„Amerikaner haben eine sehr positive Lebenseinstellung“
Alexandra Lehr lebt seit fast drei Jahren mit ihrer Familie in Minnesota. Im Interview erzählt sie, wie sich die Familie auf das Leben in den USA vorbereitet hat, wie ihr eine schnelle Eingewöhnung in ihrem Umfeld gelang, warum Präsident Donald Trump so viel Zuspruch erfährt und wie sie die Corona-Krise in den USA erlebt.
BDAE: Was genau hat Sie und Ihre Familie nach Minnesota verschlagen und wie lange planen Sie, dort zu bleiben?
Lehr: Mein Mann ist hier als Expat bei einem amerikanischen Konzern tätig und wir entschieden uns im Jahr 2017, mit der Familie in die USA zu gehen. Wir werden in diesem Sommer wieder in unser Zuhause in Süddeutschland zurückkehren – einerseits, weil das Visum ausläuft, anderseits auch wegen der gegenwärtigen Corona-Krise.
BDAE: Wie haben Sie sich auf das Expat-Leben in Minnesota vorbereitet?
Lehr: Wir hatten bereits Erfahrung, was den Wohnortwechsel ins Ausland angeht. Von 2003 bis 2006 lebten wir ebenfalls wegen eines berufsbedingten Auslandseinsatzes meines Mannes in Italien. Diese Zeit haben wir sehr genossen, so dass wir es uns grundsätzlich gut vorstellen konnten, wieder im Ausland zu leben. Allerdings fiel uns die Entscheidung für den USA-Aufenthalt nicht ganz so leicht wie damals jene, für mehrere Jahre nach Italien zu gehen.
BDAE: Warum?
Lehr: Diesmal mussten und wollten wir unsere Töchter mit ins Boot holen, denn als wir damals nach Italien gingen, waren die beiden noch Babys. Zum Zeitpunkt der Planung unseres Lebens in den USA waren sie bereits Teenager und mussten zur Schule gehen. Deshalb lag der Schwerpunkt bei unserer Vorbereitung vor allem auf der Wahl der richtigen Schule.
Als wir Anfang der Nuller Jahre ins Ausland gingen, waren wir aufgrund unseres Alters auch noch freier, ungebundener. Wir packten einfach unsere Koffer und los ging es. Zum Zeitpunkt der Entscheidung für den USA-Aufenthalt gab es deutlich mehr Hürden zu überwinden. Je älter man ist, desto mehr „Ballast“ hat man, etwa in Form von Besitz wie beispielsweise ein Eigenheim und ich hatte auch einen Job, den ich dann kündigen musste. Bei der ersten „Auswanderung“ war ich in Elternzeit, das hat vieles vereinfacht.
Geholfen hat uns ein Look-and-See-Trip nach Minnesota. Und tatsächlich hatte sich unser künftiger Wohnort von der schönsten Seit gezeigt, die Sonne schien, es herrschte eine schöne Atmosphäre. Minnesota hat einfach eine atemberaubende Landschaft, es wird auch „land of 10.000 lakes“ genannt und ähnelt Kanada sehr.
Caribou See, Minnesota, USA / © Igor Kovalenko, AdobeStock
“Das High-School-Leben übte einen besonderen Reiz auf unsere Kinder aus“
Unseren Kindern hatten wir natürlich versucht, den Aufenthalt schmackhaft zu machen. Unter anderem ausschlaggebend für ihre Zustimmung war die Tatsache, dass sie fließend Englisch lernen würden und auch das klassische amerikanische High-School-Leben übte einen gewissen Reiz auf sie aus. Für viele Jugendliche ist so ein High-School-Jahr ein Traum und unsere Kinder bekamen dieses sozusagen auf dem Silbertablett serviert.
Die Wahl der Schule gestaltete sich dann aber nicht so einfach. Wir haben sehr intensiv recherchiert und überlegt, welcher Schultyp der Beste für unsere Situation ist. Wir mussten entscheiden, ob die Kinder auf eine öffentliche High School, auf eine private Schule oder auf eine International School gehen sollten. Die Wahl fiel schließlich auf die öffentliche High School in unserer Wohngegend, denn wir wollten das echte amerikanische Leben kennenlernen, das wäre in einer Expat-Schule wahrscheinlich nicht möglich gewesen. In den USA ist die Schule an den Wohndistrikt gekoppelt und wenn man seine Nachbarskinder besser kennenlernen will, hilft es, an die die örtliche Schule zu gehen.
