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Interview
© Katsiaryna, AdobeStock; Kai Blum

„Zu Trump hat wohl jeder eine Meinung“

Der Sachbuch- und Romanautor Kai Blum lebt seit 1994 in den USA. Seine Landsleute hat er schon in diversen Büchern – darunter auch Auswanderer-Krimis – porträtiert. Im Interview spricht er unter anderem über seine Anfänge in Amerika und darüber, warum auch bei der kommenden US-Wahl wieder so viele US-Bürger für Donald Trump stimmen werden.

BDAE: Wann haben Sie das erste Mal in Ihrem Leben von Amerika gehört und was hat das bei Ihnen ausgelöst?

Blum: Genau weiß ich das nicht, aber ich kann mich daran erinnern, dass wir schon in der 1. Klasse in der Schule viel über die „bösen“ USA gehört haben. Ich bin ja in Rostock, in der ehemaligen DDR geboren, und dort wurden die Vereinigten Staaten von Amerika als kapitalistisch-imperialistisches Land und somit im Gegensatz zum Sozialismus als nicht erstrebenswert dargestellt. Ganz verstanden habe ich das nicht und fand es eher verwirrend. Im Westfernsehen, das wir natürlich auch schauten, sah das Land doch nicht ganz so schlimm aus und war irgendwie faszinierend. Zu dieser Zeit sah ich gerne Indianerfilme und Western und das hat meine Faszination für die USA noch gesteigert.

BDAE: Sie sind bereits 1994 in die USA ausgewandert – gerade einmal vier Jahre nach der Wiedervereinigung. Was war der Grund für Ihre Auswanderung und wie haben Sie diese bewerkstelligt – ohne Internet und signifikante Reiseerfahrung als ehemaliger DDR-Bürger?

Blum: Ja, das war ein riesiger Schritt, den ich allerdings auch nie angepeilt hatte. Ich hatte während meines Studiums in Leipzig eine amerikanische Austauschstudentin kennengelernt und wir heirateten kurz entschlossen, als sie in die USA zwecks Studiums zurückkehren musste. Ich wusste ehrlich gesagt gar nicht so richtig, was mich da erwartete. Ich bin also wegen der Liebe zu meiner damaligen Frau und nicht aus Liebe zum Land ausgewandert.

Es war kaum Zeit, sich auf dieses Abenteuer vorzubereiten, lediglich eine einwöchige Schnupperreise in die USA war möglich, weil wir dort zu einer Hochzeit eingeladen waren. Ich hatte zwar nach der Öffnung der Grenzen das persönliche Ziel, eine gewisse Zeit im Ausland zu verbringen, allerdings dachte ich da eher an europäische Destinationen wie Belgien oder die Niederlande.

BDAE: Wie hat Ihre Familie reagiert, als Sie mitteilten, dass Sie in die USA ziehen würden?

Blum: Da ich ohnehin nicht mehr in meinem Elternhaus lebte, war die Umstellung für sie nicht allzu groß. Außerdem war wirtschaftliche Migration zu der Zeit gang und gäbe. Etliche ehemalige DDR-Bürger mussten ihre Heimatorte verlassen, um Arbeit zu finden. Die ehemalige DDR lag in den 90-er Jahren wirtschaftlich am Boden, Betriebe wurden eingestampft, es herrschte eine sehr hohe Arbeitslosigkeit. Dass ich nun anders als die meisten meiner Altersgenossen nicht in die alten Bundesländer der BRD zog, sondern gleich einen ganzen Kontinent wechselte, war dann aber schon für die damalige Zeit eher ungewöhnlich.

BDAE: Wie waren Ihre allerersten Eindrücke von den USA und den Amerikanern?

Blum: Ich war sehr angenehm überrascht von der Freundlichkeit der Menschen und von ihrem Interesse an mir als deutschen Einwanderer. Viele Amerikaner haben ja selbst deutsche Wurzeln, insofern gab es schnell eine gewisse persönliche Verbundenheit. Vor allem der Kundenservice hat mich sehr beeindruckt. Damals war Service-Orientierung in Deutschland noch nicht so verbreitet wie heute.

Auch die Tatsache, dass man noch nachts und am Sonntag im Supermarkt einkaufen konnte, hat mich sehr beeindruckt. Ich kam ja von einem Extrem ins andere, war in der DDR aufgewachsen, wo es viel weniger Konsum gab. Im wiedervereinigten Deutschland habe ich gerade einmal vier Jahre gelebt.

„Wer in die USA auswandern möchte, sollte finanziell gut aufgestellt sein“

BDAE: Was waren die größten Herausforderungen nach Ihrer Ankunft in den USA?

