„Was wir als normal empfinden, könnte woanders als provokant gelten“
Seit ihrer Jugend bereist die Schweizerin Sarah Althaus die Welt – anderthalb Jahre davon sogar komplett alleine. Im Interview gibt sie Tipps, wie man sicher alleine unterwegs ist und erzählt, was sie bisher von ihren Erlebnissen im Ausland für sich mitgenommen hat.
BDAE: Deine große Leidenschaft ist das Reisen – und das schon seit deiner Jugend. Inwieweit hat dies deine Persönlichkeit und Entwicklung geprägt?
Sarah: Man ist zwar wie man ist, aber das Leben formt einen schon. Insofern habe ich mich durch das Reisen sicherlich verändert. Während meiner Weltreise war ich anderthalb Jahre alleine unterwegs, natürlich hat mich das in irgendeiner Weise geprägt. Durch dieses Abenteuer bin ich selbstbewusster und reflektierter geworden. Es ist die Summe der Erlebnisse, jede einzelne Reise für sich, die mich verändert hat. Wenn ich eine spezielle Reise als besonders nachhaltig prägend nennen sollte, dann war es meine Weltreise. 18 Monate war ich alleine unterwegs und habe dabei einiges über mich selbst gelernt. Obwohl es keinesfalls als Selbstfindungstrip geplant war, bin ich doch mit vielen neuen Erkenntnissen über mich und meine Wünsche und Ziele zurückgekommen.
BDAE: Eine Weltreise ohne Begleitung zu machen, wie war das?
Sarah: Ich war damals 29/30 Jahre alt und habe die Entscheidung bewusst getroffen. Der Vorteil an dieser Art zu reisen ist ein Stückweit egoistischer Natur, denn man muss auf niemanden Rücksicht nehmen und kann im Grunde alles tun, wonach einem der Sinn steht. Der Nachteil besteht darin, dass man seine Erlebnisse nicht mit jemandem teilt und sich gemeinsam darüber austauscht. Aber so viel Zeit nur mit sich zu verbringen, stärkt auch die Persönlichkeit. Ich habe herausgefunden, was mir guttut und was ich nicht möchte. Es hat den Blick dafür geschärft, was mir im Leben wirklich wichtig ist.
Dennoch hatte ich auch Kontakt zu anderen Menschen, schloss sogar viele Freundschaften. Dies war möglich, weil ich Couchsurfing gemacht habe und vorab Kontakt zu Leuten über soziale Netzwerke wie Instagram aufgenommen hatte. Mit einigen dieser Menschen bin ich bis heute freundschaftlich eng verbunden.
BDAE: Als Frau alleine zu reisen, klingt nicht ganz ungefährlich. Hast du dich mal unsicher gefühlt auf deinen Reisen, und hast du Sicherheitstipps?
Sarah: Sicherheit ist meiner Meinung nach ein sehr subjektives Gefühl und stark an das eigene Empfinden und auch die Erlebnisse gekoppelt. Insbesondere im Kontext mit Frauen gilt Reisesicherheit als schwieriges Thema. Allerdings bin ich der Ansicht, dass man es auch nicht überbewerten sollte. Die Welt ist im Grunde ein guter Ort und egal, wo ich bisher war, sind mir die Menschen wohlgesonnen gewesen. Ich habe überall ungefragt Unterstützung erfahren. Das ist eine wichtige Grunderkenntnis meiner Reisen. Wenn ich eine Reise plane, habe ich selten schlimme Szenarien im Kopf. Das Risiko im Straßenverkehr umzukommen ist um einiges grösser als z. B. überfallen zu werden. Dies sollte man sich immer im Hinterkopf behalten, und es relativiert die Angst vor Bedrohungen. Diebstahl hingegen empfinde ich nicht als übermäßig dramatisch. Gegenstände kann man versichern und ersetzen. Entscheidend ist die Sicherheit für Leib und Leben. Hier habe ich fast nie schlechte Erfahrungen gemacht, aber ich habe auch ein paar Grundregeln beherzigt.
