Christian Heß ist Spezialist für biometrische Risiken und berät seit vielen Jahren Fluglotsen und Fluglotsinnen in Absicherungsfragen. Im Interview berichtet er unter anderem, wie der Alltag dieser speziellen Berufsgruppe aussieht, warum die Beschäftigten vergleichsweise früh in den Ruhestand gehen und weshalb es sie besonders oft ins Ausland zieht.
Der Fluglotsen-Beruf ist stark reglementiert, einen Ausbildungsplatz bekommen nur wenige. Wird die Ausbildung im Ausland anerkannt?
Heß: In der Tat ist es nicht leicht, Fluglotse oder Fluglotsin zu werden. Die deutsche Flugsicherung stellt jedes Jahr rund 140 Auszubildende ein auf der Basis von mehr als 7.500 Bewerbungen. Die Wahrscheinlichkeit, einen Ausbildungsplatz für diesen Beruf zu bekommen, ist demnach nicht allzu hoch. Derzeit ist die Anzahl an neuen Ausbildungsplätzen aufgrund der besonderen Situation geringer.
„Man muss nicht hochbegabt sein, um Fluglotse zu werden“
Voraussetzung dafür sind das bestandene Abitur und fließende Englischkenntnisse. Gleichwohl muss man nicht hochbegabt sein, um eine Chance auf einen Platz am Ausbildungsstandort in Langen bei Frankfurt zu haben.
Nach dem theoretischen Teil, der etwa ein Jahr dauert, werden die Auszubildenden auf die Standorte in ganz Deutschland verteilt und machen dann ein „on the job training“ für circa zwei weitere Jahre. Grundsätzlich macht es nach der Ausbildung keinen großen Unterschied, ob man dann als Fluglotse von Bremen nach Frankfurt (national) oder von Hamburg nach Dubai (international) wechselt. Ein Wechsel des Standortes ist generell nicht ohne weiteres möglich, auch wenn die Basis-Ausbildung international anerkannt ist.
„Fluglotsen erhalten ihre Zulassung immer nur für einen bestimmten Luftraum und nicht pauschal für alle Lufträume“
Warum gestaltet sich ein Wechsel so schwierig?
Heß: Bei einem Standortwechsel müssen die Lotsen den Luftraum wieder komplett neu lernen. Und dieser ist in Frankfurt am Main beispielsweise deutlich komplexer als etwa an einem kleineren Flughafen wie Bremen, auch Lufträume unterscheiden sich stark voneinander. Fluglotsen erhalten ihre Zulassung immer nur für bestimmte Lufträume und nicht pauschal für alle Lufträume in einem Land oder gar international. Wer sich also für einen Standort im Ausland bewirbt, muss auch hier erneut eine Zulassung erwerben. Weil die Sprache und die Codes der Fluglotsen aber von Vornherein international sehr ähnlich sind, muss nicht das Berufsbild an sich neu gelernt werden, sondern eben nur der Wirkungskreis.
Die Kommunikation findet auf Englisch statt, dennoch mag sich ein Dialog unter Fluglotsen für Außenstehende und Fachfremde merkwürdig anhören. Das beginnt bei der Aussprache der Zahlen: One, two, tree anstelle von „three“. Es soll sichergestellt werden, dass Fluglotsen jeder Nationalität genau verstehen, was gemeint ist, damit es nicht zu fatalen Missverständnissen kommt. Für viele feststehende Begriffe gibt es sozusagen Ersatzbegriffe im „Fluglotsen-Englisch“. Im Bereich des Sichtfluges (meist private Piloten) wird auch am Funk deutsch gesprochen.
Was den Standortwechsel ins Ausland ebenfalls erleichtert, ist die Tatsache, dass alle Vorschriften – beispielsweise hinsichtlich des Abstandes von Flugzeugen zueinander – überall auf der Welt auf der gleichen Grundlage beruhen.
Wenn das Personal im Bereich der Flugkontrolle jeden Flugraum neu lernen muss, kommt es dann nicht öfter zu Kapazitäts-Engpässen an Flughäfen?
Heß: Ja, das kann ein Problem sein. Letzten Sommer fiel beispielsweise am Standort Bremen ein Fluglotse für längere Zeit krankheitsbedingt aus und es gab keine Vertretung. Mit geringer Besetzung an Fluglotsen musste der Flugverkehr geregelt werden. Da Fluglotsen sich an ihre Pausen halten müssen, hatte dieser Personalengpass Auswirkungen auf die Flugfrequenz und es gab kurzfristig weder Starts noch Landungen.
