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Weltweit

Europas Städte kämpfen mit ''Overtourism“

ChonnieArtwork - AdobeStock

Städtereisen boomen: Während die Zahl der touristischen Übernachtungen bei Länderreisen in den vergangenen zehn Jahren um 26 Prozent zunahm, wuchs sie in Städten mehr als doppelt so schnell. Für die besuchten Städte ist das einerseits eine gute Einnahmequelle, doch wenn die Zahl der Touristen zu hoch wird, leiden sie darunter. Die gravierendsten Folgen des so genannten ''Overtourism": Lärm, verstopfte Straßen, überfüllte Restaurants, genervte Einwohner, Verlust lokaler Identität und Kultur. Ein bekanntes Beispiel für eine untragbar hohe Zahl an Besuchern ist Venedig.

Die Hintergründe für das Phänomen des ''Overtourism" und mögliche Strategien für einen erfolgreichen Städtetourismus haben Experten von der Unternehmensberatung Roland Berger und die Österreichische Hoteliervereinigung (ÖHV) in ihrer Studie ''European city tourism study 2018: Protecting your city from overtourism" analysiert. Dafür haben sie Daten von 52 europäischen Städten erhoben und ausgewertet. Zentrales Ergebnis: Viele Städte haben sich in der Vergangenheit nur darauf konzentriert, immer mehr Touristen anzuziehen. Dabei haben sie jedoch vergessen, eine eigene Tourismusstrategie aufzusetzen, um die Interessen von Gästen und Einheimischen, Stadtentwicklung und Tourismusplanung gleichermaßen zu berücksichtigen.

Grundsätzlich gilt: Wenn die Zahl der Übernachtungen im Vergleich zur Einwohnerzahl überproportional steigt und gleichzeitig die Wertschöpfung auf niedrigem Niveau verharrt, wird es für Städte problematisch. Das geht meist einher mit Billigunterkünften und Zurückhaltung der Gäste beim Geldausgeben etwa für Restaurants oder Museen. Darunter leidet das Image einer Stadt und Besucher, die qualitativ hochwertigen Urlaub machen wollen, werden abgeschreckt. Dann ist die Schwelle zu Massentourismus und ''Overtourism'' nahe.

Verhältnis zwischen Einwohner- und Touristenzahl maßgeblich

Entscheidende Messgrößen für die Qualität des Tourismus in einer Stadt sind die Wertschöpfung und das Verhältnis zwischen Zahl der Touristen und der Einwohner, die sogenannte Tourismusintensität. In London, Wien, Berlin oder München sind diese Werte sehr gut, dort gibt es einen gesunden, nachhaltigen Tourismus und ein erfolgreiches Zusammenspiel von Stadtplanung und touristischer Entwicklung (shining stars). Dagegen herrscht in Venedig, Reykjavik, Amsterdam oder auch Salzburg Handlungsbedarf aufgrund der unverhältnismäßig hohen Anzahl an Touristen (under pressure). Dazu kommen Städte wie Hamburg, das zwar ein hochwertiges Angebot an Kultur, Hotels, Restaurants und gut ausgebauter Infrastruktur hat, aber vergleichsweise wenige Touristen anzieht. Dort könnte das wirtschaftliche Potenzial mit geeigneten Maßnahmen also noch besser genutzt werden.

Mit den richtigen Maßnahmen lässt sich die Entwicklung umkehren beziehungsweise von vorneherein vermeiden. Um einen langfristig nachhaltigen Städtetourismus aufzubauen, haben die Roland Berger-Experten in ihrer Studie sieben Ansätze entwickelt. Der vielversprechendste und dabei langfristigste ist, frühzeitig eine Strategie zu erarbeiten, in der Tourismus- und Stadtentwicklungsplanung in Einklang gebracht werden. Zentrale Themen sind dabei unter anderem Infrastruktur, Umweltbelange oder Smart City-Angebote.

Zu den weiteren Ansätzen gehört es, die Innenstädte zu entlasten und den Gästestrom auf mehr Stadtteile zu verteilen. Das gelingt, indem vernachlässigte Viertel attraktiv wiederbelebt und beworben werden. Durch die gezielte Ansprache von zahlungskräftigen Besuchern mithilfe geeigneter Angebote lässt sich zudem das touristische Spektrum in Richtung Qualität statt Quantität verschieben.

WELTWEIT Overtourism

WELTWEIT Overtourism city index

Regulierung von Privatvermietungen empfohlen

Spätestens wenn der Trend in Richtung ''Overtourism'' offensichtlich wird, sollten Städte auch zu regulierenden Maßnahmen greifen. Dazu gehören Beschränkungen bei der Zahl der Hotelbetten und eine Regulierung der Vermietung von Privatwohnungen. Vor allem letztere hat im Zuge der Sharing Economy massiv zugenommen und treibt, durch sinkende Übernachtungskosten, die Zahl der Touristen in einer Stadt in die Höhe.

Zu den Städten, die gerade einen kritischen Punkt in Sachen Massentourismus überschritten haben (peak performance) gehört der Schweizer Ort Luzern. Der Ort geriet in die Schlagzeilen, als kürzlich eine Gruppe aus 12.000 chinesischen Touristen durch die Straßen zog. Es handelte sich um den größten Massenbesuch in der Geschichte der Schweiz. Laut einem Bericht der „Neuen Zürcher Zeitung“ steckt hinter dem gewaltigen Andrang der US-Kosmetik-Riese Jeunesse Global, der den Schweiz-Besuch als Belohnung für besonders erfolgreiche Verkäufer in China organisiert hat. Das Ausmaß der Touristenansammlung führte bei vielen Einheimischen zu Besorgnis über ''Overtourism“.

Luzern besonders betroffen

„Während alpine Regionen stark rückläufige Nächtigungszahlen hinnehmen mussten, boomt in der Schweiz der Städtetourismus. Das Wachstum wurde dabei vor allem durch Gäste aus Asien und den Golfstaaten angetrieben. Luzern sowie Interlaken sind dabei die Hotspots dieser Entwicklungen, was durchaus zu kritischen Stimmen aus der Bevölkerung führt“, sagt Therese Lehmann Friedli, stellvertretende Leiterin der Forschungsstelle Tourismus an der Universität Bern, gegenüber pressetext.

Luzern empfängt jeden Tag etwa 20.000 Gäste, jedoch sei eine einzelne Reisegruppe in dieser Größe noch nie dagewesen. Der frühere Rekord für die meisten chinesischen Touristen auf einmal in der Schweiz wurde 2017 aufgestellt und lag bei etwa 3.000 Personen. Zu dieser Zeit umfassten die Reisegruppen durchschnittlich 100 bis 200 Menschen.

Die Stadt hat mit der Größe der Reisegruppe bereits gerechnet und ein eigenes Mobilitätskonzept für sie entworfen. Die Gruppe wird in drei Wellen, bestehend aus je 4.000 Personen, eingeteilt. Sie bewegt sich durch die ganze Schweiz, Luzern ist allerdings der Knotenpunkt. Die erste Welle der Gruppe wurde mit 95 Reisebussen in die malerische Stadt am Vierwaldstättersee gebracht. Innerhalb von Luzern wurde ein spezielles Shuttle für die Reisegruppe eingerichtet, um Chaos zu vermeiden.