So laufe ich nachts wenn möglich nicht alleine herum und meide gefährliche Viertel. Ebenso versuche ich nächtliche Busfahrten zu vermeiden, um nicht an übermüdete Busfahrer zu gelangen oder mitten in der Nacht am neuen Ort anzukommen. Lokale Gefahrensituationen meidet man außerdem, indem man sich vorab über kulturelle Besonderheiten des Gastlandes informiert. Denn was wir als normal empfinden, könnte woanders als provokant gelten. Das gilt auch für die Kleidung. Fast überall außerhalb Europas wird unser Kleidungsstil nicht als angemessen empfunden. Wer sich entsprechend anzieht, also Schultern und Beine bedeckt, nicht bauch- oder rückenfrei herumläuft, meidet von vornherein unangenehme Situationen oder langes Anstarren durch Männer.
Außerdem habe ich meine wichtigsten Dokumente kopiert, damit ich bei deren Verlust Reisepass und Co. schnell wieder beschaffen kann.
BDAE: Inwieweit würdest du den Satz „Alle Menschen sind gleich“ unterschreiben?
Sarah: Es gibt natürlich länderspezifische Unterschiede hinsichtlich der Nationalität der Menschen, auch bedingt durch die soziokulturelle Prägung. Grundsätzlich sind aber alle Menschen gleich, wenn wir etwa an die Grundbedürfnisse denken. Jeder Mensch strebt nach Liebe und Geborgenheit, wir alle brauchen Mahlzeiten am Tag, ein Dach über dem Kopf, eine Aufgabe und so weiter. Selbstverständlich habe ich festgestellt, dass es unterschiedliche Menschentypen gibt, ganz unabhängig von der kulturellen Herkunft.
Ich bin beispielswiese eher introvertiert. Latein- und Südamerikaner sind möglicherweise kulturell bedingt extrovertierter oder haben zumindest ein anderes Verständnis von Nähe und Distanz oder Individualität. Das fängt an beim Verständnis von körperlicher Nähe – wir Westeuropäer brauchen zum Beispiel mindestens eine Armeslänge Abstand von anderen Menschen, um uns nicht bedrängt zu fühlen – geht weiter beim individuellen Bedürfnis nach temporärer Einsamkeit. Ich benötige beispielsweise immer mal wieder Zeit für mich alleine. Was diese Punkte angeht, habe ich durchaus schon Missverständnisse mit meinen südamerikanischen Freunden erlebt.
Manche Kulturen sind mir näher, manche fremder. So erscheint mir die asiatische Kultur weiter weg als die lateinamerikanische. Aber das bedeutet keineswegs, dass irgendeine Kultur besser oder schlechter ist. Ich betrachte die Unterschiede als etwas sehr Spannendes, als eine neue Erfahrung, die mich bereichert und von der ich lernen kann. Man muss sich nur auf diese Unterschiede einlassen können.
BDAE: Was an dir ist typisch Schweizerisch vor dem Hintergrund deiner zahlreichen interkulturellen Erfahrungen?
Sarah: Ich habe mich sehr gut auf Reisen kennengelernt und klar mag ich es, wenn Menschen pünktlich oder ordentlich sind, was sicherlich mit meiner westeuropäischen Herkunft zusammenhängt. Dieses Bedürfnis ist aber gar nicht so sehr auf die Nationalität bezogen, sondern ist Teil meines eigenen Wesens. Ich habe auch festgestellt, dass ich kein besonders großes Gruppengefühl habe, vielmehr muss ich mich auch mal ausklinken können und ganz für mich sein.
Viele Menschen kennen die Schweiz übrigens gar nicht. Ich habe sogar öfter die Erfahrung gemacht, dass das afrikanische Swasiland bekannter war als Switzerland oder es allenfalls hieß „oh yes, I know Sweden“.
BDAE: Dein Lieblingskontinent ist Latein- und Südamerika. Was reizt dich an Ländern und Leuten dort am meisten?
Sarah: Die Region gehört zweifelsohne zu meinen liebsten Reisedestinationen. Ich habe die Gegend schon oft bereist und die meisten Länder besucht. Fasziniert hat mich zum Beispiel Bolivien. Dieses Land ist einfach unglaublich. Es bietet eine Vielfalt, die man andernorts vergebens sucht: Von den höchsten Andengipfeln, bizarren Mondlandschaften, unglaublich beeindruckender Natur bis hin zum Dschungel im Flachland. Außer dem Meer ist alles zu finden. Aber eben: Ich bin ein Meereskind und liebe das Surfen über alles. Nicaragua hat es mir besonders angetan, oder nach Brasilien reise ich auch immer wieder.