Es gibt übrigens eine Kooperation der Deutschen Flugsicherung mit dem Standort Dubai. Ein Abkommen sieht vor, dass deutsche Fluglotsinnen und -lotsen über vier Jahre nach Dubai „ausgeliehen“ werden.
Wer diesen Beruf ausübt, hat keinen „normalen“ Berufsalltag. Inwieweit unterscheidet sich der Alltag von denen anderer Angestellter, die beispielsweis im Büro arbeiten?
Heß: Der dürfte sich schon signifikant unterscheiden. Zunächst einmal muss man zwischen zwei Arten von Fluglotsen unterscheiden: Es gibt Tower- und Radarlotsen. Jene im Tower lotsen die Flieger vom Start bis zu einer bestimmten Flughöhe beziehungsweise vergeben Start- und Landefreigaben. Alles, was in der Luft ist (ab circa 2.000 feet), regeln die Radarlotsen in vier Kontrollzentren in Deutschland. Diese sind auch in der Mehrzahl und müssen naturgemäß sehr viel sitzend arbeiten. Vereinfacht beschrieben, schauen die den ganzen Tag auf den Monitor, wo viele Punkte zu sehen sind, die sich bewegen. Diese Radarlotsen arbeiten im Zweier-Team. Einer von Beiden hält Kontakt zum Piloten, der andere koordiniert die Flugrouten. Alle Beide müssen sehr regelmäßig - für gewöhnlich alle zwei Stunden – eine Pause machen, die im Übrigen als Arbeitszeit gilt. In Frankfurt, wo es ein sehr hohes Flugaufkommen gibt, müssen diese bereits nach 1,5 Stunden eine Pause einlegen.
„Im Sommer ist die Belastung für Fluglotsen besonders hoch.“
Diese Tätigkeit erfordert eine sehr hohe Konzentration und damit eine große kognitive Leistung. Auch die Arbeitswoche gestaltet sich unterschiedlich. In den meisten Jobs kennen wir die 5-zu-2-Woche, also fünf Tage am Stück arbeitet man, zwei Tage ruht man – bei den meisten verteilt sich dies auf Montag bis Freitag beziehungsweise Samstag und Sonntag. Fluglotsen arbeiten im Schichtbetrieb und kennen diesen 5-zu-2-Rhythmus nicht. Manchmal arbeiten sie fünf Tage am Stück und haben dann drei Tage frei. Dadurch verschiebt sich auch die Arbeitswoche. Das ist überdies saisonabhängig. Im Sommer, wo eine viel höhere Flugfrequenz herrscht, kann die Woche auch mal 6 zu 2 sein und im Winter dann – als Ausgleich zum Sommer 4 zu 4.
Für die meisten Lotsen ist die Belastung im Sommer sehr hoch. Das gilt dann auch für den Beginn der Arbeitswoche, der oft auf dem Sonntagabend liegt. Da ist es dann am Morgen noch sehr ruhig und ab 18 Uhr, wenn vor allem Geschäftsreisende fliegen, wird es dann stressiger. Manchmal haben Fluglotsen Nächte, wo lediglich drei Flugzeuge auf dem Radar sind und manchmal können zu Stoßzeiten auch zehn Flieger gleichzeitig zu kontrollieren sein. Aber auch das hängt stark vom Standort des Flughafens ab. Dementsprechend ist der Stress bei der Berufsgruppe unterschiedlich ausgeprägt.
Es heißt zudem, dass der psychische Druck enorm ist, der auf Personen dieser speziellen Berufsgruppe liegt.
Heß: Ja, der ist sicher nicht zu unterschätzen. In einem Flieger sitzen zwischen 100 und 400 Personen, manchmal sogar noch mehr, je nach Flugzeuggröße. Pilotinnen und Piloten sind darauf angewiesen, dass das Zusammenspiel mit den Lotsen reibungslos funktioniert. Dennoch trifft es nicht zu, dass Fluglotsinnen und -lotsen immer einer Null-Fehlertoleranz ausgesetzt sind. Wird der Mindestabstand zweier Flugzeuge beispielsweise geringfügig unterschritten, so liegt hier durchaus ein Fehler vor – dieser hat aber in den meisten Fällen keine Auswirkungen, weil der „Sicherheitspuffer“ mehr als ausreichend ist.
