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Interview
© Christoph Dabiri (Foto: privat)

“Reisen ist auch immer eine Reise zu sich selbst“

Mit thetravelstories.com lenkt Christoph Dabiri die Aufmerksamkeit auf ungewöhnliche Reiseziele, die für viele eine Herausforderung darstellen. Dass sowohl das Schillernde als auch das Schmucklose seinen Reiz haben kann, erläutert er im Interview.

Gefährliche Übernachtungen in Detroit, Spuren des Bosnienkrieges in Sarajevo, die vom Wüstensand vergrabene Siedlung Kolmanskop: Du legst Du den Fokus auf Ziele, die den meisten Reisenden nicht gerade als erstes in den Sinn kommen – die viele Menschen gar eher meiden wollen. Wie wählst Du Reiseziele aus?

Dabiri: Was vielleicht auf den ersten Moment sehr abenteuerlich klingen mag, ist meistens am Ort des Geschehens viel harmloser. Denn um eines vorwegzunehmen: Die Welt ist ein sehr netter Ort. Und damit ist nicht „nett“ gemeint, wie ich meinen ungebetenen Verehrer kategorisieren würde, sondern: freundlich, offenherzig, gutmütig. Ein Ort, an dem man viel seltener mit dem Schlechten konfrontiert wird, als man es durch Meinungen Anderer zu Land und Leuten vermuten würde. Man wird relativ schnell über die Menschen vor Ort feststellen: Sie ticken genau wie wir, haben die gleichen Grundbedürfnisse.

„Es ist schade, wenn ganze Bevölkerungen unter Slogans subsumiert werden“

Damit möchte ich gar nicht die Risiken herunterspielen, die eine Reise in bestimmte Regionen mit sich bringen können. Das, was man aus manchen Reportagen oder tagesaktuellen Sensationsmedien kennt, das spielt sich natürlich auf der Welt ab. Aber als Reisender kommst du damit selten in Berührung. Klar, es gibt Risiken, und man sollte unbedingt ernst nehmen, was das Auswärtige Amt schreibt. Aber es ist schade, wenn sich die Einseitigkeit durchsetzt und ganze Bevölkerungen, Kulturen oder auch weltgeschichtliche Orte unter Slogans wie „Achse des Bösen“ oder „Shithole Countries“ subsumiert werden. In Ruanda gibt es keinen Völkermord mehr. Trotzdem assoziieren viele Leute mit dem Land noch die Gewalttaten von 1994. Auch bei Sarajevo denkt man eher weniger an die Olympischen Spiele, die dort stattgefunden hatten – dafür eher an den Bosnienkrieg.

Das Reisen abseits der ausgetretenen Pfade hat aber auch ganz praktische Vorteile: Man kommt viel schneller mit Einheimischen in Kontakt, die erstaunt und meist erfreut darüber sind, dass sich jemand für ihre Kultur, Geschichte oder auch einfach nur ihr alltägliches Leben interessiert. In strukturschwachen Gegenden ist man zudem sehr oft auf das Miteinander angewiesen. Das hat vor allem für Alleinreisende unheimliche Vorteile. Denn so kommt man auf ganz natürliche Weise mit dem vermeintlich Fremden in Kontakt.

So wird man schnell feststellen: Ganz alleine reist man eigentlich nie. In Paris, Barcelona oder London stelle ich mir das deutlich schwieriger vor, so eine Verbindung zu Menschen und Region herzustellen. Die lustigste Interaktion hatte ich diesbezüglich übrigens einmal mit einem Grenzbeamten in der Republik Moldau, der mir meinen Grund für die Reise – ein einfacher Urlaubsaufenthalt – partout nicht glauben wollte. Unter Kopfschütteln hat er dann aber doch meinen Pass gestempelt.

In der Wüste NamibiasIn der Wüste Namibias. Foto: © Christoph Dabiri

Die Reiseziele bei thetravelstories.com sollen also nicht immer nur an „Abenteuerreise“ erinnern oder das Bild von Gefahr suggerieren. Worum geht es bei den Reisezielen noch?

Dabiri: Die Wahl des Reiseziels berührt irgendwo auch die Frage nach dem Wahrheitsgehalt: Was macht ein Land aus? Nehmen wir das Beispiel USA. Es gibt die beliebten und berühmten Orte, an die alle reisen, San Francisco, Los Angeles und so weiter. Aber die USA bestehen nun mal aus mehr als nur diesen Touristenattraktionen. Zum Land gehören auch weniger beliebte Orte wie Detroit. Die Stadt suggeriert kein funkelndes, strahlendes Bild der USA, und gehört doch auch zum Land dazu.