Blum: Ich bin sehr schnell in den Alltag eingetaucht, ohne die anfängliche Euphorie ausleben zu können. Die größte Herausforderung war, dass wir kaum Geld hatten und ich anfangs auch nur schlecht bezahlte Arbeiten im Einzelhandel bekam. Auch die Formalitäten waren recht anstrengend, denn die Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis zu erlangen, war mit viel bürokratischem Aufwand verbunden.

Unter anderem arbeitete ich zunächst auf einem Bauernmarkt und verkaufte Gemüse. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal mein Schulenglisch brauchen würde und das war natürlich ganz anders als das Alltagsenglisch. Der Umgang mit den Kunden führte allerdings dazu, dass sich meine Englischkenntnisse sehr schnell verbesserten. Ein anderes Problem war, dass ich keine Krankenversicherung hatte und mir eine notwendige Zahnbehandlung nicht leisten konnte. Ich kann mir also recht gut vorstellen, wie arme Menschen in den USA leben und wie stressig und erschöpfend so ein Leben in Armut ist. Für mich war schnell klar, dass man finanziell gut aufgestellt sein sollte, wenn man in die USA auswandern will.

Ich habe zunächst in Washington D.C. gelebt, ein Jahr später ging es dann nach South Dakota. Einen Tiefpunkt hatte ich, als ich im Einzelhandel in Nachtschichten arbeiten musste, was sehr anstrengend war und mich auch etwas frustrierte, da ich immerhin in Deutschland studiert hatte. Aber nachdem wir nach Detroit umgezogen waren bekam ich einen Job im digitalen Marketing, wo ich unter anderem für Daimler Chrysler arbeitete. Da waren auch meine Deutschkenntnisse gefragt.

In jener Zeit dachte ich auch viel darüber nach, was man uns in der Schule über das kapitalistische Amerika erzählte und ich lernte diesen Widerspruch von Freiheit und fehlender materieller Sicherheit kennen. Ich schätzte von Anfang an die Meinungsfreiheit in den USA und die Freiheit, selbst über sein Leben entscheiden zu dürfen. In der DDR hat sich der Staat ja auch in private Lebensentwürfe – zum Beispiel bei der Wahl des Studiums – eingemischt.

INTERVIEW Kai Blum MichiganKai Blum in Michigan, © Kai Blum

Aber anders als im Sozialismus ist das Individuum hier weitestgehend auf sich alleine gestellt und hat kein soziales Sicherungsnetz, das einen auffängt, wenn man scheitert und zu Boden fällt. Andererseits war die Armut in den USA dann auch nicht so verbreitet, wie man es uns hatte weismachen wollen.

„Mir gefällt die amerikanische Gelassenheit“

BDAE: Wie sind Sie mit den interkulturellen Unterschieden umgegangen?

Blum: Ich bin natürlich in so manches Fettnäpfchen getreten, habe etwa am Arbeitsplatz über Politik gesprochen – was man nicht tun sollte - oder ich bin zu Partys pünktlich erschienen. Aber wenn man Augen und Ohren offenhält, lernt man schon schnell dazu.

Amerikaner sind nicht so direkt wie wir Deutschen. Kritik wird eher verschlüsselt formuliert. An diese Art der Kommunikation im Job musste ich mich erst einmal gewöhnen. Hierarchien werden überhaupt nicht betont und auch Titel spielen im täglichen Miteinander kaum eine Rolle, aber man muss dennoch genau wissen, wer der Boss ist und wer einen „feuern“ kann. Die Kameradschaftlichkeit kann da manchmal über die Tatsachen hinwegtäuschen. Auch stelle ich fest, dass in Deutschland eigenständiges Arbeiten sehr gefördert wird, wohingegen in den USA das Micromanagement eine große Rolle spielt.

Was mir an der amerikanischen Mentalität gefällt, ist die Gelassenheit. Es wird nicht alles so ernst genommen. Am Ende ist es aber egal und all das Vergleichen mit deutschen Gepflogenheiten bringt nichts, denn man muss sich an sein Umfeld anpassen, wenn man woanders hingeht.

BDAE: Seit 2006 haben Sie die amerikanische Staatsbürgerschaft. Wie haben Sie diese erlangt und warum war es Ihnen wichtig, diese zu erhalten?

Blum: Das hatte einen ganz praktischen Grund: Ich wusste, dass ich weiterhin in den USA bleiben würde, weil ich mir hier ein Leben aufgebaut und viele Freunde gewonnen habe und mir die Mentalität der Menschen gefällt. Außerdem wollte ich nicht immer die Green Card verlängern oder auch Gefahr laufen, dass diese nicht erneuert wird, da ich mittlerweile geschieden war. Also machte ich den obligatorischen Sprachtest, beantragte die Einbürgerung und bekam dann bei einem feierlichen Akt die Einbürgerungsurkunde überreicht. Mittlerweile lebe ich mit meiner Familie in Chicago und fühle mich sehr wohl hier.