„Fluglotsen wird viel abverlangt“
Es ist kein Zufall, dass der Ruhestand derzeit für diese Berufsgruppe bei einem Alter von 55 Jahren liegt. Den Lotsen wird viel abverlangt und die Leistungsfähigkeit nimmt mit zunehmendem Alter ab. Hinzu kommt, dass der Schichtdienst generell sehr belastend für den Körper ist. Der gesamte Biorhythmus gerät aus dem Gleichgeweicht und über die Jahre zollt das seinen Tribut. Der Ruhestand mit 55 Jahren ist ein Stück weit auch präventiv gedacht.
Fluglotsinnen und -lotsen haben aufgrund ihrer hohen Verantwortung ein überdurchschnittlich hohes Gehalt. Welche Größenordnung ist das?
Heß: Ein Fluglotse, der im „on the job training“ ist, verdient bereits recht ordentlich, mit Bestehen der Ausbildung erreicht man dann schnell ein sechsstelliges Jahresgehalt. Somit kommt es vor, dass 23-Jährige schon um die 120.000 Euro (Brutto) pro Jahr verdienen.
Sie beraten mit Ihrem Unternehmen die Zielgruppe der Fluglotsinnen und Fluglotsen in Absicherungsfragen. Hat diese andere beziehungsweise spezielle Bedürfnisse, was Versicherungen angeht?
Eine „Loss-of-License“-Absicherung ist wichtig“
Heß: Ja. Sie benötigen eine spezielle Berufsunfähigkeitsversicherung, die auch dann greift, wenn Sie ihre Lizenz verlieren. Das kann bereits in jungen Jahren der Fall sein und dann muss der Verdienstausfall irgendwann kompensiert werden. Wir sprechen hier über die Loss-of-Licence-Versicherung. Diese funktioniert auf Basis einer klassischen Berufsunfähigkeitsabsicherung, bei der man eine monatliche Rente oder eine gewisse Summe erhält. Durch eine spezielle Zusatzklausel erhält der Fluglotse bei einer Loss of Licence Versicherung bereits die vereinbarte Leistung, wenn der Fliegerarzt eine Untauglichkeit feststellt.
Wie oft kommt es vor, dass ein Fluglotse seine oder eine Fluglotsin ihre Zulassung verliert? Wann ist dies überhaupt der Fall?
Heß: Im Grunde kann dies ganz schnell passieren. Theoretisch reicht schon eine Operation unter Vollnarkose. Danach muss jeder Lotse erst einmal wieder zur fliegerärztlichen Beratung. Aber auch unabhängig davon findet diese Untersuchung alle zwei Jahre statt, weswegen also die Fluglotsen-Lizenz regelmäßig erneuert werden muss.
Zudem ist diese Berufsgruppe verpflichtet, sich untersuchen zu lassen, sobald es irgendeine gesundheitliche Beeinträchtigung gibt. Ich kenne eine Fluglotsin, die im Alter von 25 Jahren wegen Verdachts auf Sekundenschlaf zum Arzt ging, der dann Epilepsie feststellte. Damit war sie untauglich.
Aber es reicht auch schon die Diagnose Schlafstörung, die einige Lotsen aufgrund des Schichtdienstes bekommen können, um die Tauglichkeitsprüfung nicht zu bestehen. Zudem kenne ich den Fall eines Lotsen, der wegen Mobbings nicht mehr arbeiten konnte. Ein anderer Lotse, den ich mal beraten hatte, bemerkte beim Autofahren dunkle Flecken im Sichtbereich – er wurde vom Fliegerarzt sofort für untauglich erklärt.
Unser Unternehmen bietet die Besonderheit, dass die „Loss-of-License“-Versicherung auch leistet, wenn eine rein psychische Erkrankung die Untauglichkeit auslöst (zum Beispiel Burn-Out oder Depression). Und wir bieten für Trainees eine Versicherung mit vereinfachten Gesundheitsfragen und besonderen Erhöhungsoptionen an.
Welche Versicherungen sind noch sinnvoll für Fluglotsinnen und Fluglotsen?
