Erschöpft und einsam: Die Situation der Schulkinder in Deutschland verschlechtert sich. Mehr als die Hälfte berichtet von Erschöpfung, fast ein Drittel von verstärkter Einsamkeit. Viele Jungen und Mädchen haben Schlafprobleme, Kopf-, Rücken- oder Bauchschmerzen.
Der Anteil derjenigen, die unter mindestens zwei Beschwerden pro Woche leiden, ist in den vergangenen sechs Jahren um rund ein Viertel auf 46 Prozent gestiegen. Das geht aus dem Präventionsradar 2024 der DAK-Gesundheit hervor.
Ein weiteres Ergebnis: Drei Viertel der Schulkinder leiden unter Angstzuständen. Die Krankenkasse hat die bundesweit einmalige Schulstudie gemeinsam mit dem Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung (IFT-Nord) in 14 Bundesländern durchgeführt. Dabei wurden rund 23.000 Schülerinnen und Schüler befragt. DAK-Chef Andreas Storm sieht die psychische Gesundheit der nachwachsenden Generation in Gefahr und fordert mehr Präventionsinitiativen.
Chronische Einsamkeit ist ein Risiko für die seelische Gesundheit
„Der aktuelle DAK-Präventionsradar zeigt, wie verbreitet Erschöpfung, Einsamkeit und körperliche Beschwerden bereits bei Kindern in Deutschland sind. Diese Ergebnisse sind alarmierend, denn chronische Einsamkeit ist ein Risiko für die seelische Gesundheit von Mädchen und Jungen“, sagt DAK-Vorstandschef Andreas Storm. „Wir müssen verhindern, dass eine verlorene Generation mit gesundheitlichen Problemen und seelischen Leiden heranwächst. Wir müssen offen über die Probleme reden und mit verstärkten Präventionsinitiativen Antworten und Hilfen geben.“
Der Präventionsradar der DAK-Gesundheit untersucht seit 2016 das körperliche und seelische Wohlbefinden sowie das Gesundheitsverhalten von Schülerinnen und Schülern der Klassen 5 bis 10. An der aktuellen achten Befragungswelle nahmen im Schuljahr 2023/2024 rund 23.000 Mädchen und Jungen aus 1.449 Klassen der Sekundarstufe I teil. Demnach kennt fast ein Drittel von ihnen (31,5 Prozent) das Gefühl erhöhter Einsamkeit. Die Kinder geben an, sich allein und ausgeschlossen zu fühlen. Sie vermissen Freundschaften. Rund acht Prozent fühlen sich häufig einsam. Bei Jungen und Mädchen aus Familien mit niedrigem Sozialstatus sind es sogar 19 Prozent.
Mehr als die Hälfte der Jungen und Mädchen fühlt sich außerdem erschöpft (55 Prozent) und mehr als ein Drittel der Schülerinnen und Schüler schläft schlecht (37 Prozent). 27 Prozent geben an, wöchentlich oder häufiger unter Rückenschmerzen zu leiden. Ebenso viele klagen über häufige Kopfschmerzen und ein Fünftel über Bauchschmerzen.
„Die Entwicklungen sind besorgniserregend sowohl was die Zunahme körperlicher Beschwerden betrifft als auch den alarmierend hohen Anteil von Kindern und Jugendlichen, die von Einsamkeit betroffen sind. Einsamkeit ist kein Phänomen des Alters, sondern betrifft auch die junge Generation. Information und Aufklärung in diesem Bereich müssen dringend intensiviert werden“, erklärt Professor Reiner Hanewinkel als Studienleiter am IFT-Nord in Kiel. Das Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung führt die jährlichen Befragungen zum Präventionsradar durch und wertet die Ergebnisse für die DAK-Gesundheit aus. „Unsere Beobachtungen zeigen, dass nicht alle Schulkinder in gleichem Maße von ungünstigen gesundheitlichen Entwicklungen betroffen sind. Jetzt ist es wichtig, die weitere Entwicklung des Gesundheitsverhaltens unserer Kinder und Jugendlichen im Blick zu behalten. Die Daten der Studie liefern dazu die notwendigen Informationen. Eine kontinuierliche Bestandsaufnahme ist eine wichtige Grundlage, um Präventions- und Interventionsmaßnahmen insbesondere auf diejenigen auszurichten, die sie am dringendsten benötigen oder die besonders gefährdet sind.“
Mehr als die Hälfte der Schüler*innen von mindestens zwei Gesundheitsproblemen betroffen
Auffallend ist laut Studie, dass mehr als die Hälfte der Schulkinder von mindestens zwei Gesundheitsproblemen pro Woche betroffen sind. Im Vergleich zur zweiten Erhebungswelle 2017/2018 berichten die Befragten im Schuljahr 2023/2024 deutlich häufiger von Mehrfachbeschwerden. Vor sechs Jahren lag der Anteil bei 36 Prozent, aktuell ist er mit 46 Prozent um ein Viertel höher. Bei den Mädchen ist der Anteil mit rund einem Drittel noch stärker gestiegen.
Dr. Michael Hubmann, Präsident des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzten, bestätigt die Studienergebnisse der DAK-Gesundheit: „Die Ergebnisse des DAK-Präventionsradars decken sich mit den Beschwerden, die wir täglich in unseren Praxen sehen. Unsere Arbeitsbelastung hat spürbar zugenommen, weil immer mehr Kinder und Jugendliche unter vielfältigen Symptomen wie Erschöpfung, Schlafstörungen und Schmerzen leiden. Auch psychosoziale Beeinträchtigungen wie Einsamkeit und Krisenängste haben deutlich zugenommen. Wir müssen im Durchschnitt mehr Zeit aufwenden, um mit unseren Patientinnen und Patienten über ihre Sorgen und Probleme zu sprechen. Viele von ihnen befinden sich in schwierigen Belastungssituationen, die oft noch nicht diagnostizierbar sind, aber bereits einen hohen medizinischen Betreuungsaufwand erfordern. Diese veränderte Situation muss künftig auch im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) abgebildet werden.“
Laut DAK-Präventionsradar sind drei Viertel der Schulkinder in Deutschland von Krisenängsten betroffen. Sie befürchten zum Beispiel, dass der Krieg in der Ukraine oder die Klimakrise noch lange andauern oder dass sich die finanzielle Situation ihrer Familie verschlechtert. Sechs Prozent geben sogar an, solche Krisenängste „häufig“ zu haben. Wie bei der Einsamkeit sind auch hier Jungen und Mädchen aus sozial benachteiligten Familien stärker betroffen. Die Studie zeigt, dass Kinder und Jugendliche, die häufiger krisenbezogene Ängste erleben, auch häufiger depressive Symptome zeigen. Dazu gehört zum Beispiel das Gefühl, unglücklich oder niedergeschlagen zu sein oder häufiger zu weinen. Zudem ist die Lebenszufriedenheit in dieser Gruppe geringer.