BDAE: Welche Kriterien waren bei der Entscheidungsfindung für das Leben in Minnesota noch bedeutsam für Sie?
Lehr: Natürlich haben wir uns Gedanken über die medizinische Versorgung und über die Sicherheit gemacht. Insbesondere, wenn man mit Kindern ins Ausland geht, spielt dies eine besondere Rolle. Auch das Rechtssystem, die Stellung der Frau oder das soziale Gefüge sind Kriterien, die wir zugrunde gelegt haben. Ich finde, man sollte bei solch einer Expat-Entscheidung ehrlich zu sich sein und wissen, welche Kultur einem liegt und welche nicht - man will ja in dem Land einige Jahre leben und nicht nur Urlaub machen. Andernfalls läuft man zu sehr Gefahr, enttäuscht zu werden oder im schlimmsten Fall sogar schockiert zu sein.
BDAE: Wie haben Sie sich eingelebt und vor Ort ein soziales Netzwerk aufgebaut?
Lehr: Was uns anfangs sehr dabei half, uns schnell heimisch zu fühlen, war die Tatsache, dass wir in einer richtigen „Familien-Neighbourhood“ gelandet waren. Wir hatten von Anfang an viel Kontakt zu den Nachbarn, die uns sehr freundlich empfingen. Viele Kontakte sind auch über die Firma meines Mannes entstanden – sowohl mit Einheimischen als auch mit anderen Expats.
Am herausforderndsten war die Eingewöhnungsphase für unsere Töchter. Für Kinder ist es nie leicht, neu in einer Schule zu sein und dann auch noch in einem anderen Kulturkreis. Was unseren Mädchen die Anbahnung von Freundschaften zunächst etwas erschwerte, war das typische Kurssystem der High-Schools. Es gibt dort nicht den festen Klassenverband mit den immer gleichen Klassenkameraden. In jedem Kurs fand sich dann auch eine neue Konstellation an Mitschülern. Aber mit der Zeit wurde der Freundeskreis dann doch immer größer und die Mädchen haben insgesamt einen ganz tollen Job gemacht.
„Die sozialen Medien helfen sehr dabei, den Kontakt zur Heimat zu halten“
BDAE: Wie haben Sie in den letzten Jahren den Kontakt zu Freunden und zur Familie in Deutschland gehalten?
Lehr: Ich bin jeden Sommer für vier Wochen mit den Kindern nach Hause geflogen. Unser Kalender war dann immer vollgepackt, damit wir so viele Menschen wie möglich sehen konnten. Wir haben auch öfter Besuch von Freunden bekommen, allerdings liegt Minnesota etwas „ab vom Schuss“ und nicht besonders nah, an typischen touristischen Highlights wie beispielsweise New York. Auch konnten sich viele unserer Freunde unter Minnesota nicht so viel vorstellen. Diejenigen, die uns besuchten, waren dann aber im Nachhinein immer sehr angetan von der Schönheit dieses Bundestaates. Würden wir in einer der Metropolen oder beispielsweise in Kalifornien leben, wäre der Besuch wahrscheinlich noch zahlreicher gewesen!
Um den Kontakt nach Hause zu halten nutzen wir die vorhandenen Social-Media-Kanäle bis ins Letzte aus. Die modernen Kommunikationsmittel helfen sehr gut, die Lieben daheim auf dem Laufenden zu halten und umgekehrt.
„Ich schätze die Unkompliziertheit der Amerikaner“
BDAE: Was schätzen Sie am Leben in Minnesota, was weniger? Welche typisch amerikanischen Gepflogenheiten machen Ihnen das Leben leichter, welche manchmal schwerer?
Lehr: Was sich sehr schätze und sicher sehr vermissen werde, ist die Unkompliziertheit der Amerikaner – insbesondere in Service-Fragen des Alltags. Hier ist alles online möglich und auch die Infrastruktur macht einem das Leben oft leicht, sei es der Drive-Through, durch den man Essen und Waren schnell ins Auto gereicht bekommt oder die grandiose Dienstleistungsmentalität. Hier funktioniert einfach alles perfekt und die Menschen legen eine sehr große Freundlichkeit an den Tag. Es mag oberflächlich sein, aber es macht vieles leichter. Generell haben die Amerikaner eine sehr positive Lebenseinstellung und sind sehr kommunikativ. Das soziale Leben wird ausgesprochen hoch gehalten, sicher auch, weil die Familie einen besonders hohen Stellenwert hat. Das spiegelt sich beispielsweise in Einladungen zu Gartenpartys oder anderen nachbarschaftlichen Events wider.
