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Interview

„Kinder sind echte Anpassungsweltmeister“

Angela Schreiner lebte mit ihrem Mann und der damals zweijährigen Tochter berufsbedingt drei Jahre in Belgien. Dabei stellte sie fest, dass ein Umzug ins Ausland besonders für Kinder nicht einfach ist. Wie sie den Umzug erlebt hat und welche Tipps sie Eltern von den sogenannten „Third Culture Kids“ geben kann, erzählt die Sozialpädagogin und Autorin in unserem Interview.

BDAE: Was waren deine größten Ängste vor dem Umzug? Haben sich diese bewahrheitet?

Schreiner: Vor dem Umzug hatte ich große Angst davor, dass meine Tochter mental nicht ankommen wird. Ich habe mich daher mit vorhandener Fachliteratur zu dem Thema „Umzug ins Ausland“ beschäftigt und mich dadurch auch beruhigen lassen. Gerade Kleinkinder hätten keine Probleme, sich bei einem Umzug ins Ausland in der neuen Umgebung zurecht zu finden, so hieß es in den Büchern – das konnte mich besänftigen. Die Realität sah dann jedoch völlig anders aus: Meine Tochter hatte anfangs sehr große Schwierigkeiten in Belgien. Während sie in Deutschland sehr aufgeschlossen war und manchmal sogar Fremden zugewunken hatte, zog sie sich dort völlig zurück. Sie wollte mit keinen anderen Kindern spielen und wich mir nicht mehr von der Seite.

Der schlimmste Moment für mich war, als im Kindergarten ein Gruppenfoto von den Kindern gemacht wurde und meine Tochter sich von dem Fotografen wegdrehte und sich mit dem Daumen im Mund komplett einigelte. Ihre Körpersprache zeigte deutlich, dass sie sich unwohl fühlte und einfach nur wegwollte. Glücklicherweise wurde es mit der Zeit immer besser.

Zum Beispiel dachte sie, dass wir in Belgien nur im Urlaub sind und fragte, wann wir nach Hause zum „roten Haus“ fahren – so nannte sie unser Zuhause in Deutschland. Irgendwann hieß es aber: Wann fahren wir nach Hause zum „weißen Haus“ - unser Heim in Belgien war nämlich weiß. In diesem Moment wurde mir bewusst, dass sie unseren Umzug akzeptiert hatte und angekommen war.

Besonders schön war auch zu merken, dass sie beide Sprachen – deutsch und französisch – mischte. „Mama, wo ist denn mein blauer „Manteau?“. Dass ihr das deutsche Wort für „Mantel“ nicht eingefallen war, gab mir ein gutes Gefühl, weil ich so merkte, dass sie schon beide Sprachen verinnerlicht hatte – ein weiteres Zeichen für mich, dass sie sich immer mehr eingelebt hatte.

„Alle Familienmitglieder sollten gleichermaßen ankommen“

BDAE: Worin siehst du die größte Herausforderung für Third Culture Kids und ihre Eltern?

Schreiner: Wenn man als Familie ins Ausland zieht, sollte man darauf achten, dass wirklich alle Familienmitglieder gleichermaßen ankommen - alle sollten sich wohlfühlen. Jeder hat sein eigenes Eingewöhnungstempo, überschneidende Zeitfenster zu finden ist schwierig. Dass sich am Ende alle Familienmitglieder in der neuen Heimat zu Hause fühlen ist eine große Herausforderung.

Meistens bleibt es an der Mutter hängen, dafür zu sorgen, dass alle Familienmitglieder zur gleichen Zeit ankommen.

BDAE: Gab es Momente, in denen du die Auswanderung bereut hast?