Vielleicht hängt meine Liebe zu Südamerika auch damit zusammen, dass es eines meiner ersten Fernreiseziele war. Ich bin mit 19 Jahren in Brasilien gestartet und dann von Chile aus zurück nach Hause geflogen. Das hat mich so sehr geprägt, dass ich mehrmals zurückkommen musste. Man kann überdies die einzelnen Länder nicht miteinander vergleichen. Brasilien und Bolivien beispielsweise unterscheiden sich sehr voneinander. An den Latinos selbst gefällt mir, dass sie Eigenschaften haben, die bei mir nicht so ausgeprägt sind. Sie sind sehr offen, gehen schnell auf andere Menschen zu und schließen überall gleich Freundschaften. Und es ist ja meistens das Andere, das Exotische, das einen besonders anzieht.
BDAE: Gibt es Länder, in die du nicht mehr reisen würdest?
Sarah: Es gibt eigentlich keines, wo ich nie wieder hinreisen würde, aber es gibt welche, die liegen mir mehr und manche eher weniger. Indonesien beispielsweise war für mich okay, aber hat mir nicht so gefallen wie viele andere. Es ist kein Muss für mich, nochmal dorthin zu reisen. Doch egal, wo ich bisher war, ich habe überall etwas für mich herausgezogen. Es ist die Mischung aus Leuten, die positiven und negativen Erfahrungen, neue Ideen, die Erfahrung schwieriger Situationen, beispielsweise wenn ein Couchsurfing mal nicht geklappt hat, viele Kleinigkeiten, die etwas ausmachen und einen formen.
Die Erkenntnisse die ich gewonnen habe, kann mir auch niemand mehr nehmen. Zum Beispiel, dass Materialismus mir nicht viel bedeutet, das Wissen darum, was mir wichtig im Leben ist und wie viel Wert man auf Erlebnisse legt, welche Relevanz Besitz hat. Allein die Tatsache, dass man sich für oder gegen Besitz entscheiden kann, dass man überhaupt eine solche Wahl hat, ist schon ein Luxus, den sich nur die allerwenigsten auf dieser Welt leisten können. All das sind Erkenntnisse, die ich durch das Reisen erlangt habe.
BDAE: Du bist seit Kurzem Mutter einer Tochter. Gibt es Ziele, die du und dein Partner meiden würdet, solange euer Kind noch klein ist? Habt ihr bereits Ziele, die ihr als Familie bereisen wollt?
Sarah: Wir würden nicht komplett anders reisen und werden durch unser Kind auch nicht zu All-Inclusive-Touristen. Man kann mit einem Baby oder Kind überall hinreisen, wo die Lage stabil ist und die medizinische Versorgung gewährleistet ist. Aber in der Tat überlegt man sich als junge Eltern schon zweimal, wo man hinreist. Man reist nicht mehr so schnell und flexibel Man muss mehr planen und stimmt natürlich vieles auf sein Kind ab. Unsere erste Reise mit Baby haben wir nach Gran Canaria gemacht und das hat wunderbar geklappt. Wir haben vor Ort ein Haus gemietet und dann die Insel erkundet. Dabei stellten wir fest, dass wir glücklicherweise ein „Reisebaby“ haben. Für diesen Sommer planen wir eine Balkanreise.
Über den Blog „Rapunzel will raus“
Sarah Althaus gibt seit mehreren Jahren auf ihrem Blog www.rapunzel-will-raus.ch Reisetipps. Die Seite hat sie so genannt, weil Rapunzel jeden Tag in ihrem Turm sitzt, aber nicht raus kann. Anders als die Märchenfigur schaffte es Sarah schon früh raus in die Welt und damit hinein ins Leben. Sie bezeichnet sich selbst als rastlose Reisende, Glückliche und Neugierige, die mit Leidenschaft schreibt und in ihrer Freizeit läuft, surft und kocht.
Ihre Reisen finanziert sie mit Ersparnissen, die sie durch Arbeit sowie den Verzicht auf Luxus und Konsum zusammengesammelt hat, denn es bleibt viel Geld übrig, wenn man verzichtet. Zudem hat sie manchmal die Möglichkeit, Blogger- und Pressereisen zu unternehmen.