„Es gibt den Ausdruck Minnesota nice, weil die Menschen hier ausgesprochen freundlich sind“
Man muss dazu sagen, dass die Menschen in Minnesota für ihre besondere Freundlichkeit geradezu berühmt sind – es gibt sogar den Ausdruck „Minnesota nice“. Wir Deutschen haben ja eine sehr direkte Art, die funktioniert hier nicht. Denn selbst Kritik wird unheimlich nett verpackt. Gerade wird unsere Terrasse restauriert und vorhin fragte mich der Handwerker, wie ich denn den neuen Anstrich fände. Ich sagte ihm, wenn ich es „Minnesota nice“ ausdrücken würde, dann würde ich sagen „interesting“. Auf deutsche Art würde ich sagen, dass ich die Farbe ganz furchtbar finde. Auch mein Mann muss sich im Büro mit seiner direkten, deutschen Art sehr zurückhalten, um niemandem vor den Kopf zu stoßen.
Es wird zudem sehr viel überschwänglich gelobt, alles ist immer so „amazing“ und „lovely“ und gleichzeitig sind die Menschen mit Kritik sehr zurückhaltend. Selbst Fremde machen einander gerne Komplimente, oft ist das ein „Opener“ für netten Small Talk. Mittlerweile sind wir schon amerikanisiert und schätzen diese zwischenmenschliche Art sehr.
Was mich allerdings nach wie vor bei den Amerikanern irritiert, ist, wie sie mit dem Thema Essen umgehen. Es scheint ihnen mehr um die reine Nahrungsaufnahme zu gehen als um die gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung. Bei uns ist es üblich, als Familie gemeinsam zu essen und das ist auch ein Prozess, der durchaus eine Stunde dauern kann. Bei den Amerikanern sind die Mahlzeiten oft so gehetzt. Die Freunde unserer Kinder sind immer sehr verwundert darüber, dass wir lange am Essenstisch sitzen und die Mahlzeiten auch nutzen, um uns auszutauschen. Hier wird viel nebenbei, etwa im Auto gegessen und mehr „gesnackt“.
BDAE: Gibt es Dinge aus der Heimat, die Sie besonders vermissen?
Lehr: Wenn man ins Ausland geht, findet man eigentlich immer Alternativen zu bestimmten Dingen aus der Heimat. Wir waren da immer sehr flexibel. Allerdings lieben wir alle die guten süddeutschen Brezeln. Das führt dazu, dass wir uns, sobald wir in Frankfurt aus dem Flieger steigen, auf die nicht so leckeren Flughafen-Brezeln stürzen, weil wir es einfach nicht erwarten können. Was natürlich immer fehlt, sind Freunde und Familie.
Minneapolis, Minnesota, USA / © f11photo, AdobeStock
„In der Corona-Krise ist mir bewusst geworden, welche Macht die Gouverneure der einzelnen Bundestaaten haben“
BDAE: Wie erleben Sie die Corona-Krise derzeit in den USA? Die Schreckensbilder aus New York wirken auf uns sehr besorgniserregend.
Lehr: Hier geht es uns den Umständen entsprechend gut. Wir arbeiten von zu Hause, unsere Töchter machen online Schule und generell verhalten sich die Menschen um uns herum sehr vernünftig. Alle halten ausreichend Abstand in der Öffentlichkeit, in den Supermärkten werden die Einkaufswägen penibel desinfiziert und fast alle Menschen tragen eine „face mask“, obwohl es bei uns keine Vorschrift ist.