Heß: Generell ist bei ihnen das Bewusstsein für eine Absicherung gestiegen. Das mag auch damit zusammenhängen, dass die Belastung für sie in den letzten Jahren gestiegen ist. Das Flugaufkommen hat sich signifikant erhöht, doch die Anzahl von Fluglotsen ist nicht proportional gestiegen.
Notwendig ist weiter eine spezielle Rentenversicherung, die auf die Übergangsversorgung abgestimmt ist, denn wer nur bis zum 55. Lebensjahr arbeiten muss, hat auch kürzere Beitragszeiten in der gesetzlichen Rente. Es gilt dann, die Einzahlungslücke bis 63 beziehungsweise 67 Jahren zu füllen. Wegen des hohen Einkommens wählen sie im Übrigen häufig auch eine private Krankenversicherung.
„Fluglotsen reisen gerne und viel.“
War diese Berufsgruppe während der Coronapandemie von Kurzarbeit beziehungsweise Kündigungen betroffen?
Heß: Meiner Kenntnis nach gab es keine einzige Kündigung unter den Fluglotsen. Kurzarbeit gibt es in dem Bereich nicht, aber es gab eine Anweisung, dass die Arbeitnehmer bis zu 500 Minusstunden pro Jahr aufbauen mussten. Diese Minusstunden werden auf einem Arbeitszeitkonto erfasst und müssen zur Hälfte mit Arbeit zurückgezahlt werden.
Reisen Fluglotsinnen und Fluglotsen eigentlich überdurchschnittlich viel?
Heß: Absolut. Zum einen haben sie mehr Zeit als die durchschnittliche arbeitende Bevölkerung und zum anderen verdienen sie gut. Die vergleichsweise viele Freizeit nutzen sie intensiv. Sie haben die Reiseinspiration ja auch täglich vor Augen. Wenn man den ganzen Tag Flugzeuge beobachtet, die in aller Herren Länder fliegen, dann weckt das sicherlich die Reiselust. Ich kenne sehr viele Lotsinnen und Lotsen, die manchmal Monate lang am Stück Urlaub nehmen können und eine halbe Weltreise unternehmen.
Bei manchen von ihnen sieht man eine Pinnwand-Weltkarte zu Hause, in der Fähnchen an bereits besuchten Reisezielen stecken. Da ist oftmals schon jeder Kontinent bereist worden. Mit der Reisetätigkeit gehen auch teils ungewöhnliche Hobbys einher. Viele tauchen gerne, etliche fliegen selbst kleine Sportmaschinen, machen besondere Sportarten oder sammeln seltene Autos. Ich glaube, dass diese Menschen auch einen guten Ausgleich zu ihrem Joballtag brauchen.
Was macht die Zielgruppe in der Regel nach dem frühen Ruhestand? Gibt es Ihrer Erfahrung nach potenziell häufiger den Wunsch auszuwandern?
Heß: Ja, der Wunsch, nach der Karriere auszuwandern, kommt auf jeden Fall überdurchschnittlich häufig vor. Viele kaufen sich schon lange vor der Rente ein Haus im Ausland, beispielsweise auf den Kanaren oder in den USA. Meistens gibt es bereits vor dem Ruhestand einen Bezug zu dem Zielland und irgendwann kann sich derjenige oder diejenige gut vorstellen, die Hälfte des Jahres oder den kompletten Ruhestand dort zu verbringen.
Über ATC-Guard
ATC-Guard ist ein von Stöver, Hermann und Partner GmbH entwickeltes Konzept für alle Fluglotsinnen und Fluglotsen. Durch eine Kooperation mit der Gewerkschaft der Flugsicherung stehen Mitgliedern exklusive Highlights zur Auswahl. Besondere Bedingungen gibt es auch insbesondere für Trainees und Familienangehörige von GdF-Mitgliedern.
Die ATC-Berater sind ausschließlich für die Bereiche Biometrie und Altersvorsorge zuständig. Durch ihre Familien und den Freundeskreis sind sie seit über einem Jahrzehnt intensiv mit dem Thema Loss of Licence für Fluglotsen vertraut. Fluglotsinnen und -lotsen betreut das Team sogar seit mehr als 20 Jahren.
In Zusammenarbeit mit der www.shp-ag.de stehen zusätzlich Experten für die Geldanlage zur Verfügung und ein Team von Spezialisten kümmert sich um alle Belange wie, Haftpflicht-, Hausrat-, und Unfallversicherungen.