Die Annahme, dass bestimmte Reiseziele grundsätzlich gefährlich oder besser zu meiden sind, bietet sich ja vor allem im Vergleich mit anderen Reiseformen an: So eine Pauschalreise an einen sehr beliebten und klassischen Urlaubsort wirkt da viel entspannter.

Dabiri: Deswegen ist für mich die Begriffstrennung zwischen Urlaub und Reise sehr wichtig. Das sind zwei verschiedene Dinge, die man aus unterschiedlichen Beweggründen macht. Beim Urlaub verfolgt man das Ziel der Erholung. Man fährt drei Wochen irgendwo hin und will sich einfach vom Alltag, von der Arbeit erholen.

Bei einer Reise im eigentlichen Sinne verfolge ich einen ganz anderen Ansatz. Hierbei will ich andere Kulturen und andere Leute kennenlernen. Man isst etwas Neues, probiert Ungewohntes aus. Das muss nicht immer nur Erholung bedeuten. Nach meiner Erfahrung kann das sogar erschöpfend sein. Meistens braucht man ja Urlaub, um sich vom Reisen zu erholen. Das sage ich aber auch als jemand, der in seinem Leben noch nie eine Pauschalreise gemacht hat. Wer weiß, vielleicht wäre ich ja ein riesiger Pauschalreisen-Fan.

Beim Spielen in TansaniaBeim gemeinsamen Spielen in Tansania. Foto: © Christoph Dabiri

Was ist also die Idee hinter thetravelstories.com?

Dabiri: Der Fokus liegt auf Reisen an eher unübliche Orte. Bei „The Travel Stories“ geht es, wie der Name ja schon sagt, um Geschichten, die eine individuelle Reise geschrieben hat und weniger um Empfehlungen für „Die zehn angesagtesten Partylocations in Santa Monica“. Vielleicht bin ich zu sehr mit Tim und Struppi oder Karl May sozialisiert, aber diese Kombination aus Abenteuergeschichte gepaart mit Reiseerzählung, macht für mich – seitdem ich denken kann – schon einen unwahrscheinlichen Reiz aus.

Bei „The Travel Stories“ sollte es aber nicht allein um meine eigenen Erlebnisse gehen. Ich wollte vor allem auch spannende, außergewöhnliche und eben besonders erzählenswerte Geschichten anderer Reisender sammeln. Und ich finde, dass das Aufarbeiten von solchen Eindrücken immer auch mit einem gewissen literarischen Anspruch einhergeht. Daher verzichte ich seit jeher auf irgendwelche SEO-optimierten Textfragmente, algorithmusfreundliche Postings oder ähnliche Dinge, die man für Suchmaschinen macht, aber nicht für die Leser. Ich will Texte nicht für Klickzahlen entstellen.

„Du machst einfach das, was dir selbst wichtig ist, und dann stellst Du fest: Andere sehen das genauso.“

Vielleicht liegt in dieser Besonderheit auch ein wenig der Erfolg der Seite. Es ist wie bei einem Musiker, der einfach so vor sich hin komponiert und seiner Leidenschaft nachgeht und plötzlich sind da ganz unerwartet Leute, die zum Konzert kommen und sagen: „Finde ich cool, was Du machst!“

Meinen Text zu Sarajevo hat eine Journalistin in Sarajevo einmal aufgegriffen, das hat dann vor Ort große Wellen geschlagen. Die Leute fanden spannend, dass ein Ausländer die Lage so gut zusammenfasst und nicht einfach eine „08/15“-Meinung dazu hat. So ist es gekommen, dass der Artikel ins serbokroatische übersetzt wurde und in der Presse erschienen ist. Das hat für viel Traffic und Follower gesorgt, generell gab es eine große Resonanz. Das Projekt ist in dieser Hinsicht ein Selbstläufer, der sich auf natürliche Weise selbst trägt. Du machst einfach das, was dir selbst wichtig ist und dann stellst Du fest: Andere sehen das genauso. Es kommt bei vielen anderen gut an, nicht nur bei mir.

„Reisen ist immer auch eine Reise zu sich selbst“

Was hat Dich auf Reisen am stärksten geprägt?

Dabiri: Ich denke ganz allgemein, dass Reisen viel mit Persönlichkeitsentwicklung zu tun hat. Es klingt plakativ, ist aber im Kern sehr wahr: Reisen ist immer auch eine Reise zu sich selbst. Wie gehe ich mit neuen Situationen um? Wie verhalte ich mich in neuen Umgebungen? Wie schnell kann ich mich anpassen? Wie reagiere ich auf extreme oder ungewöhnliche Verhältnisse? Was brauche ich, um mich wohlzufühlen – und was nicht? Und: Was mache ich, wenn ich doch nicht so ein Indiana-Jones-Typ bin, wie ich mir das zu Hause auf dem Sofa vorgestellt habe? Vor allem die letzte kann eine existenzielle Frage sein!