Tatsächlich war es schwieriger, die deutsche Staatsbürgerschaft zu behalten als die amerikanische zu bekommen. Es besteht ja die Möglichkeit, die doppelte Staatsbürgerschaft zu haben und ich wollte auch Deutscher bleiben, weil ich somit auch EU-Bürger bin, was wiederum viele andere Vorteile mit sich bringt. Mein Antrag wurde aber zunächst abgelehnt, was mich sehr geärgert hat. Am Ende hat es dann aber glücklicherweise geklappt.

„Meine kulturelle Identität ist hybrid“

BDAE: Fühlen Sie sich mehr als Amerikaner oder als Deutscher? Wie würden Sie Ihre kulturelle Identität bezeichnen?

Blum: Meine Identität ist hybrid. Ich bin Beides, aber mit Besonderheiten. Mein Deutsch hat inzwischen amerikanische Eigenschaften angenommen, aber das US-Englische hat noch immer einen starken deutschen Akzent. Im Alltag fühle ich mich aber schon eher als Amerikaner denn als Deutscher.

Alle zwei Jahre bin ich in Deutschland, um meine Familie zu besuchen. Am ersten Tag fühle ich mich dann immer als Ausländer. Auch habe ich dann das Gefühl, etwa 20 Jahre in die Zukunft zu reisen. Die Amerikaner mögen zwar im Digitalen den Deutschen etwas voraus sein, aber in vielen anderen Bereichen – vor allem in der Verkehrstechnik – ist Deutschland einfach weiter. Wenn ich in einem ICE sitze und dahingleite, dann fühle ich mich wirklich wie in der Zukunft.

Auch denken die Deutschen nachhaltiger, insbesondere was die Infrastruktur angeht. In meinem neuen Buch „USA 151“ widmet sich ein Artikel dem Thema „Wires“ also Stromkabeln. Nach schweren Stürmen sind oft tausende Haushalte ohne Strom. Das liegt daran, dass in den meisten Fällen Stromkabel an Masten hängen, die in Klein- und Vorstädten von umstürzenden Bäumen oder abbrechenden Ästen mitgerissen werden. In Deutschland sind die meisten Stromkabel inzwischen unterirdisch verlegt, doch die Amerikaner haben schlicht kaum Erfahrung mit der Instandhaltung und Reparatur von unterirdisch verlegten Kabeln. Gleichwohl wissen sie aber, dass deren Installation im Schnitt etwa fünfmal so viel kostet wie das Anbringen von Masten. Deshalb sind viele Entscheider nur schwer davon zu überzeugen, dass so auf lange Sicht Geld gegenüber sturmanfälligen Leitungen gespart werden könnte. Tatsächlich gibt es in den USA hierzu so gut wie keine Effizienzstudien.

Andererseits gehen Amerikaner auch sehr pragmatisch vor, wenn es um die Umsetzung von Vorhaben geht. Es wird dann „gemacht“ und nicht großartig „geplant“ oder erst einmal eine Studie in Auftrag gegeben.

„Man sollte ein Land nicht nach den politischen Geschehnissen beurteilen“

BDAE: Hat sich Ihr Leben in den USA bzw. die Wahrnehmung, die Sie von Ihrem „neuen“ Heimatland haben, verändert, seitdem Donald Trump Präsident ist?

Blum: Nein, denn Trump ist ja nicht aus dem Nichts gekommen. Das Land hatte sich auch in den Jahren davor schon extrem gespalten, angetrieben von Medien, die oftmals nicht mehr objektiv berichten sondern Meinungsmache betreiben, zum Beispiel Fox News (pro Trump/Republikaner) auf der einen und CNN (pro Demokraten) auf der anderen Seite. Die sozialen Medien haben das dann noch mal verschärft, weil die meisten Leute nur noch in einer Meinungsblase von Gleichgesinnten leben. Es ist auch ein Problem, dass hier die Politik von zwei großen Parteien bestimmt wird, die sich auch in Extremen abgrenzen wollen.

Dass Trump 2016 gewählt wurde, war Ausdruck eines Protests gegen das sogenannte Establishment, also gegen etablierte Politiker. Donald Trump hat sich damals als Mann der Leute und nicht als Politiker inszeniert. Vor seiner Wahl gab es auch schon eine schleichende Spaltung, allerdings war die Mitte vor ihm durchaus noch etwas breiter. Trump hat die latente Spaltungsstimmung aufgenommen und auch befeuert, er merkt wohl aber gar nicht, was er anrichtet, es geht nur um sein Ego, er begreift den Schaden nicht, denn er kommt ja auch nicht aus dem Volk.