Als Präsident Trump am 11. März in seiner Fernsehansprache vom Coronavirus als „foreign virus“ sprach und dann am 13. März den Einreisestopp aus Europa verhängte, war für mich und die meisten Minnesotans das Virus noch sehr weit weg. Zu dem Zeitpunkt hatten wir auch gerade einmal 20 Fälle. Dann ging alles sehr schnell. Die High School der Kinder informierte über die Schließung aller Schulen im Schuldistrikt ab Montag, den 16. März. Die Schulgebäude durften nur noch betreten werden, um Unterlagen oder Musikinstrumente abzuholen. Der demokratische Governor von Minnesota, Tim Walz, hatte die Schließung aller Schulen im Staat ab spätestens 18. März angeordnet. Am Montag, den 16. März, ordnete er außerdem kurzerhand die Schließung aller Restaurants, Bars, Coffee Shops, Theater, Kinos, Fitnessstudios und sonstiger öffentlicher Räumlichkeiten an. Ab sofort war nur noch take-out, drive-thru oder curbside-pickup möglich. Zudem wurde „social distancing“ dringend empfohlen, was hier so definiert wird, dass man 6 feet (rund 1,80 Meter) Abstand halten soll – und die Menschen hielten sich zu meinem Erstaunen größtenteils sofort daran.
Mir ist in den letzten Wochen so eindrücklich wie noch nie bewusst geworden, welche Macht der Governor in den USA in seinem jeweiligen Staat hat und es beruhigt mich zu sehen, dass unser Governor Tim Walz und viele seiner Kollegen in der Lage sind, kluge Entscheidungen zu treffen – auch wenn diese im Gegensatz zur Meinung des Präsidenten stehen.
„Amerika ist viel konservativer als man denkt“
BDAE: Apropos Donald Trump. Wie erklären Sie sich seinen Erfolg bei so vielen Amerikanern? Wie kann es sein, dass er reelle Chancen hat, wiedergewählt zu werden? Haben Sie nach dessen Wahl zum US-Präsidenten vor gut vier Jahren eigentlich darüber nachgedacht, den berufsbedingten Auslandseinsatz nicht anzutreten?
Lehr: Freunde fragten uns nach der Trump-Wahl Ende 2016 tatsächlich, ob wir wirklich in die USA gehen wollten. Aber da stand unsere Entscheidung schon fest. Minnesota ist traditionell demokratisch regiert und in der Tat bekommen wir hier von Trump gar nicht so viel mit. Man darf auch nicht vergessen, welche Dimensionen die USA haben. Sie sind so riesig und manchmal fällt es einem schwer, nachzuvollziehen, dass man von Minnesota nach Florida genauso lange fliegt wie von Norddeutschland nach Nordafrika.
Wir haben vor einiger Zeit mit der Familie eine Autoreise in den Yellowstone-Park im Bundesstaat Wyoming unternommen, was uns wie eine kleine Weltreise vorkam, auch weil wir durch eine schier unendliche Prärielandschaft fuhren. Das war eine tolle Erfahrung und hat uns noch einmal vor Augen geführt, wie heterogen dieses Land eigentlich ist. Wie man Amerika wahrnimmt, hängt entscheidend davon ab, in welchem Bundesstaat man lebt. Mein Mann muss hin und wieder für seinen Arbeitgeber in das Werk in Texas und er stellt jedes Mal fest, dass zwischen Texas und Minnesota Welten liegen und die Menschen sehr unterschiedlich ticken.
Meiner Beobachtung zufolge hat Trump so viel Erfolg, weil er vielen Amerikanern aus der Seele spricht. Amerika ist viel konservativer als man denkt, die traditionelle Familie ist sehr wichtig und ungefähr 80 Prozent der Amerikaner sagen, dass Religion für sie eine große Bedeutung hat. Trump propagiert die damit verbundenen Werte. Wir Westeuropäer haben in vielen Dingen eine liberalere Sichtweise, so zum Beispiel auch was Abtreibungen angeht.
Auch das „America First!“ trifft den Nerv vieler Menschen, denn der Nationalstolz ist sehr groß. Unsere Mädchen waren anfangs sehr irritiert, dass sie in der Schule die „pledge of allegiance“, also das traditionelle Treuegelöbnis gegenüber der Nation und der Flagge, aufsagen mussten. Dies ist Teil des schulischen Morgenrituals ist und ihre Mitschüler stehen dabei auf und legen die Hand auf die Brust. Wir sagten ihnen, dass Sie versuchen sollten, einen für sie akzeptablen Weg zu finden zwischen Anpassung und Beibehaltung der eigenen Überzeugungen. Jedenfalls wundert es mich seither nicht mehr, dass Trumps Wahlspruch „America First!“ so gut ankommt.