Man reflektiert auch, was man eigentlich zu Hause hat und hinterfragt, ob es zu Hause nicht viele Dinge gibt, die man zuvor als selbstverständlich angenommen hat. Man muss da seine Balance finden.

In TansaniaIn Tansania. Foto: © Christoph Dabiri

Wie hat sich Corona auf Deinen Traffic und Deine Community ausgewirkt? Bist Du da für 2021 und 2022 wieder optimistischer?

Dabiri: 2020 hat sich die Nachfrage schon spürbar verringert, was einerseits die Anfragen von Autoren zum Veröffentlichen von Geschichten angeht, aber andererseits auch die reinen Aufruf- und Interaktionszahlen. Ich glaube, wenn die Hütte brennt, kümmerst Du dich nicht als erstes darum, wie Du dir einen Pool in den Garten setzen kannst. Vor allem zu Beginn von Covid hatten wir wohl einfach andere Dinge im Kopf. Man merkt aktuell aber ganz stark, dass das Interesse am Reisen wieder enorm anzieht, ich würde vielleicht sogar von einer Art Peak reden.

Thetravelstories.com ist nicht dein einziges Projekt. Woran arbeitest Du derzeit noch?

Dabiri: Ein weiteres Projekt ist zum Beispiel chronischunterwegs.com. Dort beschäftige ich mich mit dem Problem, dass immer mehr Menschen reisen wollen (ob Kurztrip, Weltreise oder Wohnortverlagerung), aber ein wichtiges „Gepäckstück“ mitbringen: Vorerkrankungen. Das kann je nach Ausprägung zu massiven Schwierigkeiten führen. Man stellt sich Fragen wie: Bin ich zu teuer für meine Versicherung? Zu krank? Sehen Gutachter meinen Krankheitsverlauf prognostisch nicht positiv, so dass ich keine private Krankenversicherung mehr abschließen kann? Falle ich in manchen Ländern sogar durch das Raster der Gesundheitsversorgung und erhalte keine permanente Aufenthaltsgenehmigung? Auswanderungspläne können damit schnell auf der Kippe stehen.

„Es gibt viel öfter Wege und Mittel, man muss sie nur kennen“

Ich habe mich eine gefühlte Ewigkeit mit all den Problemen, die dieses Thema mitbringt, auseinandergesetzt. Und dieses Wissen gebe ich in persönlich zugeschnittenen Beratungsangeboten weiter. Besonders wichtig ist mir dabei: Es soll bestmöglich verhindert werden, dass Menschen auf die Idee kommen, ihre Reisepläne wegen einer Krankheit an den Nagel zu hängen. Es gibt viel öfter Wege und Mittel, als gedacht. Man muss sie nur kennen.

Sehe ich im individuellen Fall Möglichkeiten, kläre ich anhand von Lage und Bedürfnissen, welche Chancen zum Krankenversicherungsschutz es gibt, welche Beratung zum Gesundheitssystem des Ziellandes notwendig ist, wo am Zielort die bestmögliche ambulante oder stationäre Versorgung für das Krankheitsbild gewährleistet wird. Wie mit Zoll oder Sicherheitskontrollen bei Mitnahme von (kühlungspflichtigen) Medikamenten umzugehen ist und so weiter. Des Weiteren kläre ich aber auch, ob entstehende Kosten im Ausland von verschiedenen Stellen übernommen werden können, welche Möglichkeiten es über die deutsche gesetzliche Krankenkasse gibt, in welchem Zeitraum sie beispielsweise etwas übernimmt und in welchen Ländern das klappt. Nicht selten ist auch wichtig zu wissen: Kann ich Medikamente direkt im Ausland beziehen – und wenn ja, wie und wo? Was kostet das? Gibt es Biosimilars/Generika vor Ort? Also wirklich nahezu alles, was an organisatorischen und auch bürokratischen Dingen anfallen kann.

Meine Erfahrung ist, dass eine unabhängige Beratung da wirklich Gold wert sein kann, denn es hat mich mehrere Monate gekostet, sämtliche Versicherungsbedingungen im In- und Ausland zu studieren, mit Krankenhäusern oder Kostenstellen zu telefonieren, Anwälte zu konsultieren, Erfahrungsberichte einzuholen und so weiter.

Im OmanIm Oman. Foto: © Christoph Dabiri

Zieht es dich selbst dauerhaft ins Ausland?