Schreiner: Es gab keinen Zeitpunkt, an dem ich den Umzug jemals bereut hätte, auch wenn es sehr schwierig war am Anfang. Ich fühlte mich oft sehr hilflos. Selbst als Sozialpädagogin ist es schwierig, einem Kleinkind den Einstieg einfacher zu machen. Ich habe mit vielen Müttern gesprochen, die ähnliche Probleme hatten. Mir fehlte eine Art Erziehungsratgeber für Expateltern, der sich mit dem Thema befasste, es gab wenig empirisch fundierte Artikel mit Tipps und Ideen für Auslandsumzüge mit Kleinkindern. Auch konnte ich keine Kinderbücher finden, die sich mit einem Umzug ins Ausland beschäftigen. Es gab zwar Bücher, die sich auf ein spezifisches Land bezogen, aber keine, die einen „Umzug ins Ausland“ im Allgemeinen thematisieren, mit dem ich es meinem Kind „spielend“ erleichtern konnte. Also kam ich auf die Idee, selber Kinderbücher zu diesem Thema zu schreiben.

BDAE: Wie kann man als Eltern seine Kinder am besten unterstützen?

Schreiner: Wichtig ist, dass beide Elternteile eine positive Grundhaltung zum Auslandsaufenthalt haben und diese auch vermitteln, beide sollten ihre Vorfreude teilen – Kinder haben Antennen und spüren dies. Die Stimmung, die die Eltern mit dem Umzug ins Ausland vermitteln, überträgt sich automatisch auf die Kinder, daher sollte man dies möglichst positiv gestalten.

Ich kann nur empfehlen, die Kleinen auf den Umzug vorzubereiten und ihnen genau zu erklären, was passieren wird – dies sollte dann auch dem Alter entsprechend angepasst werden.

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„Rituale erleichtern Kindern den Einstieg“

Es ist hilfreich, Gesprächszeiten einzuführen – sich bewusst Zeit zu nehmen, um dem Kind zu erklären, was bevorsteht. Auch wenn man sicherlich genug Zeit mit der Organisation und Planung des Umzugs aufbringen muss, sollte die Zeit für das Kind nicht fehlen. Die Kinder aktiv mit in den Prozess einzubeziehen gibt ihnen das Gefühl, ihr Leben mitgestalten zu können, auch wenn sie den Umzug an sich nicht bestimmen konnten. Bei Kindern im Grundschulalter wäre eine Möglichkeit, dass sie helfen können, die Umzugskartons mit zu packen und zu beschriften und den Umzugswagen anzukündigen oder es entscheiden zu lassen, welche Spielsachen es mitnehmen möchte und welche nicht.

Kleineren Kindern kann dies in spielerischer Form beigebracht werden, indem man beispielsweise den Umzugsprozess bereits im Vorfeld mit Lego Duplo-Figuren durchspielt oder das Kind seine Umzugskartons mit Spielsachen mit einem einfachen Kreuz markieren lässt.

Man sollte auch darauf achten, wann man seinen Kindern den Umzug mitteilt. Es ist nicht hilfreich, einem Kleinkind drei Monate vorher zu sagen, dass der Umzugswagen kommt. Da würde es dann wahrscheinlich jeden Tag fragen, wo der Wagen denn bleibt. Einem größeren Kind kann man aber durchaus schon drei Monate vorher von dem geplanten Umzug erzählen.

Was ich allen Eltern empfehlen kann, ist Rituale beizubehalten. Natürlich ist es schwierig, das geliebte Bircher-Müsli weiterhin jeden Morgen auf den Tisch zu stellen, aber beispielsweise die Gute-Nacht-Geschichte auch nach dem Umzug vor dem Schlafen gehen vorzulesen oder die gewohnte Tischdecke bei Geburtstagen zu benutzen sind einfache Rituale, die den Kleinen Sicherheit geben und die in jedem Land umzusetzen sind.

BDAE: Wann würdest du Eltern von einem Umzug ins Ausland abraten?