Aber man sollte ein Land nicht damit gleichsetzen, was politisch geschieht. So wie wir auch in der DDR im Alltag Spaß mit Freunden hatten oder unseren Interessen nachgingen, so kann auch das Leben in den USA viel Freude machen, egal wer an der Macht ist. In den USA gibt es viele „Inseln“, die so wie Chicago liberal und progressiv sind und eben Menschen anziehen, die auch so denken.

BDAE: Aus Ihrer persönlichen Sicht betrachtet: Warum stehen so viele gut ausgebildete, wohlhabende US-Amerikaner zu diesem Präsidenten?

Blum: Da geht es in erster Linie um Geld und nicht um Trump. Die Republikaner handeln im Interesse der Wohlhabenden, wenn es um Steuern geht. Und die Wohlhabenden sind oft gut ausgebildet. Die Demokraten sind zwar auch nicht gerade eine Arbeiterpartei, aber zumindest haben sie noch etwas mehr soziales Gewissen als die Republikaner.

BDAE: Die gegenwärtige (deutsche) Sicht von den USA ist die eines zutiefst gespaltenen Landes, in denen es bei vielen wichtigen Themen vor allem zwei Extreme gibt und wenig „Grauschattierungen“. Wie nehmen Sie das wahr?

Blum: Im Moment ist es wohl wirklich so. Zu Trump hat wohl jeder eine Meinung. Hinzu kommt, dass die Coronapandemie sehr stark politisiert wird und eben die Schwächen des Systems offenbart, wie zum Beispiel ein dysfunktionales Gesundheitssystem, das vor allem nur jenen nützt, die es sich auch leisten können. Covid-19 ist in den USA überwiegend zu einer Krankheit der Armen geworden.

Wenn Trump wieder weg ist wird es meiner Ansicht nach auch wieder eine relativ breite Mitte geben. Allerdings sind die jungen Leute in Bewegung geraten und es ist mehr denn je von Sozialismus die Rede, oder was Amerikaner dafür halten. Als Deutsche würden wir das wohl als soziale Marktwirtschaft bezeichnen.

BDAE: Was wird nach der Wahl im November passieren? Fürchten Sie sich vor dem Wahlausgang – egal wer gewinnen wird?

Blum: Wenn Trump gewinnt, geht das Chaos womöglich noch vier Jahre weiter und die inneren Konflikte werden sich noch mehr zuspitzen. Sollte Biden gewinnen, und das ist nicht so sicher, wie es aussieht, wird das Land vielleicht innerlich zur Ruhe kommen, aber ich fürchte, dass sich die Beziehungen zu Russland stark verschlechtern werden. Immerhin muss man Trump zugestehen, dass er sich bislang nicht als internationaler Kriegstreiber aufgeführt hat.

Kurzvorstellung der Bücher von Kai Blum

In den 90-er Jahren lebte Kai Blum in South Dakota, einem Bundesstaat, in dem sehr viele Nachkommen deutscher Auswanderer leben, die Ende des 19. Jahrhunderts kostenloses Ackerland von der US-Regierung bekamen. Das Leben war hart für diese Auswanderer und bestimmt von extremen Wetterereignissen. Die Geschichte der heutigen deutschen Nachfahren inspirierte Kai Blum zu einer Krimireihe, in der die mecklenburgische Familie Sievers im Mittelpunkt steht.

INTERVIEW Cover mit mueh und not
Teil 1: Hoffnung ist ein weites Feld

ISBN: 978-3943176599
176 Seiten
7,95 Euro (Taschenbuch)

INTERVIEW Cover man erntet was man saet
Teil 2: Man erntet, was man sät

ISBN: 978-3943176612
171 Seiten
7,95 Euro (Taschenbuch)

INTERVIEW Cover hoffnung ist ein weites feld
Teil 3: Mit Müh und Not

ISBN: 978-3743162563
176 Seiten
7,95 Euro (Taschenbuch)

Das neue Buch von Kai Blum und Petrina Engelke: USA 151 – Das Land der unbegrenzten Überraschungen in 151 Momentaufnahmen
USA 151 ist eine einzigartige Dokumentation von amerikanischen Besonderheiten von A wie Aliens bis Y wie Yard Sale. Die USA sind eine von Einwanderern gegründete Heimat für Träume, Widersprüche und Extreme. Und genau diese beschreiben die Autoren kurz, aber auf dem Punkt mit entsprechenden Illustrationen. Man erfährt etwa, warum die Kirche für die meisten US-Amerikaner eine so große Rolle spielt, warum die alle vier Jahre abgehaltene Wahl des US-Präsidenten immer an einem Dienstag stattfinden muss, was es mit dem ausgesprochenen Patriotismus auf sich hat und warum zu Halloween Kürbisse zu Fratzen ausgeschnitzt werden.

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