflug gibt es wiederum signifikante Unterschiede, was sich dann auch auf die Kosten auswirkt. So benötigt man manchmal nur einen Flugzeugsitz, wenn der Patient sitzend transportiert werden kann. Wenn er liegen oder sogar beatmet bzw. mit einem EKG ausgestattet werden muss, dann benötigen wir auch mal eine ganze Sitzreihe, bestehend aus sechs Plätzen im hinteren Bereich eines Fliegers, den wir dann mit Sichtschutz abtrennen. Manchmal sind Flugzeuge in der Economy Class komplett ausgebucht und wir müssen auf die wesentlich teurere Business oder First Class ausweichen.
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In einem weitgehend normalen Prozess meldet sich entweder der Patient selbst oder dessen Angehörigen bei uns. Wir prüfen dann, wie die medizinische Versorgung vor Ort aussieht. Dabei geht es darum, abzuwägen, welche Risiken bestehen. Bei einem akuten Behandlungsbedarf wird der Patient oft noch vor Ort operiert und wir schauen dann, ob er im weiteren Verlauf in ein anderes Krankenhaus oder in eine Klinik nach Deutschland transportiert werden soll. Dies ist in der Regel immer dann der Fall, wenn unsere Mediziner zu dem Schluss kommen, dass der Patient woanders von einer besseren Behandlung profitiert und die Genesung wahrscheinlicher und schneller ist. Dann besprechen wir gemeinsam mit dem Patienten und behandelnden Medizinern, wann der beste Zeitpunkt für den Transport ist und wählen je nach Versorgungsbedarf das passende Transportmittel.
„Ein Rücktransport kann auch mal 200.000 Euro kosten“
Manchmal ist eine Arztbegleitung notwendig und in manchen Fällen ist die Maximalversorgung in einem Ambulanzflugzeug notwendig. Oft ist aber auch eine Kombination aus verschiedenen Transportmitteln notwendig. So hatte wir mal einen Patienten, der sich im Krüger Nationalpark einen komplizierten Beinbruch zugezogen hatte. Diesen haben wir zunächst mit dem Ambulanzjet nach Johannesburg geflogen und dann ging es zur Anschlussbehandlung im Linienflugzeug zurück nach Deutschland.
Der günstigstes Transport ist ein Krankentaxi von Ischgl nach München für etwa 1.000 Euro, wenn sich beispielsweise ein Urlauber beim Skifahren verletzt. Ein Ambulanzflug von Australien nach Deutschland kostet schnell mal 200.000 Euro und mehr. Selbst der Transport in einem Linienflugzeug kann je nach Klasse und Flugstrecke zwischen 5.000 und 50.000 Euro kosten.
Eins ist aber immer sicher: Für die Patienten ist so ein Transport ein einmaliges und einschneidendes Lebensereignis, das sie nie wieder vergessen werden. Das zeigen uns die vielen Dankesschreiben, die wir regelmäßig erhalten.
BDAE: Was für besonders spektakuläre Fälle haben Sie schon begleitet?
Dutsch: Da gibt es so einige. Frühgeburten im Ausland sind immer etwas Besonderes. Viele Paare wollen vor der Geburt ihres Kindes noch einmal so richtig Urlaub machen. Ein Paar aus Würzburg, das schon eine dreijährige Tochter hatte, war auf die griechische Insel Kos geflogen. Nach einigen Tagen entspannten Strandurlaubs setzten plötzlich – die Versicherungsnehmerin war inzwischen in der 28sten Woche – Wehen ein. Der Arzt der Reisegesellschaft brachte sie sofort in die örtliche Klinik, wo sie Wehenhemmer bekam. An einen Rücktransport der Schwangeren zu diesem Zeitpunkt war allerdings nicht zu denken, denn sie war nicht „transportfähig“. Irgendwann war eine Frühgeburt nicht mehr zu vermeiden. 1.200 Gramm wog der kleine Junge, der sofort per Helikopter in ein Krankenhaus nach Athen gebracht wurde. Wir von Allianz Partners standen im Dauerkontakt zu den behandelnden Ärzten und den Eltern. Drei Wochen dauerte es, bis der kleine Patient per Learjet im Inkubator nach Deutschland gebracht werden konnte. Am Flughafen Giebelstadt wartete schon der Frühgeborenen-Notarzt, um das „Frühchen“ per Krankenwagen ins Krankenhaus zu bringen. Inzwischen ist der junge Patient wieder wohlauf – sein Name Julian Aristoteles ist eine Hommage an sein Geburtsland.
BDAE: Bei Rücktransporten differenzieren Assisteure und Versicherer zwischen medizinisch notwendigen und medizinisch sinnvollen Transporten. Ab wann gilt ein Rücktransport wirklich als notwendig, wann ist er sinnvoll?
