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Interview

„Sicherheit auf Reisen ist eine Illusion“

Marinela Potor arbeitet als digitale Nomadin. Sowohl ihr Zuhause als auch der Arbeitsplatz ist auf der ganzen Welt. Was sie auf ihren Reisen erlebt und wie sie sich unter anderem auf neue Kulturen und auf Sicherheitsrisiken vorbereitet, verrät sie im Interview.

BDAE: Sie leben und arbeiten seit gut vier Jahren als so genannte digitale Nomadin. Wie beschreiben Sie diesen Lebensstil und wie verdienen Sie Ihren Lebensunterhalt?

Potor: Ein digitaler Nomade ist jemand, der ortsunabhängig arbeitet und sein Geld hauptsächlich übers Internet verdient. Ganz platt formuliert: Ich sitze am Laptop und arbeite – kann dies aber von jedem Ort der Welt aus tun, solange es dort WLAN gibt. Mein „Büro“ ist also manchmal ein Hotel, mal ein Café oder auch die Strandbar. Ich arbeite hauptsächlich als freie Journalistin und schreibe sowohl für Online- als auch Offline-Medien, produziere Radiobeiträge für Sender in Deutschland und seit Kurzem betreibe ich gemeinsam mit Tobias Gillen vom Magazin Basic Thinking (http://basicthinking.de/) ein Onlinemagazin von und für digitale Nomaden, „Mein Leben Digital“ (http://meinleben.digital/).

Darüber hinaus arbeite ich auch im Onlinemarketing für einige Kunden beispielsweise einem Online-Handel, Software-, aber auch Special-Interest-Unternehmen. Zudem bin ich als Übersetzerin für die Sprachen Deutsch, Englisch und Spanisch tätig.

BDAE: Sie haben in Tübingen studiert und dann ein klassisches Redaktionsvolontariat bei einem Radiosender gemacht. Wie kam es dazu, dass Sie sich für ein Leben als digitale Nomadin entschieden haben?

Potor: Ich habe mich nie bewusst für dieses Leben entschieden, es hat sich eher sehr zufällig ergeben – und lange Zeit kannte ich diesen Begriff auch nicht, so dass mir gar nicht klar war, dass ich überhaupt eine digitale Nomadin war.

Einige Jahre habe ich in Chile verbracht und als Angestellte in einem ganz normalen Job gearbeitet. Nach meinem Volontariat wollte ich gerne nach Südamerika, um mein Spanisch zu verbessern und der Freund einer Mitbewohnerin war Halb-Chilene und gerade auf seinem Weg nach Chile. Das klang exotisch – und so habe ich mir sehr kurzentschlossen ein Flugticket gekauft, ohne sehr viel über das Land zu wissen. Dort angekommen, habe ich anfangs in einer Sprachschule gearbeitet und war dort im Sales & Marketing sowie in der Gastfamilien-Koordination tätig.

Als ich dann nach Möglichkeiten gesucht habe, mein Gehalt aufzubessern, bin ich wirklich sehr zufällig über einige Onlinejobs als Texterin für deutsche Webseiten gestoßen – und so hat das Ganze angefangen. Mein Freund und ich sind dann gemeinsam auf Südamerika-Reise gegangen, und ich habe gemerkt: „Mensch, du kannst ja deine Onlinejobs weiter machen, während du reist!“ So ist dann langsam aus den wenigen Texterjobs ein Gesamt-Online-Paket geworden, mit dem ich mittlerweile meinen ganzen Lebensunterhalt beschreite.

BDAE: Was schätzen Sie am allermeisten an Ihrem Leben und was nervt Sie manchmal?

Potor: Am meisten schätze ich meine Freiheit. Ich kann mir nicht nur meine Arbeit so einteilen wie ich möchte, ich kann als Freiberuflerin auch entscheiden, gewisse Jobs nicht anzunehmen. Als Angestellte kann man dagegen nicht so einfach sagen: „Diese Aufgabe nervt mich, das möchte ich jetzt nicht machen.“ Andersherum kann ich mich so auch mehr auf die Sachen fokussieren, die mich interessieren – und mich auch beruflich viel breiter aufstellen. Ich bin froh, dass ich nicht „nur“ als Journalistin arbeite, sondern auch die Chance habe, andere Bereiche wie das Marketing auszuprobieren. Und natürlich liebe ich es, reisen zu können, wann ich möchte und wohin ich möchte.

