Warum viele Amerikaner in der Corona-Krise ihren 401(k) plündern
Am 18. Mai hat unser Governor die „stay-at-home order“, die seit dem 28. März galt, aufgehoben. Nun dürfen sich die Minnesotans wieder mit Freunden und Familie in Gruppen bis zu zehn Personen treffen, natürlich unter Einhaltung der „6 feet apart“ Regel. Das haben sich unsere Nachbarn nicht zweimal sagen lassen und so saßen wir gestern zum ersten Mal seit Wochen wieder zu einem abendlichen Plausch in einem der Gärten. Es wurde viel gelacht, aber die Gespräche drehten sich natürlich auch darum, wie sich gerade jeder so durchschlägt, nicht nur emotional und gesundheitlich, sondern auch finanziell.
Für viele Amerikaner ist 401(k) einzige Altersvorsorge
Tatsächlich machen sich viele Minnesotans momentan Gedanken darüber, wie sie im „furlough“ oder in der Arbeitslosigkeit weiter über die Runden kommen sollen, vor allem, wie sie ihre Immobilienschulden, die „mortgages“, und die Leasingraten für das Auto bezahlen sollen. Ein Ausweg, der zurzeit auch in der amerikanischen Presse diskutiert wird, ist die Möglichkeit, Geld aus der privaten Altenvorsorge, den sogenannten „401(k) Fonds“ herauszuholen. Diese Fonds sind für rund ein Drittel der Amerikaner ihre Absicherung fürs Alter, denn von der kleinen Rente, die man ab 62 aus dem staatlichen Sozialsystem beziehen kann, kann nun wirklich niemand leben.
In den 401(k) bezahlt der Arbeitnehmer eine bestimmte jährliche Summe aus seinem Einkommen vor Steuern ein (für 2020 maximal 19.500 Dollar), der Arbeitgeber schießt in der Regel eine geringere oder die gleiche Summe dazu. Wie das Geld angelegt wird, also mit welchem Risiko, entscheidet jeder Arbeitnehmer selbst – zur Auswahl stehen Aktienfonds, Rentenfonds, Immobilienfonds und vieles mehr. Eines jedoch haben alle 401(k) gemeinsam: wer vor dem Alter von 59 ½ Jahren Geld aus diesen Fonds herausnimmt, muss, neben den regulären Steuern auf den Betrag, eine „penalty tax“ von zehn Prozent, also eine Art Strafgebühr, bezahlen. Dies soll vor willkürlichen Entnahmen abschrecken, damit das Geld auch wirklich fürs Alter erhalten bleibt.
Zurzeit keine Strafe für vorzeitige Auflösung des 401(k) Sparvermögens
Die Regierung in Washington hat erkannt, dass in den 401(k) jede Menge Geld „schlummert“ und im Zuge der Corona-Krise ein Gesetz erlassen, nach dem die „penalty tax“ ausgesetzt wird und die Steuerzahlung auf den entnommenen Betrag aufgeschoben werden kann. So will man den Amerikanern helfen, ihre Gelder aus der privaten Altersvorsorge in der Krise vorübergehend für andere, dringende Zahlungen zu nutzen. Die Finanzexperten, die ich abends im amerikanischen Fernsehen sehe, raten davon natürlich ab. Man solle erst einmal „andere Ersparnisse“ einsetzen, denn sonst fehle das Geld im Alter. Klingt logisch, hat aber einen Haken: Die wenigsten Amerikaner haben „andere Ersparnisse“, in einem Land, in dem die Sparquote weitaus niedriger ist als in Deutschland und viele Menschen dauerhaft von „paycheck“ zu „paycheck“ leben. Immerhin haben meine Nachbarn ihren 401(k) noch nicht geplündert – ich drücke ihnen die Daumen, dass das auch so bleibt.
Anmerkung: der etwas seltsame Name „401(k)“ für diese private/arbeitgeberunterstützte Altersvorsorge kommt von der Nummer des Abschnitts im US-Einkommensteuergesetz, in dem darüber gesprochen wird. Umgangssprachlich hat sich diese Abkürzung so eingebürgert, dass jeder Amerikaner sofort weiß, was gemeint ist, wenn man sich über 401(k) unterhält. Auch ich weiß inzwischen Bescheid.
Die Autorin:
Alexandra Lehr lebt seit drei Jahren mit ihrer 4-köpfigen Familie in Minnesota und schreibt auf Expat News in kleinen Anekdoten über ihr Leben im (fast) kältesten Bundesstaat der USA.