Dabiri: Aktuell wohne ich im Ausland und bin auch sehr glücklich damit. Aber es ist schon ein Skandal, dass man einfach an irgendeinem Ort der Welt geboren wird, ohne jegliches Mitspracherecht daran gehabt zu haben. Aber: Wenn man sich nun schon den Geburtsort nicht auswählen konnte, finde ich, sollte doch jeder mindestens einmal aktiv hinterfragen, ob der aktuelle Wohnort eine absolute Mehrheit an Kriterien erfüllt, die ich mir für ein zufriedenstellendes Leben wünsche. Im Gegensatz zu vielen Menschen haben wir nämlich das Privileg, uns an sehr vielen Orten der Welt relativ einfach niederlassen zu können.

„Wenn man sich schon den Geburtsort nicht auswählen konnte, sollte doch jeder mindestens einmal den aktuellen Wohnort hinterfragen“

Mich persönlich hat es aber immer wieder ins Ausland gezogen, ob kurzfristig im Diensturlaub, langfristig zwischen zwei Arbeitsstellen oder auch recht regelmäßig an Wochenenden während meines Studiums. Ich bin von Beruf Didaktiker und Gymnasiallehrer, im Gegensatz zum Juristen mit Schwerpunkt auf deutschem Scheidungsrecht ist das ein relativ dankbarer Job, wenn es um das Thema Auswandern geht – Schulen und Lehrer gibt es überall. Aktuell sehe ich mich aber weder noch einmal im öffentlichen Dienst arbeiten, noch in Deutschland leben, da beides nicht mehr zu meinen Lebensentwürfen passt.

Ein „Perpetual Traveler“, also ein Dauerreisender, bin ich nicht. „Reisen“ kann, wie gesagt, im Vergleich zum „(Erholungs-)Urlaub“ nämlich durchaus sehr anstrengend sein. Ich sehe mir Reiseziele lieber punktuell an und kehre dann zu einem festen Ort zurück. Dieser feste Ort braucht aber ganz klar eins: „everyday summer“.

Was möchtest Du den Leserinnen und Lesern mit auf den Weg geben?

Dabiri: Ich glaube, wenn man den Wunsch hat, oder das Bedürfnis verspürt, auf Reisen zu gehen – egal ob für zwei Wochen oder für ein halbes Jahr oder eine Auswanderung vorbereiten möchte – man sollte daran festhalten. Ich kenne eigentlich niemanden der sagt „Reisen ist schlecht“. Viele scheuen sich dann aber davor, aufzubrechen. Und das kann ich nicht verstehen. Man sollte ein bisschen über seinen Schatten springen und diese Chance nicht einfach verstreichen lassen, sich irgendwie weiterzuentwickeln. Denn es ist zwar nur ein begrenzter Zeitraum, in dem man die eigentliche Reise macht, aber sie wirkt auch nach der Rückkehr fort. Überspitzt gesprochen kommt man als anderer Mensch zurück.

Ich glaube, Reisen hat wirklich fast nur Vorteile. Denn es gibt wenige Sachen, die dich in deiner Persönlichkeitsentwicklung so schnell fördern wie das Reisen. Selbst, wenn Du dauerhaft in Deutschland bleiben möchtest, reflektierst Du zumindest kurz, wie ein anderes Leben sein könnte. Und selbst Erlebnisse, die ich im Nachhinein als blöd empfunden habe, bereue ich nicht. Ich bin froh, dass ich die Erfahrungen gemacht habe.

Über Christoph Dabiri

Auf thetravelstories.com bietet Christoph Dabiri zusammen mit weiteren Autorinnen und Autoren Einblicke in außergewöhnliche Reisen. In den umfangreichen und anspruchsvollen Reportagen geht es um Orte fernab von Touristen-Hochburgen. Sie zeigen das Abenteuerliche, das Ungewohnte, aber auch ganz natürliche Einblicke in den Alltag der Menschen.

www.thetravelstories.com

www.instagram.com/thetravelstories

Mit seinem neuen Projekt chronischunterwegs.com will Christoph Dabiri darüber hinaus Menschen ermutigen, an ihren Reiseplänen festzuhalten – trotz Vorerkrankung und Schwierigkeiten bei der Planung der Reise. Hierzu bietet er individuelle Beratung an, wenn es etwa um den richtigen Gesundheitsschutz und die Versorgung im Zielland geht.

www.chronischunterwegs.com

© Christoph Dabiri (Foto: privat)© Christoph Dabiri

Dieser Beitrag stammt aus der Ausgabe August des Journals "Leben und Arbeiten im Ausland".

Das Journal erscheint monatlich kostenlos mit vielen informativen Beiträgen zu Auslandsthemen.

Herausgegeben wird es vom BDAE, dem Experten für die Absicherung im Ausland.