Schreiner: Generell würde ich nie Familien von einem Umzug ins Ausland abhalten, es sei denn, die medizinische Versorgung, beispielsweise eines behinderten Kindes, ist im Zielland nicht gegeben. Man sollte als Eltern immer abwägen, inwiefern der Umzug dem Kind schaden kann oder einfach „nur“ mit Schwierigkeiten am Anfang verbunden ist, die aber zu überwinden sind. Für Kinder ist ein Auslandsaufenthalt generell eine gute Erfahrung, aus der sie viel lernen können.

BDAE: Denkst du, dass Third Culture Kids Vorteile gegenüber anderen Kindern haben, die beispielsweise in Deutschland aufwachsen?

Schreiner: Ich denke, dass sie die Vielfältigkeit und verschiedene Lebensweisen viel mehr miterleben. Für sie ist es einfacher, zu akzeptieren, dass Menschen auch „anders“ sein können – dass sie entweder anderes aussehen oder beispielsweise andere kulturbedingte Verhaltensweisen pflegen.

Sie lernen schnell, dass es nicht immer ein „Richtig“ oder ein „Falsch“ gibt und haben mehr Verständnis, wenn etwas anders ist und bekommen einen offeneren Blick auf verschiedene Dinge.

BDAE: Wie war es für dich und deine Kinder, wieder nach Deutschland zurückzukommen?

Schreiner: Für die Kinder war es sehr schön, wieder zurück nach Deutschland zu kommen. Die Großeltern nicht nur in den Ferien zu besuchen und die Tatsache, dass alle Kinder im Kindergarten deutsch sprechen, hat sie gefreut. Es fiel mir auch ein Stein vom Herzen.

Was mich dann wieder in Deutschland nervt und ich schon in Belgien vergessen hatte, war, wie hektisch man zum Beispiel an der Supermarktkasse einpacken und bezahlen muss, weil andere einfach ungeduldig sind – das Leben in Belgien war um einiges entspannter.

BDAE: Welchen Rat kannst du Eltern mitgeben, wenn sie mit ihren Kindern ins Ausland ziehen?

Schreiner: Ich kann Eltern nur raten, wenn sie ins Ausland ziehen, sich so viel Zeit wie möglich für das Einleben zu nehmen beziehungsweise auch wirklich zu geben. Man darf sich keinen Druck machen und erwarten, nach einer gewissen Zeit angekommen zu sein – das kann manchmal länger dauern oder im schlimmsten Fall auch nie passieren. Alle Familienmitglieder sollten ähnlich gut ankommen, das kann manchmal zeitversetzt geschehen, aber die Zeit sollte man sich geben. Der Erwartungsdruck erschwert die Situation nur unnötig.

Auch wenn es am Anfang schwierig werden kann, sollten Eltern nicht zu früh an einen Abbruch denken. Kinder haben die Fähigkeit, sich anzupassen, sie sind echte Anpassungsweltmeister. Man sollte versuchen, die positive Grundhaltung beizubehalten. Der Glücksmoment kommt dann einfach so und man fühlt sich plötzlich zu Hause – planen lässt sich dies nicht.

Über Angela Schreiner

Angela Schreiner ist Sozialpädagogin und gibt interkulturelle Trainings sowie Coachings für Eltern von Third Culture Kids. Sie hat bereits einige Bücher für die Kids veröffentlicht und berät Familien, die umziehen.

Da ihr Mann berufsbedingt häufig ins Ausland entsandt wird, hat sie als Expat-Mama selbst miterlebt, wie ihre Kinder in einer fremden Umgebung aufwachsen und welche Herausforderung dies mit sich bringt. Mit ihren Kinderbüchern möchte sie Third Culture Kids den Umzug ins Ausland verständlicher machen und ein wenig erleichtern.

Mehr Infos sowie eine Bastelvorlage für Kinder zum Thema Umzug finden Interessierte hier.

Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe September des Journals "Leben und Arbeiten im Ausland".

Das Journal erscheint monatlich kostenlos mit vielen informativen Beiträgen zu Auslandsthemen.

Herausgegeben wird es vom BDAE, dem Experten für die Absicherung im Ausland.