Dutsch: Die Abgrenzung gestaltet sich in der Tat manchmal recht schwierig. Medizinisch notwendig ist ein Rücktransport, wenn die medizinische Versorgung vor Ort nicht gewährleistet werden kann, das gilt auch in einem zeitlichen Rahmen, also wenn eine wichtige OP nicht zeitnah durchgeführt werden kann. Medizinisch sinnvoll ist ein Transport etwa, wenn der Patient davon profitiert, nach Hause zu kommen. Oft wird dann die akute Versorgung vor Ort gewährleistet und für den weiteren Verlauf wird dieser dann zu Hause behandelt.
Inzwischen gehen wir aber zunehmend dazu über, den medizinisch sinnvollen Transport standardmäßig zu versichern – einfach weil dies von den Kunden gewünscht wird. Was wir aber nach wie vor nicht machen, sind Rücktransporte für Behandlungen, die schlicht keinen Rücktransport erfordern. Wegen einer Grippe beispielsweise fliegen wir niemanden nach Hause. Auch ist es manchmal aufgrund der Infrastruktur nicht möglich, kurzfristig einen Rücktransport von den Philippinen nach München oder von Tibet nach Peking zu organisieren.
BDAE: Wo liegt der Unterschied zwischen einer Rückholung und einer Evakuierung?
Dutsch: Evakuierungen kommen viel seltener vor. Dabei handelt es sich um die erste Zuführung zu einer medizinischen Behandlung. Beispielsweise hat ein Patient bei einer Gebirgswanderung einen Herzinfarkt und muss für die Behandlung zum nächstgelegenen Ort, an dem eine medizinische Versorgung vorhanden ist, evakuiert werden. Es hat also noch keine Behandlung stattgefunden und jemand muss für diesen Zweck in eine entsprechende Struktur gebracht werden. Bei einem Rücktransport hat bereits eine medizinische Versorgung stationär oder ambulant stattgefunden.
So verlief der Krankenrücktransport des kleinen Linus von Djerba nach Mainz
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Es geschah auf Djerba: Der zweijährige Linus wurde von einem Pferdehuf am Kopf getroffen und erlitt dabei eine 1,5 cm tiefe Impressionsfraktur, also einen Knochenbruch am Kopf. Der Junge wurde sofort in eine örtliche Klinik eingeliefert und gleich bei der Aufnahme intubiert. Glücklicherweise konnten keine weiteren Verletzungen an übrigen Körperteilen und der Halswirbelsäule festgestellt werden. Die vier Zentimeter große rechts-frontale Wunde wurde gereinigt und genäht.
Seine Mutter alarmierte sofort die Notrufzentrale von Allianz Partners. Diese nahm umgehend Kontakt mit der Klinik auf, um den Zustand des kleinen Patienten zu recherchieren. Da die Versorgung auf der Insel Djerba völlig unzureichend war, musste der Junge dringend nach Deutschland zurück transportiert werden. Nach Gesprächen mit dem diensthabenden Arzt entschied der Arzt von Allianz Partners den Transport mit einem direkten Ambulanzflug. Noch am selben Abend wurde Linus von einem Flugarzt von Allianz Partners abgeholt und mit seinem Vater per Learjet nach Deutschland geflogen. Bereits am nächsten Morgen um fünf Uhr konnte der Kleine an die Uniklinik Mainz übergeben werden. Durch das schnelle Handeln aller Beteiligten und die sofortige Rückholung nach Deutschland besteht die berechtigte Hoffnung, dass dem Jungen keine Folgeschäden bleiben werden.
Kostenerstattung Allianz Partners:
- Medizinische Kosten – Djerba: 93,44 Euro
- Krankenwagen zum Flughafen Djerba: ca. 150 Euro
- Ambulanzflug Djerba - Frankfurt: 13.350 Euro
- Zusatz-Ticket Rückflug Mutter: 353,33 Euro
- Krankenwagen zur Uniklinik Mainz: 300,00 Euro
Gesamt: 14.246,77 Euro
Geschichte der Assistance von Allianz Partners
1950: Schweizer Pioniere gründen die Elvia Reiseversicherung, die Versicherungsprodukte rund um das Thema Reisen anbietet.
1974: SACNAS-Mondial-Assistance reagiert mit Angeboten auf das wachsende Geschäftsfeld der Assistance (Reise-, Roadside- und Medizinische Assistance)
1980-1999: Die Reiseindustrie wächst schnell und damit auch der Bedarf an medizinischer Assistance.
1995: Elvia/Mondial treten der Allianz Gruppe bei und werden 2010 Allianz Global Assistance. Start der Zusammenarbeit mit der BDAE Gruppe.
2017: Allianz Partners wird zur Unternehmensmarke für die drei Handelsmarken. Allianz Travel wird die vierte Handelsmarke von Allianz Partners.
Pro Jahr führt Allianz Partners 17.200 Krankenrücktransporte durch und kooperiert mit 904.259 medizinischen Dienstleistern weltweit.