Die Abhängigkeit vom Internet ist manchmal etwas schwierig, vor allem, wenn das Internet nicht schnell oder gut genug ist. Dann sitzt man an den tollsten Orten der Welt, ist aber völlig genervt, weil man arbeiten muss – und das Internet nicht funktioniert.

BDAE: Welche Länder haben Sie schon bereist und welche davon fanden Sie am beeindruckendsten?

Potor: Reisen ist für mich nicht so sehr „Länder abhaken“, sondern mehr „Orte kennen lernen“. Deswegen gibt es auch viele Länder und Orte, an die ich regelmäßig immer wieder kehre. Ich bin bisher vor allem auf dem amerikanischen Kontinent – von Kanada bis Chile – gereist sowie in Europa. In diesem Winter geht es dann für mich zum ersten Mal nach Südostasien, darauf bin ich schon sehr gespannt.

Einige meiner Lieblingsländer sind Kolumbien, Brasilien und die Türkei, weil dort wunderschöne Orte mit unglaublich schönen menschlichen Erfahrungen zusammen kamen.

BDAE: Was waren das für Erlebnisse?

Potor: Eine besondere Erfahrung machten wir in der Türkei, wo wir in einer dieser verwinkelten Innenstädte einfach nicht unsere Airbnb-Unterkunft finden konnten und die Straßennamen keinem etwas sagten. In der Türkei werden diese dauernd geändert und die Einwohner nutzen alte Straßennamen und nicht die, die Google-Maps vorgibt. So waren wir völlig verzweifelt: Wir waren eine Stunde herumgeirrt, hatten schweres Gepäck und es war heiß. Dann sind wir schließlich in einen Laden hineingegangen und haben dort nach dem Weg gefragt. Der Besitzer hat uns erstmal einen Platz angeboten, uns Tee und Kaffee gemacht und dann selbst versucht, am PC den Weg für uns zu finden. Als auch er nicht wusste, wo die Straße sich befand, hat er kurzerhand für uns beim Airbnb-Host angerufen und ihm erklärt, wo wir waren, so dass dieser uns dann auch tatsächlich dort abgeholt hat. So viel Hilfsbereitschaft und Gastfreundlichkeit habe ich selten an anderen Orten erlebt.

Ich kann aber gar nicht ein bestimmtes Land benennen, da wirklich jeder Ort etwas Besonderes hat. Das schönste ist für mich, wenn ich keine großen Erwartungen habe und mich dann in ein Land verliebe, wie etwa Bosnien oder Albanien, diese Länder haben mich völlig überraschend im Sturm erobert.

BDAE: Warum haben diese Länder Sie so positiv überrascht?

Potor: Weil ich eigentlich sehr niedrige Erwartungen hatte. Bosnien hat mich aber durch wunderschöne Landschaften, eine faszinierende Geschichte und Kultur (die selbst nach dem Balkankrieg noch sehr gemischt ist) begeistert, Albanien wiederum durch die netten Menschen. Sehr wenige Touristen kommen nach Albanien und die Einheimischen sind dementsprechend ganz aus dem Häuschen, wenn sie welche treffen und winken einem zu, bieten dir Stadtführungen an und wollen ständig Fotos mit dir machen – wir kamen uns dort fast wie Prominente vor, so freundlich wurden wir behandelt.

BDAE: Durch Ihre Reisen lernen Sie die unterschiedlichsten Kulturen kennen. Wie bereiten Sie sich auf die jeweiligen Sitten und Gebräuche vor?

Potor: Ich versuche natürlich so viel es geht, vorher über einen Ort und die Gebräuche zu lesen, denn es hat für mich auch etwas mit Respekt zu tun, dass ich zum Beispiel in Marokko nicht mit Hotpants auf der Straße herumlaufe. Wobei wir bisher natürlich auch nicht an so viele Orte gereist sind, an denen die Kultur so signifikant anders ist als in Deutschland.

Ich kann mich aber an eine etwas peinliche Situation in Italien erinnern. Dort begrüßt man sich, genauso wie in Südamerika, mit einem Kuss auf die Wange – auch wenn man die Person nicht kennt. Nur ist es so, dass in Chile auf die rechte Wange geküsst wird und in Italien auf die linke – was ich nicht wusste. So habe ich mich bei einer Begrüßung mit einem Italiener voller Selbstvertrauen zur rechten Seite geneigt, er genauso schwungvoll zur linken – und wir waren dann beide sehr peinlich berührt als wir auf einmal die Lippen des anderen vor uns sahen.

