An Silvester habe ich voll Zuversicht auf das neue Jahr 2020 geblickt: meine Töchter würden Anfang Juni mit einer riesigen Graduation Party im US Bank Stadium von Minneapolis ihre High School Zeit beenden, wir würden im Juli eine fröhliche Abschiedsfeier in unserem Garten feiern und Anfang August in Deutschland nach über einem Jahr unsere Familie und Freunde wiedersehen und glücklich in die Arme schließen. Die Welt war rosarot mit Blümchen, die Aussichten waren verdammt gut.
Fünf Monate später sitze ich in einem Vorort von Minneapolis, in dem vor zwei Wochen aufgrund der Unruhen infolge des Todes von George Floyd eine 2-tägige Ausgangssperre galt, die Geschäfte ihre Schaufenster mit Brettern zugenagelt hatten und die Polizei Tag und Nacht Streife fuhr. Immerhin stand in unserem Vorgarten nicht die National Guard, so wie bei einer Arbeitskollegin, die einige Meilen weiter Richtung Downtown wohnt. Corona und die Proteste von Minneapolis haben unsere Sicht auf das Land, in dem wir Gast sind, noch einmal grundlegend verändert – dabei dachten wir, nach drei Jahren doch recht viel gesehen und verstanden zu haben.
Sammelaktion statt Abschiedsparty
Nicht im Traum hätte ich mir vorstellen können, dass unsere Expat-Zeit in den USA so zu Ende gehen würde. Anstatt noch einmal gedankenverloren im sommerlich warmen See zu baden, diskutiere ich nun mit meinen Töchtern über strukturellen Rassismus, über Menschenrechte und die Rolle der Polizei in den USA. Anstatt Anfang Juni eine Graduation Party zu feiern, hat die Abschlussklasse unserer High School jede Menge Lebensmittel, Medikamente und Hygieneartikel für in Not geratene Familien in Minneapolis gesammelt. Anstatt unsere Möbel und elektrischen Geräte, die wir nicht mit nach Deutschland nehmen, zu verkaufen, fahre ich alle Überbleibsel meiner Aufräum- und Ausmistaktionen zu „Bridging“, einer Wohltätigkeitsorganisation in Süd-Minneapolis, die krisengebeutelte Menschen mit Möbeln und Hausrat versorgt.
In Deutschland wartet Quarantäne
Wie uns geht es momentan wahrscheinlich sehr vielen Expat-Familien, die früher oder unter anderen Umständen als geplant die USA verlassen müssen. Ich weiß, dass wir nicht so sehr viel zu jammern haben, denn unsere Rückkehr nach Deutschland wird trotz allem relativ einfach werden: unser altes Zuhause in Baden-Württemberg, in das wir uns (nach heutigem Stand) für zwei Wochen in Quarantäne begeben müssen, wartet schon auf uns. Trotzdem wird es für unsere Töchter schlimm werden, in diesem Haus „festzusitzen“ und nicht ihre deutschen Freundinnen umarmen zu können, die seit 14 Monaten auf sie warten. Meine Mutter wird mir nach, wie gesagt, über einem Jahr, an der Haustür mit Atemmaske und 1,50 Meter Abstand ein paar Einkäufe überreichen, damit wir unseren leeren Kühlschrank füllen können. Ich kann es mir noch gar nicht vorstellen.
Letzte Woche habe ich mit einer Expat-Bekannten gesprochen, die erst vor einigen Monaten in den USA angekommen ist. Für sie ist die Situation momentan schwierig, denn die ersten zart geknüpften Bande mit Land und Leuten lösen sich gerade durch Corona wieder in Luft auf und angesichts der Unruhen, auch in ihrer Stadt, fühlt sie sich nicht wirklich sicher. Insofern bin ich dann dankbar, dass wir in unseren drei Expat-Jahren viele schöne Momente erleben durften und in sieben Wochen „nur“ einen Überseecontainer beladen und irgendwie nach Deutschland fliegen müssen.
Die Autorin
Alexandra Lehr lebt seit drei Jahren mit ihrer 4-köpfigen Familie in Minnesota und schreibt in kleinen Anekdoten über ihr Leben im (fast) kältesten Bundesstaat der USA. In diesem Sommer kehrt sie in ihre Heimat in Süddeutschland zurück.
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