Anhaltender Wettbewerbsdruck für Europas Airlines
Die Marktaustritte von Air Berlin und Alitalia verschaffen den verbliebenen europäischen Passagierfluglinien keine Entlastung. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse der Strategieberatung Oliver Wyman. Eine Konsolidierung wie im US-Markt bleibt aus, der Wettbewerb in Europa könnte sich sogar verschärfen, weil die Airlines ihre Kapazitäten stark ausbauen. So wird die Flottengröße in Europa der Analyse zufolge ansteigen. Der Wettbewerb zwischen den Billigfliegern wird weiter steigen und Premium-Airlines wie Lufthansa oder Air France werden vor allem ihre Kosten drücken, ihr Angebot stärker an Kundenbedürfnissen ausrichten und die Digitalisierung vorantreiben müssen, um sich im europäischen Luftverkehrsmarkt weiter behaupten zu können.
In Nordamerika kontrollieren dagegen mit American Airlines, Delta Air Lines, Southwest Airlines und United Airlines nur vier Anbieter das Geschäft mit Passagierflügen innerhalb des Kontinents. Dem Quartett ist es gelungen, Angebot und Nachfrage so zu balancieren, dass die Luftverkehrsbranche nach Jahren der Verluste heute eine gesunde Profitabilität und einen hohen Innovationsgrad aufweist. Diesseits des Atlantiks können Airlines davon nur träumen, denn auf dem europäischen Markt herrscht laut der Analyse nach wie vor eine hohe Wettbewerbsdynamik mit einem anhaltend hohen Preisdruck.
Auch die jüngsten Insolvenzen von Air Berlin und Alitalia ändern demnach nichts am hohen Wettbewerbsdruck. Zwar haben sich nach der Pleite von Air Berlin Marktanteile zugunsten der Lufthansa-Tochter Eurowings sowie Easyjet verschoben, doch hat dies bisher keine größere Auswirkung auf den Wettbewerb.
Kapazität wächst stärker als das Passagieraufkommen
Über 40 Fluglinien werben aktuell in Europa um Passagiere im innereuropäischen Geschäft. Vor allem die Billigflieger setzen auf Expansion durch Flottenausbau, was die Konkurrenzsituation verschärft. Laut der Oliver Wyman-Analyse werden die Airlines in Europa bis 2022 ihre Flotten um 600 Flugzeuge auf dann 5.700 Stück erweitern – ein Plus von 12 Prozent.
"Die neuen Flugzeuge sind im Schnitt größer als die aktuellen Maschinen, damit steigt die Gesamtkapazität noch stärker – aktuell schätzen wir die Steigerung bis 2022 auf etwa 25 Prozent", sagt Björn Maul, Partner bei Oliver Wyman. "Das Luftfahrtgeschäft in Europa ist von Marktirrationalitäten geprägt, denn dem Aufbau der Kapazitäten von 4,9 Prozent pro Jahr steht laut ICAO nur ein Nachfragewachstum von 2,5 Prozent jährlich gegenüber." Diese Differenz wird den Preisdruck erhöhen.
Billigflieger streben in die Zentren
Speziell an großen deutschen Flughäfen wird laut Analyse verschärfte Konkurrenz erwartet. In Berlin und Düsseldorf etwa besetzte Air Berlin Mitte 2017 im innereuropäischen Verkehr noch Angebotsanteile von 49 beziehungsweise 35 Prozent und hielt dabei attraktive Start- und Landerechte. "Die neu vergebenen Air-Berlin-Kapazitäten werden zu einer Umverteilung des Angebots hin zu einer noch stärkeren Präsenz von Billigflug-Anbietern in den deutschen Zentren führen", sagt Maul. Das entspricht einem generellen Trend: Billigflug-Anbieter orientieren sich hin zu den größeren Flughäfen, wo der Zugang zu Start- und Landerechten strategisch wichtig ist.
Aktuell sieht Luftfahrtexperte Maul reine Billiganbieter wie Ryanair und Easyjet im Vorteil gegenüber Netzwerk-Carriern mit Low-Cost-Töchtern wie Lufthansa oder Air France-KLM, da sie Vorteile in der Kostenstruktur haben und schneller auf Produktinnovation reagieren.