BDAE: In welchem Land könnten Sie sich am ehesten vorstellen, sesshaft zu werden?

Potor: Der Nachteil vom vielen Reisen ist leider, dass man merkt, dass kein Land wirklich perfekt ist. Entweder ist das Wetter nicht ideal oder es fehlt einem das Meer oder man kann nie hoffen, die Sprache zu lernen oder es ist irgendetwas anderes. So habe ich bisher auch nicht DEN einen Ort, an dem ich mich niederlassen möchte. Ich kann mir eher vorstellen, zwei bis drei Länder als Wohnsitz zu haben, zwischen denen ich dann wechseln kann. Ich habe zwar noch keine konkreten Länder im Kopf, aber ein Standbein wäre sicher in Europa und ein anderes auf dem amerikanischen Kontinent.

BDAE: Derzeit drängt sich der Eindruck auf, dass Reisen aufgrund zahlreicher Terroranschläge sehr gefährlich ist. Wie gehen Sie damit um, meiden Sie bestimmte Länder?

Potor: Terror ist global, das heißt, man kann davon genauso in einem Café in Dortmund getroffen werden wie auf einer Reise. Es ist eine Illusion zu glauben, es gäbe so etwas wie absolute Sicherheit, genau so wenig im Heimatort wie auf Reisen. Dennoch versuche ich natürlich Brennpunkte zu meiden: Irak steht leider derzeit also nicht auf meiner Reiseliste, genau so wenig wie Venezuela.

Andererseits bin ich gerade durch Mexiko gereist, und ich hatte nicht den Eindruck, dass das Land so gefährlich ist, wie viele behaupten – wenn man einige Dinge beachtet. Wir haben natürlich Bundesstaaten gemieden, für die Reisewarnungen ausgegeben werden und sind beispielsweise auch nie nachts mit dem Bus gefahren. Wir fragen auch immer Menschen vor Ort, welche Gegenden sie empfehlen und welche wir vermeiden sollten. So kann man sich ganz einfach vor unnötigen Gefahren auf Reisen schützen. Mein Tipp wäre hier, sich so gründlich wie möglich vorab zu informieren und einfach auf den gesunden Menschenverstand zu hören und sich nicht unbedarft in gefährliche Situationen zu begeben.

BDAE: Was vermissen Sie am meisten aus der Heimat?

Potor: Materielle Dinge vermisse ich eigentlich kaum, aber ich vermisse es ab und zu, meine Familie um mich zu haben. Mein Freund ist meine wichtigste Bezugsperson. Wir hocken ja auch fast 24 Stunden am Tag aufeinander. Mein Freundschaftsnetzwerk besteht tatsächlich aus Freunden, die ich an Orten treffe, wo wir uns länger aufhalten, wie Medellín, Cincinnati oder natürlich auch Deutschland. Denn tiefe Freundschaften aufzubauen, wenn man nur zwei Tage an einem Ort ist, halte ich für sehr selten.

Darüber hinaus gibt es natürlich Reisebekanntschaften die man schließt, aus denen sich – aber wie gesagt nur selten – auch einige Freundschaften entwickelt haben. Es gibt auch viele Onlinenetzwerke wie die Meetup-Gruppen oder Facebook-Gruppen, über die man andere digitale Nomaden kennen lernen kann, diese nutze ich aber tatsächlich eher selten.

Über Marinela Potor

Marinela Potor begann ihren journalistischen Werdegang bei kleinen Lokalzeitungen und arbeitete dann während ihres Studiums als Reporterin für den Universitätsradiosender. Ihr Volontariat machte sie bei Radio Jade in Wilhelmshaven. Seit 2010 hat sie ihren Rucksack gepackt und bereist seitdem rastlos die Welt – und berichtet als freie Journalistin darüber. Ein Großteil Ihrer Beiträge ist auf https://meinleben.digital/ zu finden.

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Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe September 2016 des Journals "Leben und Arbeiten im Ausland".

Das Journal erscheint monatlich kostenlos mit vielen informativen Beiträgen zu Auslandsthemen.

Herausgegeben wird es vom BDAE, dem Experten für die Absicherung im Ausland.